Cultura | Interview

„Kunst lässt sich nicht stoppen“

Musiker und Publikum fahren gemeinsam gen Himmel. Am 14. September hat „Ascension“ des russischen Komponisten Alexander Manotskov Weltpremiere beim Transart Festival auf dem Vigiljoch. Ein Gespräch über Macht und Grenzen der Kunst.
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Alexander Manotskov
Foto: Alexander Manotskov
  • Musiker und Publikum fahren gemeinsam auf gen Himmel. Mit der Seilbahn. Bei einem Spaziergang. Mit dem Sessellift. Am 14. September hat „Ascension“ des russischen Komponisten Alexander Manotskov Weltpremiere beim Transart Festival auf dem Vigiljoch. Salto hat mit dem Komponisten über Macht und Grenzen der Kunst gesprochen.

    SALTO: Auf youtube  findet man von Ihnen einen Psalm über ein Gedicht von Paul Celan. Beim ersten Hinhören mutet das fast keltisch an…

    Manotskov: Keltisch? (lacht) Das ist russisch! Ich benutze einige russische Fakturen in diesem Stück. Einige russische Elemente und Stile sind in Europa nicht so bekannt. Sie gehen auf eine alte Kompositionstechnik zurück und die benutze ich in diesem Psalm. Ich fand es eine gute Idee, deutsche Literatur mit alter russischer religiöser Musik zu kombinieren.

  • Zur Person

    Alexander Manotskov ist ein russischer Komponist. Geboren wurde er 1972 in St. Petersburg, das damals noch Leningrad hieß. Vor dem Ukrainekrieg arbeitete er in vielen Ländern, auch in der Ukraine. Aufgrund seiner kritischen Haltung zum Ukrainekriege gilt Manotskov in Russland heute offiziell als Staatsfeind, seine Werke sind in Russland verboten und werden, wenn überhaupt, ohne Nennung des Komponisten aufgeführt. Seit gut zwei Jahren lebt Manotskov mit seiner Familie in Düsseldorf. Seine Komposition „Ascension“ hat am 14. September auf dem Vigiljoch im Rahmen des Transart-Festivals Uraufführung.

  • Wie klingt „Ascension“, das Stück, dass Sie bei Transart uraufführen? So ähnlich oder ganz anders?

    Ganz anders. Für einen Komponisten ist es aber schwer zu sagen, wie seine Musik klingt. Ich muss aber erklären, warum ich den englischen Titel „Ascension“ gewählt habe. Es bedeutet nämlich „Aufstieg“ und „Himmelfahrt“. Diese Dualität ist für mich sehr wichtig. Die Menschen im Publikum können dann selbst entscheiden, ob sie die spirituelle Komponente oder die technische Komponente des Nach-oben-Gehens wahrnehmen. Die Idee des Aufstiegs ist auf jeden Fall, räumlich, spirituell und auch musikalisch interessant.

    Spiritualität spielt also eine Rolle, weil das Stück auf dem Vigiljoch aufgeführt wird und man da dem Himmel ein Stück näher ist?

    Ich möchte darüber nicht zu viel sprechen. Ich bin Komponist. Ich bin kein Priester und kein Philosoph. Ich spreche nicht mit Worten. Meine Sprache ist die Musik. Musik ist zu groß und ich möchte nicht alle Bedeutungen, die Musik haben kann, auf eine spirituelle oder Philosophische Deutung reduzieren.

  • Das Werk

    Ascension ist der Titel des neuesten Werks für Stimme und Kammerensemble von Alexander Manotskov. Das Stück wurde eigens für den Aufstieg zum Vigljoch geschrieben. Verarbeitet wurde unter anderem das zirkassische Lied „Adijuch“. Das Lied basiert auf einer alten Legende, die von einer zauberhaften Frau erzählt, die in den Bergen gestorben ist und für die ihr Geliebter nun nach einem Ort sucht, an dem er sie begraben kann.  Für den Gesangspart konnte die Sängerin Svetlana Mamresheva gewonnen werden.

  • Aber so viel können wir doch verraten: „Ascension“ verarbeitet das Thema der interreligiösen Pilgerreise.

    Nein! Ich möchte nicht zu viel darüber sprechen. Wenn ich zum Beispiel das spiele (spielt eine immer gleiche Akkordfolge am Klavier) und eine Stunde lang nur das mache und ich Sie dann frage: „Ist das gute Musik?“ Dann antworten Sie natürlich: „Nein, das ist scheiße!“ (lacht). Dann sage ich: „Sie sind nicht spirituell genug.“ Es ist gefährlich für einen Künstler alles durch die spirituelle Linse zu sehen.
     

    „Ascension“ ist mein erstes Stück in Bergkulisse."


    Dann sprechen wir doch über die Form. Es ist eine Aufführung unter freiem Himmel, von der Seilbahn, über einen Spaziergang bis zur Fahrt mit dem Sessellift. Die Musiker bewegen sich mit den Zuhörern – das Ganze ist also sehr dynamisch – warum haben Sie das so angelegt?

