Nowaja Gaseta gesperrt
Zuletzt brachte die Nowaja Gaseta (Новая газета) noch ausführliche Beiträge über Michail Gorbatschow. Die Zeitung entstand in der Epoche von Glasnost und Perestroika. Der damalige Staatspräsident Gorbatschow war ein wesentlicher Förderer des Blattes, das für ein demokratisches und liberales Russland stehen sollte, für Grundrechte und für eine Allianz mit der Europäischen Union.
"In einem Land, in dem die Behörden ständig etwas verbieten wollen, einschließlich des Verbots, die Wahrheit zu sagen, sollte es Publikationen geben, die sich weiterhin mit ehrlichem Journalismus beschäftigen", lautet das Credo der Nowaja Gaseta.
Gorbatschow verstarb am 30. August, das offizielle Russland des Putin-Regimes zeigte Trauergefühle nur in einer beschränkten Weise. Wenige Tage später, am 5. September, entzog das zuständige Gericht in Moskau der Nowaja Gaseta die Lizenz. Der diesbezügliche Antrag wurde von der russischen Zensurbehörde Roskomnadsor gestellt. Die Ausgaben der Nowaja Gaseta können damit nicht mehr erscheinen, auch die Website ist in Russland gesperrt. Damit wirkt die Ära des Michail Gorbatschow nachhaltig beendet.
Chefredakteur Dmitri Muratow wurde 2021 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Offenbar konnte damit das weitere Wirken der Nowaja Gaseta in Russland noch für kurze Zeit beschützt werden. Allerdings befand Putin in einem Statement, dass die Bedeutung des Friedensnobelpreises abgewertet sei, da Barack Obama die Auszeichnung 2009 erhielt: "Was machte er für den Frieden?", monierte der russische Präsident, der der Ukraine den Krieg erklärte.
"Sie haben den Lesern das Recht genommen, Informationen zu bekommen", erklärte die Redaktion der Nowaja Gaseta. Muratow will sich allerdings auch weiterhin von den Machthabern nicht einschüchtern lassen, er kündigte sofort an, dass er Berufung gegen das Urteil einlegen werde.
Hartes Putin-Regime
Die Hardliner in Moskau zögerten, die Nowaja Gaseta zu schließen. Als Gegenspieler von Chefredakteur Muratow muss dabei Politikprofessor Sergej Karaganow gelten, der einflussreiche Berater des russischen Präsidenten, der offen für ein "strenges und autoritäres Regime" eintritt und die Grenzen der russischen Macht nochmals weit in die Europäische Union verschieben möchte, wie in der Zeit des Warschauer Paktes, vor den Reformen von Gorbatschow.
Tatsächlich wäre es erstaunlich, wenn das Putin-Regime die Nowaja Gaseta toleriert. Schon bei der Okkupation der Krim, im März 2014, zeigte Chefredakteur Dmitri Muratow offen und deutlich seine Kritik.
Auf der Seite der Ukraine
Im aktuellen Angriffskrieg, den das Putin-Regime durchführt, stand die Nowaja Gaseta deutlich auf der Seite der Ukraine. Schon im März 2022 kam es deshalb zu Problemen mit der neuen Führungsschicht in Russland. Es wurde angekündigt, dass die publizistische Tätigkeit beendett werden muss, aufgrund der ausgeweiteten Zensurgesetze. Es wurde die Nowaja Gaseta Europe gegründet, die Redaktion wurde in Lettland angesiedelt und soll weiterhin das Erscheinen sichern. Die erste Ausgabe der Nowaja Gaseta Europe wurde Anfang Mai vorgelegt. Für die Website wurde die europäische Domain .eu gewählt: www.novayagazeta.eu
In der europäischen Nowaja Gaseta können die Redakteure weiterhin ihre Sympathien für die Ukraine zeigen, in Bildern und in eindeutigen Texten.
Dmitri Muratow wollte ein Zeichen setzen und der Ukraine auch persönlich helfen. Er versteigerte dafür seine Friedensnobelpreismedaille. In der Auktion bei Heritage Auctions in New York, am 20. Juni, wurde ein Rekordpreis erzielt: 103,5 Millionen Dollar. Muratow war persönlich anwesend:
“Several months ago, we at Novaya Gazeta asked ourselves what we could do to stop the war and help these civilians get their lives back. We decided to sell our Nobel Peace Prize medal", erklärte Muratow bei der Auktion. ("Vor einigen Monaten, fragten wir uns bei der Nowaja Gaseta, was wir machen könnten, um den Krieg zu beenden und der Bevölkerung zu helfen, dass Sie wieder ihr normales Leben erhalten", erklärte Muratow).
Der Erlös der Medaille wurde UNICEF gewidmet, für Kinder aus der Ukraine, die durch den Krieg aus ihrer Heimat vertrieben wurden, insbesondere auch für Waisenkinder.
Protest internationaler Journalisten-Organisationen
Die International Federation of Journalists (IFJ), mit Sitz in Brüssel, die Journalisten aus mehr als 140 Ländern vertritt, formulierte deutliche Kritik. Es wurde die "Verspottung der Justiz" verurteilt, die mit dieser Entscheidung zum Ausdruck kam. Der Entzug der Zeitungslizenz soll von den russischen Behörden rückgängig gemacht werden.
Das Committee to Protect Journalists (CPJ) erklärte: "Die russischen Behörden sollten die Entscheidung rückgängig machen, die der unabhängigen Zeitung Novaja Gaseta die Lizenz entzieht, die Publikationen sollen nicht mehr zensiert und die Mitarbeiter nicht mehr belästigt werden". CPJ ist eine unabhängige Organisation mit Zentrale in New York, die die Pressefreiheit weltweit sichern möchte. CPJ fragte die Zensurbehörde Roskomnadsor und das zuständige Gericht in Moskau um Stellungnahmen an, doch wurde keine Antwort erhalten.
Autor:
Johannes Schütz (www.journalist.tel)
© Johannes Schütz, 2022