Ambiente | Jubiläum

"Südtirol ist bunter geworden"

Auch Dank der oew. Am 12. Oktober feiert die Organisation für Eine solidarische Welt ihren 25-jährigen Geburtstag. Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden Philipp Frener.

Am Beginn war es ein Einmann-Projekt im Magazin des Weltladens in Brixen. Heute ist die oew eine über Südtirols Grenzen hinaus anerkannte Organisation mit vielfältigen Tätigkeitsfeldern. Am 12. Oktober feiert die Organisation für Eine solidarische Welt ihren 25. Geburtstag. Seit einem halben Jahr ist Philipp Frener Vorsitzender der oew. salto.bz hat mit ihm gesprochen, über 25 Jahre Engagement, neue und alte Bausteine und wie sich auch Südtirol inzwischen verändert hat.

salto.bz: Herr Frener, was hat sich in einem Vierteljahrhundert oew verändert?
Philipp Frener: Als Organisation sind wir auf jeden Fall gewachsen, größer geworden. Thematisch hat sich einiges getan in unserer Arbeit. Der Impuls zur Gründung vor 25 Jahren war der klassische Nord-Süd-Konflikt. Wir wollten den Zusammenhang zwischen dem Konsumverhalten im so genannten Westen mit der Armut im so genannten Süden und im Osten der Welt, aufzuzeigen. Von dem ausgehend und den klassischen Entwicklungshilfe-Themen haben wir uns in zwei Bereichen weiterentwickelt. Einmal ist das Thema “Bewusst Wirtschaften” dazugekommen. Dabei legen wir besonders Wert auf die regionalen Kreisläufe wie die lokale Landwirtschaft und wie sich unser persönliches Konsumverhalten verändern kann. Der dritte Schwerpunkt ist das “Miteinander”.

Die Integration also?
Früher hat man “Integration” gesagt, wir nennen es “Miteinander”. Weil es darum geht, dass Menschen, die zu uns kommen, eine neue Heimat in Südtirol finden sollen. Besonders heute ist das Miteinander hierzulande und in Europa nicht einfacher geworden. Unser Anliegen ist es, dass wir miteinander auskommen, egal, welchen Hintergrund, die Menschen, die zu uns kommen, haben. Das “Miteinander” ist ja mittlerweile ein Dauerthema, nicht nur bei uns im Land, sondern überall.

Sie meinen wegen der aktuellen Flüchtlingssituation?
Auch. Die Problematik des friedlichen Zusammenlebens hat sich in letzter Zeit durch die Flüchtlingsströme wieder zugespitzt. Südtirol ist dabei zwar nicht so stark betroffen wie andere Länder, etwa Deutschland, Österreich oder Ungarn. Aber es ist auch ein Südtiroler Thema.

Wir müssen den Mut haben, Wahrheiten klipp und klar auszusprechen und gewisse Themen aufzugreifen.

Wie geht die oew damit um?
Das Miteinander ist wie gesagt seit langem einer unserer Schwerpunkte. Was nun konkret die Flüchtlinge anbelangt, hat die oew mit Sonja Cimadom, die für den Bereich “Miteinander” zuständig ist eine Kooperation mit Monika Weissensteiner von der Alexander Langer Stiftung gestartet. Die zwei beobachten verstärkt die Situation in Bozen und am Brenner beziehungsweise vor kurzem auch in Brixen. In unregelmäßigen Abständen wird die Thematik auch innerhalb unserer Straßenzeitung zebra. angesprochen. In der September-Ausgabe etwa war ein Bericht drin, wie die Situation jetzt wirklich ausschaut und Porträts von Menschen, die den ankommenden Menschen zur Seite stehen. In Zukunft werden wir sicherlich unsere Arbeit in dem Bereich verstärken, das Potenzial der oew in der Flüchtlingsthematik ist sicherlich noch nicht ausgeschöpft.

Philipp Frener: “Viele Südtiroler sind in die Welt hinaus. Umgekehrt ist die Welt auch nach Südtirol gekommen.” Foto: oew

Sie haben die Straßenzeitung zebra. angesprochen. Diese gibt es nun seit mittlerweile zwei Jahren.
Genau, zebra. hat den früheren oew-Rundbrief ersetzt. Sie passt in das Konzept der Organisation, hinaus zu den Menschen zu gehen, sie zu informieren. Neben den Informationsveranstaltungen haben wir im Laufe der Jahre auch eine Fachbibliothek aufgebaut, die ziemlich gut besucht ist und eben auch hinaus geht, etwa in Schulklassen. Eine weitere Überlegung hinter zebra. war allerdings auch, über ein Sozialprojekt Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch vielen, die am Rande der Gesellschaft stehen, durch den Verkauf der Straßenzeitung einen kleinen Geldbetrag zu sichern.

Bewusstseinsbildung ist ein dauernder Prozess und muss tagtäglich weitergetragen werden.

