Neue Kunst in altem Gemäuer
Eine alte Obstfabrik rückt in den Mittelpunkt der alternativen Auerer Szene. Der Verein ATRACT ist in das ehemalige Fedexport-Gebäude eingezogen. Welche Köpfe und Ideen stecken hinter ATRACT? Der Verein, der im Januar dieses Jahres gegründet wurde, besteht zurzeit aus etwa dreißig kulturinteressierten jungen Bürgern rund um Präsident Daniel Pinter. Einige von ihnen sind selbst Künstler und Musiker.
Attraction in Auer
Die Zusammensetzung des Vereinsnamens ATRACT ist wohlüberlegt. Das englische Wort attraction für Anziehung ist Teil davon, das ebenso enthaltene deutsche Wort Trakt bezeichnet einen Teil eines Gebäudes. Der Anfangsbuchstabe A ist außerdem Bezugspunkt zum Dorf Auer. Ausschlaggebend für die Vereinsgründung war der Wunsch nach einem Raum, in dem ihre Kunst und ihre Ideen Platz finden und in vielfältigen Formen präsentiert werden können. Diesen Ort hat ATRACT nun gefunden.
In Untermiete
Fedexport war ursprünglich eine Obstfabrik, die sich auf In-und Export spezialisiert hatte. Seit der Betrieb vor über 60 Jahren seine Tore schloss, steht das Gebäude leer. Zwischenzeitlich diente es Heimatlosen als Unterschlupf, aber schon bald wurde ein Riegel vorgeschoben. Nun hat es Daniel Pinter für verschiedene kreative Vorhaben gemietet; der Verein ATRACT ist sozusagen Untermieter. So baufällig es auch wirken mag, der Statiker hat dem Gebäude einen überraschend guten Zustand bescheinigt.
Quelle: Atract - Philipp Kieser
Auf Vordermann gebracht
Philipp Kieser, Vizepräsident von ATRACT, erwartet mich im Inneren des Gebäudes. Heute, am 5. März, ist es das erste Mal, dass man Publikum geladen hat. Es findet eine Einweihungsfeier statt. Der erste Eindruck beim Durchgehen ist durchwegs positiv. Verschiedene Kunstobjekte sind ausgestellt, die Bühne steht und hinter den Getränketresen werden die letzten Vorkehrungen getroffen. Das Wort Eröffnung will Philipp Kieser nicht in den Mund nehmen. „Das würde voraussetzen, dass alles schon picobello pronto ist. Das ist es eben noch nicht, und das soll es auch gar nicht sein. Es geht um den Weg, um einen kreativen Prozess des Wandels.“ Was er damit meint, sehe ich bald. Wir steigen einen Stock höher, um ein ruhiges Plätzchen fürs Interview zu finden, abseits vom geschäftigen Treiben der Vorbereitungen. Hier sieht es nicht annähernd so sauber aus wie im Erdgeschoss. Ich ahne, wie viel Einsatz und Mühe die Truppe bis jetzt in die Aufräumarbeiten gesteckt hat – und wie viel (Schmutz-)Arbeit in den nächsten drei Stockwerken noch auf sie wartet. Es drängt sich die Frage auf, weshalb sie sich das antun. Wäre es nicht einfacher, um Vereinsräume anzusuchen, die weniger Arbeit bergen? Die Antwort von Philipp Kieser kommt schnell und bestimmt: weil es sich anbietet. Er zitiert einen seiner Kollegen, der gesagt hat, künstlerisches Engagement sollte nicht am Fehlen geeigneter Rahmenbedingungen scheitern: „Die brauchen wir nicht. Wir brauchen weniger Rahmen und dafür mehr Freiraum.“
Kulturelle Mitbringsel aus aller Welt
Die jungen Leute möchten einen Teil der Ideen und Erfahrungen, die sie während ihres Studiums in den Großstädten dieser Welt gesammelt haben, nun ihre Heimat verpflanzen. „Wir wollen zeigen, dass man auch in der Peripherie Ideen umsetzen kann. Wir sehen uns als Verbindungspunkt zu anderen kulturellen Hotspots. Südtirol ist relativ veränderungsresistent.“, fügt er hinzu. Mit ihren Ideen wollen sie Schwung in die Kulturszene bringen. Die Bedenken, dassv eine solche alternative Szene eher in eine Großstadt gehört als ins traditionsliebende Südtirol, lassen die Mitglieder von ATRACT nichtgelten. Der Raum ist da, wo man ihn schafft.
Freigeister unter einem Dach
Der Verein ATRACT ist genau genommen nur ein Teil des Konzeptes. Die Ambitionen der Künstlertruppe sind weit größer. Das Gebäude steht unter dem Management von Daniel Pinter und soll demnächst neben zeitgenössischer Kunst und experimenteller Musik auch andere Initiativen beherbergen. Unter dem Namen „i4fs“ (Institute For Future South Tyrol) sollen Ateliers und Werkstätten für Künstler entstehen sowie ein Proberaum für Musiker. Man denkt auch daran, Workshops anzubieten und sogar Treffen der alternativen europäischen Kulturszene zu organisieren. Als Beispiel nennt Philipp Kieser das geplante Treffen der Szene für elektronische Musik, zu dem internationale Koryphäen geladen werden. Netzwerkarbeit zwischen den Kulturschaffenden ist ihnen wichtig. Dass die Zusammenarbeit sprachgruppenübergreifend ist, versteht sich für die Gruppe von selbst.
Visionäres Kulturmanagement
Die Zukunft von ATRACT und die des alten Gebäudes ist bunt. Der Verein wird jungen Künstlern Freiraum und eine Plattform für ihre Kunst bieten, und die Mitglieder selbst werden auch ein Programm entwickeln. Auf jeden Fall sollen hier nicht nur Kunstschaffende, sondern auch Kunstliebhaber ein- und ausgehen. „Visionäres Kulturmanagment in der europäischen Peripherie“ ist das vielversprechende Motto. Man darf gespannt sein. Die Definition von Kultur und Kunst ist weitläufig - Schubladendenken ist da fehl am Platz.
Dieser Artikel ist in der April-Ausgabe der Zeitschrift Die Weinstraße erschienen.