Società | Bergrettung

„Schlappen nicht unbedingt die Ursache“

Die Zahl der Rettungseinsätze in Südtirols Bergen steigt von Jahr zu Jahr. BRD-Landesleiter Ernst Winkler über die Ursachen.
Flugrettung
Foto: suedtirol Foto/Udo Bernhart
In Südtirol wird der Bergrettungsdienst von zwei staatlich anerkannten Hilfsorganisationen durchgeführt. Zum einen vom Südtiroler Berg- und Höhlenrettungsdienst C.N.S.A.S. und zum anderen vom Bergrettungsdienst im AVS (BRD). Gemeinsam gewährleisten sie den flächendeckenden Rettungsdienst in Südtirol, der mit einer kontinuierlich steigenden Anzahl von Einsätzen konfrontiert ist. So wurden im vergangenen Jahr laut Alpiner Unfalldatenbank über 1.821 Ereignisse gezählt, bei denen BRD und C.N.S.A.S. ausgerückt sind.
 
 
Salto.bz: Während andere Vereine Nachwuchssorgen haben, erfreut sich der Bergrettungsdienst im AVS großer Beliebtheit. 2021 konnte mit 1.039 aktiven Mitgliedern sogar ein neuer Rekord aufgestellt werden. Wie ist diese Beliebtheit zu erklären?
 
Ernst Winkler: Wir sind zunehmend auch für jüngere Leute sehr attraktiv, weil es sich zum einen um eine sehr sinnvolle Tätigkeit handelt und zum anderen sind Bergsteigen und Wandern sehr beliebte Sportarten, die wieder vermehrt von Familien und jüngeren Leuten ausgeübt werden. Im Unterschied zu anderen Rettungsorganisationen, wo Tag- und Nachtschichten geleistet werden, ist der Bergrettungsdienst in seiner Tätigkeit flexibler gestaltet. Wie die Feuerwehr werden wir bei einem Einsatz sofort informiert, einige Einsatzgebiete ausgenommen, in denen häufiger Unfälle passieren, ist das Einsatzaufkommen in Summe jedoch geringer bzw. sind zum einen weniger Einsatzstunden zu leisten und zum anderen ist auch der Aufwand kleiner.
 
 
 
Schwingt auch ein bisschen stolz mit, wenn man zu den Bergrettern gehört?
 
Ja, das ist tatsächlich so, obwohl die Einstiegshürde sicherlich nicht einfach zu bewältigen ist. Nachdem der Andrang jedoch relativ groß ist, können wir es uns auch leisten, gewisse Anforderungen an den Nachwuchs zu stellen. Die bergsteigerischen Fähigkeiten müssen die Anwärter dabei bereits mitbringen, denn diese werden in unseren Kursen nicht vertieft. Im Rahmen der Ausbildung zum Bergretter wird den Anwärtern die gesamte Bandbreite der rettungstechnischen Praktiken beigebracht, die geübt und zum Abschluss geprüft werden. Was die bergsteigerischen Fähigkeiten betrifft, stellen wir auch hier sehr hohe Anforderungen, denn auch die Ausbildung selbst ist recht anspruchsvoll und benötigt einiges an Zeit und Einsatz. In Summe beträgt die Ausbildungszeit 28 Tage, die innerhalb von minimal zwei Jahren und maximal fünf Jahren absolviert werden kann.
 
 
Natürlichen stechen die schrecklichen Unfälle mit Todesfolge immer hervor und sorgen in den Medien und in der Öffentlichkeit für große Resonanz.
 
 
Laut Ihrer Tätigkeitsberichte steigen die Einsätze jährlich an. Im Vorwort zum Jahresbericht 2021 haben Sie sich sogar ein bisschen weniger Wachstum gewünscht.
 
Die Anzahl der Einsätze steigt tatsächlich kontinuierlich an. Der Eindruck, dass sich die Einsätze häufen, wird nach Außen zusätzlich durch die Tatsache verstärkt, dass die Meldungen über die Notrufe unmittelbar eingehen, wir sehr schnell an den betreffenden Einsatzorten sind und die Meldungen darüber auch entsprechend schnell an die Medien weitergeleitet werden. Geschuldet ist der Anstieg der Unfallzahlen vor allem aber auch der Tatsache, dass heute mehr Leute zum Wandern in die Berge gehen als noch vor 30 Jahren – dies betrifft Touristen wie auch Einheimische. Bergsteigen ist für alle Altersstufen attraktiv.
 
Hat Südtirol ein Problem mit „zu vielen Unfällen?
 