Stichwort Geld: Wie schafft es die oew, sich zu finanzieren?
Der Großteil der Gelder kommt vom Land beziehungsweise der öffentlichen Hand. 2014 haben wir an die 185.000 Euro erhalten. Der Großteil des Gesamtbudgets geht übrigens für das Personal drauf. Wir haben neben den zahlreichen Freiwilligen inzwischen sieben hauptamtliche Mitarbeiter in der oew. Was den Rest anbelangt, wird einfach versucht, alles mit minimalstem Aufwand zu organisieren.
zebra. hingegen ist eine Zeitung, die sich inzwischen selber trägt. Die Produktionskosten werden teilweise durch den Verkauf gedeckt. Bekanntlich gehen von den zwei Euro des Verkaufpreises ein Euro an den Verkäufer und ein Euro wird für die Produktion einberechnet. Am Ende des Tages machen wir aber keinen Profit, sondern sorgen dafür, dass das Geld, das wir erhalten, investiert wird.

Gelingt es dann trotzdem, unabhängig zu bleiben – wenn man auf Beiträge von außen angewiesen ist?
Also, wir bekommen nicht vorgeschrieben, mit welchen Themen wir uns wie beschäftigen müssen. Das geht auch nicht, denn wir haben in unseren Statuten unsere Unabhängigkeit ganz klar festgeschrieben. Aber weil die öffentliche Hand nicht wirklich alles perfekt erledigt, macht es sich die oew zur Aufgabe, sich um gewisse Bereiche zu kümmern. Dabei halten wir ganz strikt und transparent fest, wofür wir die erhaltenen Gelder ausgeben. Damit bieten wir auf der einen Seite eine Garantie für die Geldgeber, andererseits bewahren wir uns somit die komplette Unabhängigkeit in der Festlegung unserer Schwerpunkte. Aber auch für Kritik muss Platz sein.

Südtirol hat sich einerseits geöffnet, andererseits wurde es aber auch geöffnet.

Die es von Ihrer Seite gibt?
Durchaus. Zum Thema Bettler zum Beispiel sind wir komplett anderer Meinung was einzelne Gemeinden anbelangt. Wie etwa die Verbots-Maßnahmen, die in letzter Zeit getroffen wurden, darunter in Brixen und Bozen. In solchen Fällen können wir durchaus kritisieren, auch jene, die uns zum Teil finanzieren. Und wie gesagt, diese Kritik muss in einer Demokratie Platz haben.

Wer kennt sie nicht? Die Straßenzeitung zebra. – hier die September-Ausgabe. Foto: Facebook/oew

Ist die Akzeptanz im Land, sowohl für die Organisation selbst als auch für die Themen, für die sie sich einsetzt, im Vergleich zu früher gestiegen?
Ja, auf jeden Fall. Wenn man die Situation von 1990 und 2015 vergleicht, dann kann man feststellen, dass sich das Land einerseits geöffnet hat, andererseits aber auch geöffnet wurde. In dem Sinne, dass ganz viele Südtiroler inzwischen aus dem Land herausgekommen sind – einmal durchs Studium, einmal durch die Arbeit oder anderen Gründen. Die Menschen sind dadurch sensibel geworden – Südtirol hört nicht mehr bei Salurn auf. Umgekehrt ist die Welt natürlich auch nach Südtirol gekommen, kurz- und langfristig. Migranten, die sich in unserem Land angesiedelt haben und dann auch die Flüchtlinge. Die erste große Flüchtlingswelle hat uns während des Balkankriegs erreicht, später dann Menschen aus Afrika. Inzwischen kommen die meisten aus den Gebieten des Nahen Ostens, aus Syrien, Afghanistan, aber verstärkt auch aus der Sahel-Zone. Und dadurch ist unser Land bunter geworden.

Die Flüchtlingsproblematik ist auch ein Südtiroler Thema.

Diese Entwicklungen haben wahrscheinlich eine Bewusstseinsveränderung im Land bewirkt?
Die Sensibilität für diese Themen ist bemerkenswert gestiegen. Es hat sich viel zum Positiven verändert, und doch ist es mit einzelnen Aktionen nicht getan. Bewusstseinsbildung ist ein dauernder Prozess und muss tagtäglich weitergetragen werden. Damit sich die Menschen mit Freude begegnen können. Doch auch sonst hat sich Südtirol in den vergangenen 25 Jahren sehr stark weiterentwickelt, vor allem was die Sensibilität für die regionalen Kreisläufe betrifft. Das Thema wird inzwischen auch von anderen Organisationen weitergetragen.

Und was wünschen Sie sich nun für die Zukunft?
Für die oew natürlich, dass sie bleibt. Und die Augen offen hält für die Probleme der Leute draußen. Denn das war ja einer der Impulse für die Gründung – den Leuten draußen zu helfen und den Südtirolern zu zeigen, wie die Welt draußen funktioniert. Also zu veranschaulichen, dass unser Verhalten hier Auswirkungen auf jemanden, der in Afrika oder Südamerika lebt. Da müssen wir den Mut haben, diese Wahrheiten klipp und klar auszusprechen. Und gewisse Themen aufgreifen, trotz der Widerstände, die es vielleicht gibt. Weil erst wenn man die Sachen anspricht, dann geht es einem wirklich gut.