Gerechte Strafe?
Als die Töne an mein Ohr drangen, musste ich fast weinen. Nach einem Jahr ohne Live-Musik, ohne Tanzen, ohne Feiern mit Freunden, führte mich der Anblick des Straßenmusikers auf dem Bozner Waltherplatz zurück in eine Schwerelosigkeit, die ich, gerade mal 27 Jahre alt, schon länger in einem Hinterstübchen meines Gedächtnisses als unwiederbringliche Erinnerung vergraben hatte. Und ich war damit nicht allein: um die dutzend Paare und Menschengrüppchen hatten sich – in angemessener Entfernung – auf dem Platz der Landeshauptstadt versammelt und lauschten gebannt den Klängen der Gitarre, der schönen Stimme, die alte Radioklassiker in die von Monaten der Isolation betrübten Luft blies. Die allgemeine Freude angesichts dieser selten gewordenen Unterhaltung war zu spüren – man lernt die kleinen Dinge des Lebens erst zu schätzen, wenn man sie nicht mehr hat.
Es war der 5. Februar, mein Partner und ich auf dem Weg vom Supermarkt nach Hause, als wir, angezogen von der Musik, zum Walterplatz gingen und uns mit unseren Einkaufstüten hinsetzten, der Musik lauschten. Mitgerissen vom Rausch der Ausgelassenheit, und uns in sicherer Entfernung der restlichen Zuhörenden wähnend, holten wir zwei Zigaretten heraus und zogen unsere Masken unters Kinn. „Oane tschiggen, und dorzua Live-Musik hearn. Fost wia frior,” sagte ich nostalgisch zu meinem Freund.
Doch der Lichtblick sollte von kurzer Dauer sein. Plötzlich standen zwei Stadtpolizisten vor uns, einer verlangte nach unseren Ausweisen, fotografierte sie ab, und verkündete – seine Lippen zu einem dünnen Strich verzogen – „vi arriverà la multa a casa.“ Drei Wochen später flatterten zwei Strafen zu jeweils 400 Euro in unser Postfach „wegen Nichttragens der Maske im öffentlichen Raum und Nicht-Einhaltung des Sicherheitsabstands.“
Ist es angebracht, Bürgerinnen und Bürger, in solchen Graubereichen sofort und kompromisslos mit überproportional hohen Geldstrafen zu sanktionieren?
Diese Sanktion vonseiten der Behörden empfinde ich nicht nur persönlich als Unrecht, da ich immer Maske trage, auf Abstand achte, und die Notwendigkeit der Maßnahmen in Diskussionen mit Bekannten stets verteidigt habe – aber das können die Polizisten ja nicht wissen – sondern ist auch gemessen an den objektiven Parametern nicht gerechtfertigt.
Aussage gegen Aussage
Zwei Tage vor dem Ereignis erschien auf Südtirol News eine Meldung zu der Frage, ob Rauchen im Freien erlaubt sei. Darin wird der Kommandant der Stadtpolizei zitiert, der sagt, eine Geldbuße bis zu 400 Euro würde ausgestellt, nur wenn man durch die Stadt spaziert, und die Maske unters Kinn zieht, um eine Zigarette zu rauchen. Wenn man aber für die Zigarette stehen bliebe, so könne man nicht von der Exekutive belangt werden, heißt es in dem Artikel.
Die Aussage der Polizei zählt immer mehr.
Auf diese Aussage verließen wir uns am besagten Nachmittag. Helfen wird uns das aber wenig, so meinen Anwälte, an die wir uns mit der Frage wendeten, ob ein Rekurs angebracht sei, denn: vor dem Friedensrichter steht Aussage gegen Aussage. Und die Aussage der Polizei zählt immer mehr.
Erschwerend kommt hinzu: Laut italienischem Gesetz wird eine Verwaltungsstrafe, sofern der Rekurs abgelehnt wird, neu aufgesetzt, und zwar nicht unbedingt in der ursprünglichen Größe, sondern „zwischen dem vorgesehenen Mindest– und Höchstwert der Sanktion.“ Das heißt, da für das Nichttragen der Maske gesetzlich ein Strafrahmen zwischen 400 und 1000 Euro vorgesehen ist, kann es gut sein, dass, nach abgelehntem Rekurs, unsere Strafe auf 800 Euro und mehr verdoppelt wird.
Mehr Menschlichkeit und Body-Cams, bitte!