Die Anzahl und Art der Einsätze sind händelbar. Natürlichen stechen die schrecklichen Unfälle mit Todesfolge immer hervor und sorgen in den Medien und in der Öffentlichkeit für große Resonanz. Die große Mehrzahl der Einsätze betrifft jedoch leichte Unfälle.
 
 
 
 
Von rund 40 verschiedenen Einsatzarten ist in den Berichten zu lesen, die von einer Tierbergung, über Knöchelverletzung bis hin zu einer Bergung in einer Wand reichen. Letztere scheinen allerdings abzunehmen.
 
In der Tat nehmen die technischen Einsätze ab. Das hängt damit zusammen, dass die Bergsteiger und Kletterer heutzutage besser ausgebildet sind bzw. dass die Grundausbildung sehr viel besser geworden ist. Der Zugang zu einer besseren Ausbildung wurde übrigens vor allem durch die alpinen Vereine ermöglicht. Aber auch die Tatsache, dass qualifizierte Bergführer für anspruchsvolle Touren engagiert werden, reduziert das Unfallrisiko.
Die hohe Anzahl an Unfällen, die glücklicherweise meistens leicht enden, kommt zustande, wenn mehrere Faktoren zusammenspielen wie beispielsweise Unkenntnis der Landschaft, mangelnde Kondition, ungünstige Wettersituationen, unzureichende Information und zudem noch etwas Pech. Schwere Unfälle sind jedoch Gott sei Dank selten. In Zusammenarbeit mit dem Land Südtirol haben wir die Alpine Unfalldatenbank erstellt, in der die Unfallstatistiken und die Informationen zu den jeweiligen Unfallhergängen abgerufen werden können. Diese Daten können unter anderem für Präventionsmaßnahmen genutzt werden.
 
 
Schwere Unfälle sind jedoch Gott sei Dank selten.
 
 
Könnte mit ausrechend Präventionsmaßnahmen und Informationen die Unfallrate gesenkt werden?
 
Insbesondere Lawinen-Seminare haben maßgeblich dazu beigetragen, die Unfallrate zu senken. Die Anzahl der Lawinen-Unfälle ist bei uns im Vergleich zu anderen Regionen wie beispielsweise Nordtirol verschwindend gering. Wobei man dazusagen muss, dass auf Nordtiroler Seite mehr schneereiche Tage bzw. Tage mit unvorhergesehenen Schneefällen oder anderen Wetterereignissen verzeichnet werden als bei uns. Man hat jedoch bereits frühzeitig erkannt, dass eine Ausbildung benötigt wird, um sich in Lawinen gefährdetem Gebiet sicher bewegen zu können. Grundsätzlich legen wir sehr viel Wert auf Prävention, dass solche Aufklärungsmaßnahmen Resultate erzielen, hat man am Beispiel Lawinenseminare gesehen.
 
 
Im Großen und Ganzen verhalten sich die Wanderer und Bergsteiger sehr verantwortungsvoll.
 
 
Immer wieder wird berichtet, dass Personen aus Lichtsinn oder Selbstüberschätzung in Bergnot geraten bzw. Hubschrauber und Bergretter teilweise als Taxi benutzen.
 
Solche Einsätze kommen vor, sind aber eher selten bzw. ist es eher die Ausnahme als die Regel. Im Großen und Ganzen verhalten sich die Wanderer und Bergsteiger sehr verantwortungsvoll. Unfälle resultieren wie gesagt meistens aus einer Verkettung unglücklicher Umstände, wo mehrere Faktoren eine Rolle spielen …
 
… zum Beispiel, dass sich Wanderer mit Schlappen auf den Weg zu einem Gipfel machen …
 
… auch (lacht). Aber, wer mit Schlappen in unwegsamen Gelände unterwegs ist, ist es meistens gewohnt, darin zu laufen. Schlappen müssen also nicht unbedingt die Ursache für einen Unfall sein. Eher ist hohes Schuhwerk, das nur einmal im Jahr getragen wird. Natürlich passieren Unfälle auch aus Unwissenheit, diese gehören aber wie im Falle der Schlappen eher zu den Randerscheinungen. Was wir jedoch beobachten konnten, ist eine steigende Anzahl von Fahrradunfällen. Grund dafür ist unter anderem die zunehmende Beliebtheit der E-Bikes, die auch ungeübten bzw. Personen, die über weniger Kondition verfügen, Touren in unwegsamen Gelände erlauben, und zudem sind heutzutage einfach mehr Leute mit dem Rad unterwegs.