Cultura | Salto Afternoon
Käferkunst oder Künstlerkäfer
Foto: Seehauserfoto
Für die Galerie Antonella Cattani ist Runggaldiers Schau gleich in zweifacher Weise untypisch: Zum einen setzt die Verkaufsgalerie in der Bozner Rosengartenstraße sonst auf Künstler aus dem restlichen italienischen Staatsgebiet, oder von jenseits von dessen Grenzen, zum anderen setzt man für einen grenzüberschreitenden Appeal auf englische Ausstellungstitel.
Aktuell präsentiert man aber einen Künstler aus St. Ulrich unter dem deutsch-italienischem Doppeltitel „Il pensiero sostenibile / Der nachhaltige Gedanke“. Die Verbindung zum inoffiziellen Südtiroler (Un-)Wort des Jahres 2022 ist, wie das Wort selbst und das vom Borkenkäfer befallene Holz, welches unter anderem als Material dient, strapaziert. Wer eine Schau aus zu 100 Prozent recycelten Materialien sucht, der wird hier nicht fündig. Die Nachhaltigkeit und das Schadholz stecken hier (nur) einen Rahmen ab.
Betritt man die Galerie, so fällt als erstes eine Holzskulptur aus glatt poliertem, makellosem Holz ins Auge, mit sitzendem Denker-Sujet. Die für Runggaldier typische Mimik ist hier zu finden, die Haltung seiner ansonsten stehenden Figuren ist mit gebeugtem Rücken statt mit Hohlkreuz abweichend. Die - in diesem Fall aufgemalten - Augen der nackten, glattpolierten Figur gehen in den leeren Raum und darüber hinaus. Es wird streitbar bleiben, ob die in anderen menschlichen Großformaten zum Einsatz kommenden Glasaugen hierzu eine Aufwertung sind, für mich haben diese in Material und Ausdruck etwas Befremdliches, was nicht zum restlichen Ausdruck der hageren Holzmenschen passen will. Auch andere Grödner Künstler, wie Walter Demetz setzen auf solche Augen, die Wahrnehmung als potentieller Fremdkörper ist da wie dort die selbe.
Beseelt werden die Gäste in der Galerie ohnehin durch den Dialog mit dem ihm zur Seite stehenden Totholz. Recht gerade, dünne Stämme hat der Künstler von ihrer Rinde befreit und dabei die vom „Typografen“ oder „Buchdrucker“ ins Holz gefressenen Gangsysteme freigelegt und durch Behandlung der neuen Oberfläche kontrastreich hervorgehoben. Die Makel werden vom Künstler als „Zeichnungen“ im Medium Holz präsentiert, aus Sicht des Käfers sind es wohl eher Nazca-Linien, deren scheinbare Vorzeitigkeit und Primitivität (im ursprünglichen Sinne des Worts) eine interessante Klammer aufmachen ließe, wenn man dem Borkenkäfer Intention unterstellen wollen würde. So handelt es sich um einen spannenden Fund des archäologisch unter die Oberfläche dringenden Künstlers. Ganz ausgeflogen ist „Scolytinae“ nicht und so findet sich, als ironischer Wink eine vergoldete Raupe auf einem dürren Ast. An einem anderen Stamm ist eine Schnittfläche mit goldener Krone bedeckt. Ein Hauch von Kintsugi in der Südtiroler Natur.
Auch ein Umkehrspiel von Ursache und Wirkung ist zu beobachten, ähnlich wie beim „kreativen“ Spiel der destruktiven Käferlarven. Wurzeln werden als Baumkrone nach oben gerichtet, dürres Astwerk tritt gerade in den an den Wänden präsentierten „Malereien“ als Ausschnitt eines Wurzelgeflechts zu Tage. Die Grundfläche bilden dabei mit Säure behandelte Metallbilder, in deren Aussparungen die Enden der viel leichteren Hölzchen verschwinden. Während Mensch und Natur hier in unkritischer Nachbarschaft zu einander stehen, ist bei kleineren Figurengrüppchen die Distanz zwischen den Geschlechtern zu erahnen: Dort mit zwei eher grob belassenen Miniaturen, welche wie am Rande einer Bühne dem Betrachter zugewandt stehen, dort mit Mann hinter Milchglasscheibe und Frau davor. Letztere Arbeit könnte man leicht für ein Pandemie-Werk halten, das Thema ist bei Runggaldier allerdings schon früher datiert vorhanden.
Ebenfalls durch Milchglas in sich gekehrt sind zwei - wieder weiblich und männlich vorhandene Teilkörper zu sehen, aus dunklerem Holz, welches auf den ersten Blick an patinierte Bronze erinnern mag. Zum Kopf zu den Schultern (sie), sowie dem Torso aber der Hüfte (er) kommen als expressives Mittel, welches vom Wesen dieser Personen spricht die Hände, welche bei ihr ein unüberlegt über die Lippen gekommenes Wort vermuten ließe, bei ihm ein faszinierter Blick, welcher ihn zum Homo Faber macht.
Im hinteren Teil der Galerie, abgetrennt, eine letzte Figur des Künstlers im Dialog mit Gewesenem und noch Bevorstehendem für die Galerie, wie es hier bereits Tradition hat. Runggaldier steht hier im Gespräch mit Positionen von Paolo Radi, Peggy Wauters, Natalie Maier, Giovanni Frangi und Antonella Zazzeri. Vielleicht spricht man ja auch über den „Bostrico“ in dieser überraschend lokalen, aber nicht provinziellen Schau.
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