Drei Dinge wünsche ich mir für diese Zeit:
Menschlichkeit
Es gibt Momente, in denen klar auf Covid-Regeln keine Rücksicht genommen wird: Wenn etwa 20 Leute in einer engen Bar alle ohne Maske tanzen. Oder wenn jemand komplett ohne Maske (auch nicht unterm Kinn) durch die menschenüberfüllte, enge Museumsstraße läuft. Doch gibt es auch viele Graubereiche – und hier erwarte ich mir zumindest etwas Verständnis, einen kurzen Hinweis, bevor sofort zu drakonischen Maßnahmen gegriffen wird: für den Angestellten im Supermarkt, der auf dem Nachhauseweg kurz am Straßenrand stehen bleibt, die Maske runterzieht und nach Luft schnappt – endlich, nach 8 Stunden Maske-Tragen bei der Arbeit. Für die einsame Frau, die beim Spazieren eine alte Freundin trifft und sie kurz umarmt – menschliche Nähe hat sie so lange nicht mehr gespürt. Für das junge Paar, das sich auf eine Parkbank setzt, und eine Zigarette raucht, begleitet von den Klängen einer Gitarre – „Live-Musik und Tschiggn“ haben beide so sehr vermisst.
Wo kein Platz mehr für diese Menschlichkeit bleibt, ballt sich Wut, wächst Politikverdrossenheit, nährt sich Hass und wird Hass in Form politischer Führungskräfte an die Spitze gewählt. Dieser Frust betrifft bereits viele Menschen, die ihre Strafen hinsichtlich der Covid-Regeln als nicht gerechtfertigt empfinden.
Klare Kommunikation und Verhältnismäßigkeit
Ist es wirklich angebracht, Bürgerinnen und Bürger, die ihre Rechte und Pflichten selbst nicht genau kennen, weil sich die Regeln jede Woche ändern – Darf ich draußen rauchen oder mein Coffee-To-Go trinken? Muss ich auch beim Joggen eine Maske tragen? Müssen Fußpflege-Salons schließen oder gehören sie zu den essentiellen Dienstleistungen, die offen sind? – in solchen Graubereichen sofort und kompromisslos mit Geldstrafen zu sanktionieren?
Wo kein Platz für Menschlichkeit bleibt, ballt sich Wut, wächst Politikverdrossenheit, nährt sich Hass und wird Hass in Form politischer Führungskräfte an die Spitze gewählt
Und ist es angesichts der wirtschaftlichen Notlage, in die viele Familien aufgrund des Lockdowns schlittern, angebracht, eine überproportional hohe Strafe anzusetzen? Zum Vergleich: Wer keinen Helm auf dem Motorrad trägt, zahlt zwischen 80 und 300 Euro. Wer bis 40km über dem Tempolimit fährt muss circa 160 Euro Strafe zahlen. Und fürs Falschparken beträgt das Ticket 25 bis 40 Euro. Noch dazu sollen die 400 Euro Covid-Strafen bei nicht angenommenem Rekurs verdoppelt werden – das klingt für mich nach einem Versuch, Bürger dafür zu bestrafen oder davon abzuhalten, von ihren Rechten Gebrauch zu machen.
Ich wünsche mir daher eine transparentere Kommunikation über Rechte und Pflichten in Bezug auf Covid-Regeln und Verhältnismäßigkeit in deren Kontrollen und Sanktionen. Schutz der Bürger darf nicht mit Schikane verwechselt werden.
Schutz vor polizeilicher Willkür
In vielen Bundesstaaten der USA ist es gängige Praxis: Polizisten tragen Bodycams, also kleine Kameras am Körper, um ihre Einsätze zu filmen. Das schützt nicht nur Bürgerinnen und Bürger vor polizeilicher Willkür, sondern auch die Beamten vor potentieller Gewalt, wie der Spiegel anhand von zwei Beispielen veranschaulicht: eine Studie zeigte, dass Beschwerden gegen Polizeibeamten in der kalifornischen Stadt Rialto um 88 Prozent gesunken sind, seit diese Bodycams tragen. In einer anderen Stadt hingegen rettete die Bodycam einen Polizisten vor haltlosen Anschuldigungen: eine Autofahrerin, betrunken am Steuer erwischt, drohte, ihn der Vergewaltigung zu bezichtigen – vor laufender Kamera.
