Società | Sanitätsbetrieb

Prämie für den Täter

Der Bedienstete Marco Facchini hat sich bestechen lassen und wurde rechtskräftig verurteilt. Jetzt bekommt er von seinem Arbeitgeber mehr als 50.000 Euro Schadenersatz.
 
Dass in diesem Fall etwas nicht stimmt, dürfte selbst für jemand, der weder lesen noch schreiben kann, klar sein.
Dabei wirft der Fall aber eine weit brisantere Grundsatzfrage auf: Ist das italienische Justiz- und Rechtssystem so überhaupt noch tragbar?
Verständlich wird diese Frage, wenn man sich die Fakten genauer anschaut. Es ist eine absurde Geschichte, eine Verhöhnung des Rechtsstaates und ein Skandal, für den am Ende niemand zur Verantwortung gezogen wird.
 

Die Fakten

 
Am 18. März 2018 wird der Direktor des Amtes für Bauwesen im Sanitätsbetrieb Bozen Marco Facchini von den Beamten der Finanzwache verhaftet und in den Hausarrest überstellt. Die Vorwürfe gegen den Amtsdirektor sind schwerwiegend. Facchini soll zusammen mit sechs Unternehmern ein System der Bestechung aufgebaut haben. Es geht um die Vergabe von Aufträgen im Krankenhaus Bozen, die Beeinflussung und Lenkung von Ausschreibungen, Gegenleistungen der Unternehmer und finanzielle Zuwendung an den Direktor. Die Staatsanwaltschaften Bozen und Trient ermitteln gegen insgesamt 11 Personen. Man geht von mindestens 25 Ausschreibungen und Aufträgen aus, die unrechtsmäßig vergeben wurden­.
Die Beweise gegen Facchini sind erdrückend. So veröffentlichen die Ermittler ein heimlich aufgezeichnetes Video aus dem Büro des Amtsdirektors, in dem einer der beschuldigten Unternehmer zu sehen ist, wie er einen Briefumschlag am Schreibtisch deponiert. Facchini versteckt zuerst den Umschlag unter einer Mappe und verstaut ihn dann im Schreibtisch. Auf einer späteren Aufnahme ist Facchini zu sehen, wie den Umschlag öffnet, das Geld herausnimmt, zählt und einsteckt.
 
 
Das Video der Live-Bestechung sorgt Italienweit für Furore. Wenig später gibt die Spitze des Sanitätsbetriebes dann auf einer Pressekonferenz bekannt, dass man den Amtsdirektor fristlos entlassen habe.
 

Der Kronzeuge

 
Im März 2019 beginnt der Prozess. Anfänglich leugnet Marco Facchini alles. Den Ermittlern gegenüber behauptet Facchini, es habe sich um das Entgelt für einen privaten Möbelverkauf gehandelt.
Auf Anraten seiner Verteidiger Giancarlo Massari und Alessandro Melchionda ändert der ehemalige Amtsdirektor dann aber seine Strategie. Facchini räumte ein, insgesamt 9.908 Euro an Schmiergeld kassiert zu haben und er macht eine umfassende Aussage gegen sieben der beschuldigten Unternehmer.
 
 
Die plötzliche Kehrtwende ist einer Gesetzesneuerung geschuldet. Denn Facchini nutzt damit eine neue Regelung der Strafverminderung. Die Regierungskoalition Lega-M5S hat mit dem sogenannten „spazzacorrotti“-Gesetz eine Art Kronzeugenregel eingeführt.
Bestochenen Beamten, die gegen ihre Bestecher aussagen, wird für ihre Kooperation bis zu drei Drittel Strafnachlass angeboten. Zudem besteht für sie die Möglichkeit, Strafen unter vier Jahren im Sozialdienst abzuleisten.
Marco Facchini nutzt diese Möglichkeit und schließt Ende November 2019 am Landesgericht Bozen einen gerichtlichen Vergleich über zwei Jahren Haft wegen Bestechung ab.
 

Der Arbeitsprozess

 
Noch vor dem Strafprozess wird der Fall Facchini aber vor einem anderen Gericht verhandelt: Dem Arbeitsgericht. Hier tritt Marco Facchini aber nicht als Angeklagter, sondern als Kläger auf.
Der Amtsdirektor klagte gegen die Entlassung des Sanitätsbetriebes. Und er bekommt Recht. Am 7. Juni 2019 kommt das Arbeitsgericht zum Schluss, dass die Entlassung Facchinis so nicht rechtens war. Der Sanitätsbetrieb hatte bei der Kündigung einen formalen Fehler gemacht. Man hatte die gesetzliche Vorgangsweise bei der Entlassung nicht genau eingehalten.
Der Urteilspruch ist eine Watschen: Marco Facchini musste nicht nur vom Sanitätsbetrieb Bozen wiedereingestellt werden, sondern er bekommt auch noch eine Stange Geld. Aus einer Antwort von Sanitätslandesrat Thomas Widmann auf eine Anfrage des M5S-Landtagsabgeordneten Diego Nicolini geht hervor wieviel gezahlt wurde:
 
„Da quanto comunicato l’Azienda sanitaria ha corrisposto all’interessato il rimborso delle spese legali (pari ad € 7.025,00 + IVA, CAP e 15%), oltre al risarcimento di una somma pari a 12 mensilità arretrate (€ 46.160,28), rivalutazione, interessi e versamenti dei contributi previdenziali e assistenziali.”
 
Demnach bekommt Marco Facchini gut 55.000 Euro an Schadenersatz. Und das obwohl er inzwischen ein Schuldeingeständnis wegen Bestechung akzeptiert hat.
 

Niemand verantwortlich


Die Reaktion aus dem Sanitätsbetrieb ist Schweigen. Anfänglich erklärte man, man werde gegen das Urteil am Arbeitsgericht berufen. Laut der Antwort von Landesrat Thomas Widmann hat man die Berufung inzwischen aber fallen gelassen.
Dabei stehen in diesem Skandal doch einige Fragen noch im Raum.
 
 
Jeder noch kleinste Unternehmer nimmt sich bei einer Entlassung einen Arbeitsrechtler, der die Kündigung begleitet. Man kennt die Fallstricke des Arbeitsrechtes. Deshalb ist jeder Arbeitgeber hier besonders vorsichtig.
Im Sanitätsbetrieb hat man gutbestückte Personal-  und Rechtsämter. Zuständige Verwaltungsdirektoren und Führungskräfte, die sechsstellige Beträge im Jahr verdienen. Aber diese sind anscheinend nicht in der Lage, einen der Korruption überführten Beamten, so zu entlassen, dass die Kündigung vor dem Arbeitsgericht rechtens ist.
Die zuständigen Verwaltungsdirektoren und Führungskräfte sind anscheinend nicht in der Lage, einen der Korruption überführten Beamten, so zu entlassen, dass die Kündigung vor dem Arbeitsgericht hält.
Die Frage sei erlaubt: Was tun diese Damen und Herren? Wenn ein Täter auch noch so belohnt wird, dann zahlt sich das Stehlen aus. Zahlen muss der Steuerzahler. Zur Verantwortung wird hier niemand gezogen. Obwohl die zuständigen Beamten auf ganzer Linie versagt haben.
Marco Facchini arbeitet inzwischen an einer anderen Stelle im Sanitätsbetrieb. Man will ihn jetzt, wenn der gerichtliche Vergleich Rechtskraft erwirkt, entlassen.
Es bleibt nur zu hoffen, dass es die zuständigen und hochbezahlten Direktoren im Sanitätsbetrieb wenigsten dieses Mal richtig machen.