Cultura | Literaturtipp

Das Facebook-Buch

Stefanie Sargnagel und die Fitness.

Es schreibt keiner wie ein Gott, der nicht gelitten hat wie ein Hund. (Marie von Ebner-Eschenbach)

Der Mensch produziert im Laufe des Tages unzählige mehr oder minder willentlich gesteuerte Gedanken: Ich ess jetzt ein Butterbrot, aua, mir tut der Zeh weh, heute Nachmittag muss ich einkaufen gehen, usw.
Manche sind in ihren Gedankengebäuden krankhaft gefangen („die Flüchtlinge müssen weg, sie machen mir Angst“), viele versuchen, sie durch diverse Hilfsmittel auszuschalten und die Dritten haben gelernt, ihnen nicht allzu hohe Aufmerksamkeit zu widmen. Und die Vierten notieren sie hin und wieder nieder: die AutorInnen.
Denken geschieht aber nicht immer bewusst: wir sind genauso konditioniert wie andere Lebewesen. „Wir glauben, wir würden denken, dabei reagieren wir nur auf Reize. Danach intellektualisieren wir das“, so der Schweizer Philosoph Dominik Perler. Manche KünstlerInnen sagen, dass die Einfälle und Ideen von außen kommen und durch sie hindurchfahren wie Eingebungen von oben oder unten, je nachdem. Deshalb unterscheiden wir Menschen auch zwischen den Kategorien intellektueller und intuitiver Kunst: die Eine ist bereits durch den Gehirnfleischwolf hindurchgepresst, die Andere kommt eher unvermittelt aus den anderen diversen Körperöffnungen –und teilen heraus.

Stefanie Sargnagel macht beides.
Sie erprobt und beschreibt an sich den Alltag einer Kunststudentin mit einem Callcenterjob und zunehmenden Lesereisen mit anschließenden Besäufnissen. Ein Überlebenskampf kombiniert mit Alkoholexzessen und darauf folgenden Katertagen, geistige Auf- und Einbrüche, Besserungsszenarien und erneute Trunkenheit. Job, Ausflüge, Ausstellungseröffnungen, Planlosigkeit. Älter werden, aber nur ein bisschen erwachsen. Im Buch „Fitness“ hat Sargnagel Facebook-Einträge und einige längere Notizen und Texte sowie lustige Illustrationen vom 6.2.2014 bis zum 12.7.2015 zusammengetragen und in Papierform veröffentlicht (redelsteiner dahimène edition, Wien 2015).

Der Schmerz ist der große Lehrer der Menschen. Unter seinem Hauche entfalten sich die Seelen. (Ebner-Eschenbach)

Wen soll das interessieren, wir haben sonst schon genug Facebook in allen Poren unseres kommunikationsverarmenden Lebens, lautet die berechtigte Frage.
Sie hat Einfälle, daher darf sie das, so die Antwort. Sekundeneinfälle, Impulse. Sie beobachtet. Immer das Smartphone dabei, posten, Likes kassieren, Ego pushen. Sie macht das, was alle machen, und nutzt dabei ziemlich geschickt das neue Medium für ihre Schreibkarriere. Es ist eine Geschichte mit Happy End: Steffi raus aus dem Callcenter und rein in das Kulturszenen(Bierfass).

8.5.2014: Meine Notizen sind wie ein ewiges Interview, bei dem niemand Fragen stellt. (Sargnagel)

Also ein Facebuch-Buch mit Aphorismen und Anekdoten. Notizen und Fragmente, tagebuchartig. Dass „Fitness“ ein großer Egotrip ist, das ist klar. Facebook läuft auf Ich, Ich, Ich. Wir sind so programmiert, dass wir für uns selber einfach viel wichtiger und interessanter sind als für andere. Dass das in diesem Buch nicht nach 2 Seiten schon todlangweilig wird, dafür sorgen zum Einen die in regelmäßigen auftauchenden schaurig-schrägen Stadtbeobachtungen von Wien und Umgebung, die Beschreibung des Schirchen (z.B. das FPÖ-Fest), sowie das Schwanken der Autorin zwischen narzisstischer Selbstüberschätzung und einer Art Negativ-Selfie, wo sich Sargnagel als dauerbesoffene Endlosschläferin mit Hang zum Fressen darstellt. Dazwischen immer wieder pointierte feministische Inserts. Die FollowerInnen lassen nicht auf sich warten, und es gibt wieder KünstlerInnen, die sich followen lassen.

Kann man sich künstlerisch etablieren und trotzdem cool sein? (Sargnagel)

Das ist ja eine der großen Fragen der Popliteratur der letzten Jahr(zehnte) mit ge(über)steigertem Selbst-Bewusstsein: wie schreibe ich mich hinauf und bleibe trotzdem cool? Wie kann der Aufstieg von der Unterklasse in die Mittelklasse oder sogar der High Society der Kunstwelt gelingen, ohne dass ich mich selber verrate? Und: Wie kann ich durch ein ständig upgedatetes Ich ein möglichst spannendes „Profil“ erhalten? Genau diese Selbstoptimierungsanstrengung und die Angst, damit zu scheitern, diese sich selbst abgeforderte „Fitness“ und gleichzeitig deren vehemente Verweigerung, liest sich da raus. Und genau deshalb wirken manche Facebook-Einträge von Sargnagel auch nostalgisch, weil sie an etwas festzuhalten versucht, das ihr der um ihre Person losgetretene Medienhype längerfristig stehlen könnte: die Zeit dafür zu haben, an einem Beisltisch an einem Bier einsam zu sitzen und die anwesenden Alten zu beobachten.