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(Un)Angemessene Bekleidung

Eine Südtiroler Schule fordert in einem Brief an die Eltern angemessene Kleidung der Schülerschaft ein. Ein haltloser Anspruch auf die Kontrolle von Teenagern.
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Foto: Katarzyna Grabowska on Unsplash

In einer bekannten Südtiroler Facebook-Gruppe habe ich den Brief einer Schuldirektion an die Eltern (und die darauffolgenden Kommentare) gelesen, die ihre Schülerschaft dazu auffordert, sich angemessen zu kleiden. Zum einen aus gesundheitlichen Gründen, zum anderen aufgrund „ethischer Prinzipien der Würde und Dezenz, nicht aus Prüderie“, das wird unterstrichen. Zumindest war das Ganze gegendert...

Es fällt mir schwer, den gesundheitlichen Aspekt nachzuvollziehen, bin ich doch von Teenagern umgeben, die dank ihrer Hormone selbst bei Minusgraden am liebsten kurzärmlige T-Shirts tragen und Jacken grundsätzlich nicht schließen. Aber ich vertraue darauf, dass sich die Schuldirektion vor diesem Brief mit entsprechenden wissenschaftlichen Studien befasst hat und weiß, wovon sie schreibt.

Größere Schwierigkeiten habe ich allerdings damit, den Aspekt der „angemessenen Kleidung nachzuvollziehen“. Angemessen, laut Duden: richtig bemessen; adäquat. Da frag ich mich doch: Wer definiert wann, welche Bekleidung wo adäquat ist? Welche Maßstäbe sind zur richtigen Bemessung ausschlaggebend?

Kulturelle Maßstäbe? Festgelegt von jenen (Männern), die am jeweiligen Ort grad das Sagen haben? Das rechtfertigt beispielsweise die totale Verhüllung der Frau in Afghanistan. Was passiert aber mit den zahlreichen Nuancen zwischen nackt und Burka in liberaleren Ländern?
Sanitäre Maßstäbe? Wäre eine Mindestbekleidung je nach Wärmegrad angebracht? Das erklärt die wesentlichen Unterschiede in der Bekleidung der Inuit und den Pygmäen. Was passiert aber mit den hormonbedingten Hitzewallungen von Teenagern in anderen Breitengraden?
Hygiene-Maßstäbe? Wie jede:r Saunagänger:in weiß, reicht es dazu eigentlich, ein Handtuch zwischen Po und Sitzfläche zu platzieren …

Sicherheitsbedingte Maßstäbe? Angemessene Kleidung zur Vermeidung von Verletzungen … Huch, da gibt es gleich mehrere Aspekte. Natürlich die absolut notwendige Schutzkleidung von Bauarbeiter:innen, Minenarbeiter:innen, Holzfäller:innen usw. Abgesehen davon, fällt mir mein sicherheitstechnisches Bedürfnis ein, meine Tochter vor begehrlichen Blicken, übergriffigen Äußerungen und handkräftigem Fehlverhalten seitens der männlichen Bevölkerung zu schützen. Am liebsten mit etwas Verhüllendem, um jeden Flecken nackter Haut unsichtbar zu machen. Damit würde ich dann wohl auch gleich jenen Teil der Bevölkerung mitschützen, der sich von ebendieser Haut abgelenkt, provoziert und zu Übergriffen legitimiert fühlt.

Mit diesem Thema habe ich mich schon vor Jahren befasst, als meine Tochter auf der Suche nach ihrer Identität ausschließlich Kleidung anzog, die meinen persönlichen Vorstellungen von angemessen absolut nicht entsprach: schwarz, kurz, eng, sexualisiert. Da hat sich für uns auch die Frage gestellt, wie angemessen diese Kleidung in den verschiedenen Lebensbereichen ist. Nach langen Diskussionen, Überlegungen, Lektüren sind wir zum Schluss gekommen, dass eigentlich nur jede Person selbst entscheiden kann, was für sie als angemessen gilt und womit sie sich wohlfühlt. Natürlich mag es private Gruppierungen geben, die eine bestimmte Kleiderordnung vorschreiben (Krawattenpflicht bei Veranstaltungen, Uniformen in Sportvereinen usw.), wo dann jede Person frei entscheiden kann, ob sie sich der Vorschrift anpasst, um dabei zu sein, oder eben nicht.

Aber im Prinzip sollte es in allen öffentlichen Bereichen (und dazu gehört auch die öffentliche Schule) die Möglichkeit geben, sich auch in der Be- oder Entkleidung frei auszudrücken. Also bitte, warum nicht mit Flip-Flop zur Arbeit, nackt in die Schule, mit Skihose in die Sauna oder mit Rock zum Fußballtraining. Und eventuelle Briefe zu Angemessenheit sollten an jene gerichtet werden, die andere Vorlieben, Geschmäcker, Ideen nicht akzeptieren können und sich „davon irritiert fühlen“.
Alles andere ist haltlose und unangemessene Bevormundung, eine der vielen Formen patriarchaler Kontrolle über den Körper der Frau.