Cultura | Interview

Sternennebel als Memento Mori

Urs Lüthi und Arnold Mario Dall’O in der Galerie Alessandro Casciaro in Bozen (Teil 1)

Es ist Montag Nachmittag. Ich treffe mich zum Gespräch mit dem Schweizer Künstler Urs Lüthi und dem Südtiroler Künstler Arnold Mario Dall’O. Derzeit bereiten die beiden eine gemeinsame Ausstellung in der Galerie Alessandro Casciaro in Bozen vor, die am Freitag, 13. Mai, eröffnen wird.
Die BesucherInnen erwartet dort eine feinfühlige Auswahl von Arbeiten, die emotionale Räume vom Verschwinden, von Fragilität und von der Vergänglichkeit eröffnen, und die auf eine subtile Weise miteinander korrespondieren.
Wir haben uns nicht nur darüber unterhalten, sondern auch über Veränderungen in der Kunstwelt weltweit und auch in Südtirol, deren Anfälligkeit für Verschleißmechanismen des Popgeschäftes (Lüthi), und über die alten und neuen Attitüden junger KünstlerInnen: beide Künstler blicken erstaunt und kritisch auf eine nachkommende Kunstgeneration, die nur mit Ausnahmen den inneren und äußeren Zwängen zu entkommen scheint.


TEIL 1

Salto.bz: Seit wann kennen Sie sich und wie kann man sich diese Zusammenarbeit für diese Ausstellung vorstellen?

Urs Lüthi: Seit wann kennen wir uns? Noch nicht so lange.

Arnold Mario Dall’O: Noch nicht so lange. Kennengelernt haben wir uns anlässlich des Projektes auf der Promenade in Meran, das ich koordiniere. Die Idee für die aktuelle Ausstellung kam von Alessandro Casciaro.

Lüthi: Arnold hat mich angerufen und gesagt, du, ich habe eine Galerie in Bozen, und der Galerist würde gern etwas mit dir und mir zusammen machen. Sehr einfach, im Grunde genommen.
Ich kannte Arnold ein bisschen, aber nicht so gut, und ich fand seine Arbeit - die ich teilweise kannte, aber nicht gründlich - interessant, und fühlte, dass da Sachen sind, bei denen wir uns nahe sind. Die Morbidität zum Beispiel, die Vanitas-Motive, die bei ihm immer wieder vorkommen, und die bei mir schon immer vorgekommen sind, Memento Moris und solche Geschichten.
Irgendwie war er mir auch sympathisch. So hatten wir relativ schnell eine Idee, aber noch keine detaillierte. Ich habe von ihm einen Teil der punktierten Tafeln gesehen, und fand diese unglaublich interessant, besonders da, wo sie sich sehr stark auflösen.

Dall’O: Das sind die „namenlosen Toten“ vor allem (Serie „Still.life“, 2012).

Lüthi: Die toten Gesichter, aber auch diese kaputten Blumen, wo es manchmal schon fast in die reine Abstraktion geht, aber trotzdem ist immer der Inhalt da. Und die Technik, wie es gemacht ist: dass das Bild je nach Lichteinfall total verschwindet oder wieder ganz präsent wird.
Dieses „Vanishing“, das in seiner Arbeit da ist, hat mich sehr interessiert, und ich habe eigentlich nur gesagt, dass ich mir diese oder jene Figur von mir dazu vorstellen könnte. Und wenn wir was machen, muss es extrem reduziert sein: also nicht einfach viele Sachen zeigen, sondern eine kleine Gruppe von Arbeiten, die ganz spezifisch miteinander korrespondieren, ohne dass sie illustrativ werden. Und so hatten wir ab und zu einen Austausch, ab und zu ein Mail, und auch Arbeiten hin- und hergeschickt.
Ich habe dann immer gesagt: nicht zu viel, weil sonst wird es immer zu gesprächig. Das möchte ich nicht. Ich möchte, dass es zurückhaltend bleibt, und dass es mehr ein Anstoß ist als eine ganze Riesengeschichte. Jetzt probieren wir aus, wie es wirklich im Raum wirkt. Wir sind guter Dinge, und ich glaube, es funktioniert.

Dall’O: Der Vorschlag kam damals, wie gesagt, von Alessandro Casciaro, und es war schnell klar, dass wir nicht eine zusammengewürfelte Sache wollen.

Lüthi:...nicht von zwei Künstlern nebeneinander irgendetwas. Sondern etwas, wo man sich ein bisschen hineingefühlt hat in die Arbeit des Anderen.