Dieses Problem sollte in
Dieses Problem sollte in einer gemeinsamen Aktion von Landeshauptmann, Bürgermeister von Bozen und einer Koalition der Willigen bis Montag, den 15.3.2021 gelöst sein. Die Jugend muss das Gefühl bekommen, dass ihre Probleme verstanden und gehört werden. Wenn es nicht anders geht, bezahle ich 400 Euro für Julia Tappeiner
Bitte nicht die Strafe zahlen
Bitte nicht die Strafe zahlen. Sämtliche DPCM zu den Corona-Maßnahmen sind illegal, ein Rekurs hat sehr gute Chancen. Siehe https://www.frei-netz.org/aktiver-widerstand. Die Koalition der Willigen habe ich noch nicht beim Landeshauptmann und beim Bürgermeister von Bozen gefunden, aber ich lasse mich gerne freudig überraschen. Die Corona-Krise ist vorbei, sobald wir die absurden und rechtswidrigen Maßnahmen nicht mehr mitmachen. Dies ist die Verantwortung jedes Einzelnen von uns.
In risposta a Bitte nicht die Strafe zahlen di Bernhard Oberrauch
https://www.salto.bz/de
https://www.salto.bz/de/comment/89410#comment-89410
"Noch dazu sollen die 400
"Noch dazu sollen die 400 Euro Covid-Strafen bei nicht angenommenem Rekurs verdoppelt werden" ... Abgesehen davon, dass dieses Thema durchaus Platz braucht und berechtigt ist, muss schon gesagt werden, dass ALLE Strafen VON - BIS gehen, bzw. bei Sofort-Zahlung ein "Rabatt" gewährt wird.
In diesem Fall hier hat die Autorin natürlich meine volle Solidarität, weil ich auch schon öfters beim Rauchen die Maske herunter gezogen habe. Mit doppeltem "Filter" schmecken sie dann doch nicht so gut (-:) ... sonst trage ich im Prinzip - wie die Autorin auch - gewisse Maßnahmen durchaus mit.
Soll man das noch ernst
Soll man das noch ernst nehmen? Bodycams und Vergleiche mit den Vereinigten Staaten. Haben Sie Angst von der Polizei das nächste mal in den Rücken geschossen werden oder im Würgegriff erdrosselt zu werden?
Wer an dieser Stelle die Rassenspannungen in den USA heraufbeschwört hat jegliches Maß verloren.
Anscheindend gehören Sie zu einer stark geschundenen Gruppe:
Weiße Frauen in Westeuropa mit zu hohen Anpsrüchen.
In risposta a Soll man das noch ernst di gorgias
@georgias: was haben ihre
@georgias: was haben ihre Antworten mit dem Vorschlag samt Begründung zu tun? Bodycams sind schon in vielen Ländern ganz in unserer Nähe Standard. Übrigens manche weiße Männer in Westeuropa deklamieren ebenfalls lautstark für sich zu einer stark geschundenen Gruppe zu gehören.
In risposta a @georgias: was haben ihre di Michael Bockhorni
Tatsache ist aber das die
Tatsache ist aber das die Autorin eben die USA als Beispiel heranzieht, wo Rassenspannungen und exzessive Polizeigewalt ein Dauerproblem sind.
Wenn jemand meint als Beispiel für Bodycams ein Land anzuführen, bei dem viele Menschen bei einer Polizeikontrolle Angst haben erschossen zu werden, weil man eine Verwaltungsstrafe erhalten hat, die man als ungerecht empfindet, der macht es aus einer überhöhten Anspruchshaltung.
Und was manche weiße Männer in Westeuropa deklamieren besprechen Sie am besten mit diesen selbst.
Ich bin Nichtraucher, aber
Ich bin Nichtraucher, aber diese Strafe ist einfach lächerlich, und wirft ein äußerst trauriges Bild auf unsere Ordnungskräfte, da diese wohl nicht im Stande sind, im Rahmen ihrer Ermessensfreiheit (ich hoffe, so etwas gibt es, denn sonst hat das System ein Problem...) in Grauzonen nur dann Strafen zu verteilen, wenn sich jemand nicht an die Regeln hält und somit andere gefährdet, da er sie potentiell ansteckt.
Mit den Verordnungen existieren seit Monaten viele Graubereiche, häufig sind die Verordnungen in sich widersprüchlich und es ist fast schon unmöglich, noch den Überblick zu bewahren.
Man findet sich immer mal wieder in Situationen, wo man nicht weiss, ob man etwas darf oder nicht.
Ich habe in diesen Monaten gelernt, wie wichtig das für mich bis noch vor einem Jahr ziemlich bedeutungsleere Wort "Rechtssicherheit" eigentlich ist...
In risposta a Ich bin Nichtraucher, aber di Schorsch Peter
Interessant ist auch, dass
Interessant ist auch, dass manche Eisdiele schon geöffnet ist und die Leute unbeschwert vor der Eisdiele ihr Eis schlecken und dabei auch ungeschützt sind; verständlicherweise.