    Unser Stück wird nicht nur gehört, sondern erfahren. Aber das gilt eigentlich für jedes Konzert oder für jede Oper, auch in einer Konzerthalle. Ich habe schon viele Sachen  für Outdoor-Aufführungen geschrieben, aber „Ascension“ ist mein erstes Stück in Bergkulisse. Räumlich ist auch musikalisch. Meine Partituren sind anfangs auch nur eine Linie mit einem Anfangs- und einem Endpunkt und im Laufe der Zeit fülle ich die räumliche Distanz zwischen Punkt A und Punkt B mit Noten und Tonleitern. In meiner Technik gibt es keinen Unterschied zwischen räumlich und zeitlich. 

    Wie kam es eigentlich zur Zusammenarbeit mit Transart?

    Zu Beginn bot das Festival Alina Petrova, der Leiterin von Kymatic, an, etwas zum Berg-Thema zu machen. Sie erinnerte sich daran, wie sie und ich vor einigen Jahren gemeinsam einige meiner von georgischer Folklore inspirierten Stücke gespielt hatten. Also fragte sie mich, ob ich vielleicht etwas komponieren möchte. Ich hatte dieses Konzept und dann schrieb ich das Stück. Davor habe ich das Vigiljoch besucht, um die Atmosphäre, die Akustik und - das Wichtigste – den Raum zu verstehen.
     

    "Es ist nicht meine Aufgabe, den Himmel zu erschaffen. Jemand hat das schon gemacht. Und es ist sehr gut gemacht."

  • Foto: Kymatic
  • Wie versteht man Raum?

    Indem man versteht, wie lange die Reise dauert und was man dabei fühlt. Weil Sie vorher so auf den Himmel bestanden haben: der ist zum Bespiel schon da. Es ist nicht meine Aufgabe, den Himmel zu erschaffen. Jemand hat das schon gemacht (lacht). Und es ist sehr gut gemacht. Meine Partitur benutzt vorhandene Rhythmen als Cantus firmus und ich muss Variationen und Interpretationen für diesen Rhythmus schaffen. Ich habe aber keine Verantwortung dafür, was die Zuhörer dann verstehen. Musik ist selbständig phänomenal. Sie ist, was sie ist. Zum Glück. Man muss nicht immer alles erklären.

    Kommen wir also wieder zur Form. Neben Saxofon und Gesang kommen auch Megafone zum Einsatz. Wie darf man sich das vorstellen?

    Megafone machen nicht nur Sachen lauter, wir benutzen sie als Musikinstrumente. Das klingt ein bisschen seltsam. Man kann aber ein Megafon als Klangquelle benutzen. Jeder kennt den Effekt der Rückkopplung. Der Klang ist normalerweise schrecklich, und wir empfinden ihn nicht als besonders musikalisch, aber für mich klingt das sehr gut und darum setzen wir das ein. Außerdem kann man mit Hilfe von Megafonen sehr interessante Klänge erzeugen, ganz ähnlich wie beim Obertongesang. (stimmt einen Obertongesang an).

    Womit wir wieder beim keltischen Klang wären… 

    Nein, die Kelten machten das nicht. Aber mit dem Megafon kann man das machen. Und natürlich benutzen wir die Megafone auch als Klangverstärker, weil wir ja im Freien sind. Darüber hinaus sind Saxofon, Melodika und E-Gitarre und elektrische Geige und Cello im Einsatz. Und natürlich unsere Sängerin, Svetlana Mamresheva. Ich habe sie eingeladen mit uns zu singen, weil sie beides kann: zeitgenössische und traditionelle Musik.

    Sie sind Russe und haben vor dem Krieg viel in der Ukraine gearbeitet. Kann Musik Brücken schlagen, Grenzen überwinden, wenn wirklich Krieg ist.

    Leider nein. Vor dem Krieg habe ich das noch geglaubt. Ich persönlich empfand mich immer als Verbindung zwischen der russischen und ukrainischen Kultur. Ich hoffte und glaubte, mit meinem Engagement die Bindung zwischen unseren Völkern stärken zu können, aber am 24. Februar 2022 (Anm. d. Red.: mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine) war plötzlich alles kaputt. Ich arbeite hier in Deutschland noch mit ukrainischen Künstlern, aber mehr geht nicht.
     

    "Selbst nach den Gräueln des zweiten Weltkriegs und nach Auschwitz war Kultur noch möglich."


    Und nach dem Krieg…?

    …Wird es weitergehen. Kunst lässt sich nicht stoppen. Ich bin Künstler seit 30 Jahren, ich kann nicht einfach aufhören. Selbst nach den Gräueln des zweiten Weltkriegs und nach Auschwitz war Kultur noch möglich.

    Am 14. September sind Sie mit Ihrem Stück „Ascension“ in Südtirol. Es wird zwei Aufführungen geben. Was wünschen Sie sich für ihre Konzerte?

    Ich hoffe, dass alles klappt und dass wir alles so singen und spielen, wie ich es in meiner Partitur geschrieben habe. Es gibt immer ein gewisses Risiko. Eine 90-minütige Partitur zu schreiben, braucht viel Zeit und ist viel Arbeit. Wir spielen das Stück zweimal und das war’s und die Gegebenheiten werden immer andere sein. Unser Stück kann nur auf dem Vigiljoch stattfinden. Wir hoffen, dass wir Publikum haben und dass unser Publikum offen ist, um sich auf unser Stück einzulassen.

    Herr Manotskov, wir danken für das Gespräch.