Dall’O: Ich kannte natürlich die Arbeit vom Urs schon länger, von verschiedenen Anlässen wie der Biennale usw. Ich kann es ja sagen: du bist einer von jenen Künstlern, die ich immer mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt habe. Du warst immer eine feste Säule im Kunstbetrieb.
Ich hab alle letzten Biennalen gesehen und man erinnert sich eigentlich an wenige Sachen. Dein Beitrag damals im Schweizer Pavillon war wirklich ein Lichtblick.

Lüthi: Du bist ungefähr 20 Jahre jünger als ich, dann bin ich eine Art Vaterfigur für dich.

Dall’O: Nicht ganz, so jung bin ich auch nicht mehr.

Gibt es einen Titel für die Ausstellung?

Dall’O: Wir haben eigentlich alles sehr reduziert, sogar die Gestaltung der Einladungskarte.

Lüthi: Damit es eben nicht in einer Schublade landet. Wir haben nur versucht, zusammen hier was zu machen. Und das soll jetzt auch keine neue Schule werden, sondern einfach ein Anstoß. Es geht hier ein roter Faden durch, spirituell zumindest.
Der hat mit Verschwinden zu tun, Vanitas, Memento Mori. Das ist ein Gebiet, auf dem er tätig ist, und auf dem ich tätig bin. Wir haben versucht, das hier zu vernetzen. Mehr soll das nicht sein. Wir sind ja kein Künstlerduo.

Dall’O: Wir haben das ganz absichtlich gemacht, eben keinen Titel darüberzustülpen. Das sind im Grunde zwei Positionen, die sich treffen, die aber ein Eigenleben haben, und die man auch nicht mit Kraft zusammenpressen sollte. Doch wir haben sehr viele Berührungspunkte. Die meisten Arbeiten sind für die Ausstellung entstanden, deswegen wussten wir ja, was im Laufe der Zeit langsam wächst.

Lüthi: Ehrlicherweise sind meine nicht neu, aber es sind natürlich alles neuere. Die neueste ist 3 – 4 Jahre alt.

Ist das Memento Mori ein Thema, das bei Ihnen immer stärker wird, je älter Sie werden, oder ist das immer schon da gewesen?

Lüthi: Bei mir war das immer schon da. Das liegt im Inhalt begraben. Ich habe immer Selbstportraits gemacht, und sobald Sie mit sich selber anfangen umzugehen, ist das Verschwinden inbegriffen. Wenn man geboren wird, ist man auf dem Weg zum Tod, blöd gesagt, oder philosophisch gesagt.
Insofern beschäftigt man sich immer mit diesem Thema. Ich hab schon in den 70er Jahren Portraits gemacht, u.a. eine Serie von 9 Portraits, wo ich ganz jung war, und dann eine Vorstellung davon versuche, wie ich aussehe, wenn ich älter werde. Nicht digital oder schnell mit Photoshop, sondern wirklich ein Versuch mit Schminke.

Meine Arbeit war immer konzeptuell angelegt, dass ich nämlich das Leben eines Menschen zeigen wollte. Da ist dieses Thema einfach inbegriffen, und das war schon in den frühesten Arbeiten der Fall. Ich habe ja nicht nur diese Sachen gemacht, die man von mir kannte, oder die dann berühmt wurden, wo es um den zweideutigen Sex ging. Eigentlich ging es mir vielmehr um das nicht Abgesichterte, das Ambivalente, das mit der Sexualität war eher so ein Nebenprodukt. Das ist immer so, man wird immer aus Missverständnissen heraus berühmt (lacht). Und das hält ja auch nicht so richtig.

Die gesamte Linie ist das, was ein Mensch macht in seinem Leben. Ich will nichts anderes als das Leben eines Menschen zeigen, anhand von meinem Beispiel. Und das ist schon angesetzt im ersten Bild. Deshalb baue ich auch meistens, wenn ich eine Ausstellung mache, irgendwas Älteres mit ein, damit man diese Zeitlinie irgendwo noch spürt. Denn die Leute, die heute zu einer Ausstellung kommen, die wissen gar nichts. Die haben längst vergessen, was vor 40 Jahren war. Deshalb habe ich auch dieses Mal eine kleine Arbeit aus den Siebzigern mit, um das Vergehen der Zeit, und den Wechsel und das Ambivalente miteinzubauen, weil es ja eben um diese Geschichte geht. (Zu Dall’O) Bei dir geht es weniger um so ein Leben, eher um das, was schon verloren ist.

Dall’O: In meiner künstlerischen Arbeit habe ich mich als Person meist rausgenommen. Ich habe Stellvertreterkriege geführt, wo ich als Person nicht präsent war, aber mich auf ironische Weise diesem Thema immer wieder genähert habe. Auch als Selbstschutz...

Lüthi: Bei deinen Bildern ist fast schon eine Anonymisierung da, z.B. bei den Bildern der unbekannten Toten: ganz anonyme Totenmaskenbilder, wo man nicht mehr weiß, wer das war. Diese nimmt er, und malt sie dann ganz anonym, als wären sie etwas ganz Wertvolles, und dadurch gewinnen sie eine neue Existenz.

Dall’O: Man baut eine Geschichte um etwas, das keine Geschichte hat. In einer Zeit, wo alles mit allem vernetzt scheint und man in Sekundenbruchteilen Informationen zu jeder Person erhalten kann, erscheint es eigenartig, dass es trotz allem Menschen gibt, die sterben und niemand weiß, wer sie waren. Menschen, die im dichten Raster einer Gesellschaft verlorengegangen sind. So bleiben nur Bilder der Obduktion. Kein Name, kein Geschichte, kein Umfeld. Und so male ich diese Fotos Punkt für Punkt nach. Was entsteht, ist ein Portrait, dessen abgebildete Person namenlos ist. Eine Umkehrung dessen, was im klassischen Sinne ein Portrait ausmacht.

Lüthi: Er macht sich auch die Mühe, das so ganz adäquat und gut darzustellen.

Dall’O: Bei meiner Arbeitsweise geht es um die extreme Zeitverzögerung. Das ist ja Punkt für Punkt gemalt, und das hat damit zu tun, dass man im Grunde versucht, die Zeit zu überlisten, oder anzuhalten, zu bremsen oder zu dehnen. Dem Gegenstand, der Person, Zeit zu geben. Im Grunde ist dieses Nachmalen von Punkten eine Korrektur dieser vorgegebenen Perfektion, die es im Rasterpunkt technisch gibt. Ich male sie nach per Hand, und das was dabei entsteht, sind ständige Fehlerquellen. Eigentlich geht es um die eigene Schwäche: es ist eine Art ständiger Überprüfung von sich selbst, und auch ein Versuch, dieser vorgegebenen Ordnung auszuweichen, die man teilweise steuern kann, und die teilweise im Automatismus einen eigenen Rhythmus bekommt.

Lüthi: Dazu kommt, welche Bilder du auswählst, du malst ja nicht irgendwas, sondern du malst kaputte Blumen, die vermodern.

Dall’O: Ein Beispiel könnte dieser Luster sein. Es ist der erste Luster, der elektrifiziert wurde. Ein Luster steht für eine völlig andere Zeit, es ist ein Relikt dieser Zeit, und plötzlich wird die Elektrizität erfunden und es kommen Glühbirnen hinzu. Es ist wie eine Art „Lifting“, eine Zeitüberschneidung.

Lüthi: Es ist ein Relikt aus dem Großbürgertum. Wir haben versucht, damit eine Gruppe zusammenzustellen: meine Arbeit in dieser Gruppe ist im Grunde genommen eine Persiflage auf das Meißner Porzellan, ein kleiner Diavolo, der sich ein bisschen mokiert über das Großbürgertum. Dann haben wir eine weitere Gruppe aus zwei Stücken zusammengestellt, wo es eher um den Ostblock geht (lacht). Da geht’s um ein Paar tote Schuhe und eine Sonne aus Stacheldraht.


 

Dall’O: Vordergründig sind es nichts anderes als Gegenstände.

Lüthi: Die Zusammenstellung hier soll nicht linear sein, sondern Assoziationsketten ermöglichen. Bitte nicht zu direkt! Aber schon so, dass Einem etwas einfällt dazu.
Im hinteren Raum sind die „Ex Voto“-Arbeiten, es ist eine Serie – ich arbeite immer in Serien, fast gleichzeitig - und das ist eine typische Serie.
„Ex Voto“ – eine Danksagung, dass ich noch lebe. So habe ich mich auch einmal gefühlt, so zerbrechlich und durchsichtig. Dann kam der Beitrag von Arnold noch dazu.

Dall’O: Im zweiten Raum hängt eine Arbeit von mir, die im Grunde nichts anderes ist als ein Sternennebel. Das ist eine Projektionsfläche. Memento Mori ist: man weiß, um was es geht, aber es ist trotzdem nicht greifbar. Es geht um die Vergänglichkeit, aber das ist ein Begriff, der nicht konkretisierbar ist in dem Moment.

Lüthi: Soll er ja nicht.

Dall’O: Der Sternennebel ist irgendwo, wie eine Wolke, wo sich Staub sammelt, Ablagerungen, mehr nicht.

(Der 2. Teil folgt hier)