Società | Smart City
"Smart heißt nicht technologisch"
Foto: Foto: Adria Costa
Die Italienerin Francesca Bria ist Chief Technology and Digital Innovation Officer der Stadt Barcelona, die seit mehr als zwei Jahren von der alternativen Bewegung Barcelona en Comu regiert wird. Am 14. September wird sie am Global Forum zu den Themen Digitalisierung und Smart City sprechen. WIr haben sie vorab interviewt.
Salto.bz: Frau Bria, was ist eine Smart City? Eine digitalisierte Stadt mit flächendeckendem Wifi-Zugang?
Francesca Bria: Dazu gibt es verschiedene Ansichten. Traditionell meinte man damit eine Stadt voller Sensoren, mit Wifi-Zugang überall, in der haufenweise Daten gesammelt werden. Damit geht die Idee einher, dass die Technologie unsere Probleme lösen kann: Armut, Klimawandel etc.
Für uns in Barcelona heißt smart nicht einfach technologisch. Wir haben das Konzept umgedreht. Statt bei der Technologie starten wir bei dem, was die BürgerInnen brauchen: Mobilität, Versorgung mit nachhaltiger Energie, Wohnraum, partizipative Demokratie.
"Smart ist auch, dass es mehr Fahrradwege gibt"
In Barcelona haben 400.000 BürgerInnen bei der Definition der öffentlichen Agenda teilgenommen. 70% der Aktivitäten der Regierung wurden von BürgerInnen initiiert, online und offline.
Wir überlegen erst in einem zweiten Schritt, ob und wie uns neue Technologien dabei helfen können, diese Ziele umzusetzen.
Die digitale Revolution geht nicht ohne demokratische Revolution.
Was hat sich in Barcelona geändert, seit die Stadt „smart“ ist?
Da gibt es viele verschiedene Beispiele. Wir haben ein Glasfasernetz in der ganzen Stadt, das mit ganz vielen Sensoren verbunden ist. Die sammeln Daten, welche eine offene Software auswertet.
Damit haben wir zum Beispiel die Mülltrennung und -sammlung effizienter gemacht. AutofahrerInnen benutzen eine stadteigene App, um schneller Parkplätze zu finden.
Aber smart ist eben auch, dass es mehr Fahrradwege gibt und ein öffentliches Ausleihsystem für Fahrräder. Außerdem begrünen wir die Stadt, und der Autoverkehr wurde aus den Herzen der Wohnviertel ausgesperrt.
Auch die öffentliche Verwaltung ist transparenter und offener, hier hilft uns wiederum Software. Wir haben zum Beispiel eine Art Whistelblower-Plattform eingerichtet, ein verschlüsseltes System, das Verwaltungsmitarbeitern erlaubt, anonym Korruption anzuzeigen.
Und die BürgerInnen können sich freiwillig auch Sensoren für Luftqualität und Lärm ins Haus holen. Die Daten werden in Echtzeit übertragen und man kann sich die Situation online auf einer Stadtkarte ansehen.
"Daten sind ein öffentliches Gut"
Ist es nicht problematisch, all diese Daten zu sammeln?
Das ist für uns ein zentraler Punkt: Daten sind ein öffentliches Gut, das den BürgerInnen gehört. Deshalb sind die veröffentlichten Daten für alle offen verfügbar. Aber wenn BürgerInnen nicht wollen, dass ihre Daten veröffentlicht werden, ist das auch möglich – jeder kann entscheiden, was er oder sie teilen will, und mit wem.
Um all das zu ermöglichen, haben wir die Blockchain-Technologie „Decode“ entwickelt, finanziert von der Europäischen Kommission.
Aber die Software selbst zu entwickeln ist doch sicher teuer. Für Städte könnte es sich doch rein finanziell auszahlen, auf die üblichen kommerziellen Anbieter zurückzugreifen?
Das Schöne ist, nicht jeder muss das neu entwickeln. Immer mehr Städte schließen sich in Netzwerken zusammen, ich koordiniere ein solches Netzwerk, den „Global CIOs council“. Dort tauschen wir Politikstrategien und Applikationen aus, und alles basiert auf freier Open-Source-Software.
Die Investition in die Open-Source-Software ist auch eine wirtschaftspolitische Maßnahme. Früher hat die Stadt private Software von wenigen Unternehmen, und immer denselben eingekauft: Von Konzernen, die meistens aus den USA kommen. Jetzt können wir Aufträge an lokale Formen und Startups geben, die für uns in freier Software entwickeln. Damit ist die Stadt auch nicht langfristig an Verträge gebunden. Jeder kann Einblick in den Code hinter den Anwendungen haben.
Was ist Ihr Ratschlag, wenn sich eine Stadt oder Region digitalisieren will?
Erstmal ist mir wichtig: Digitalisierung ist nicht nur was für Großstädte.
In der Umsetzung ist dann das Wichtigste die Kooperation: Eine Digitalisierungsstrategie muss lokale Unternehmen, die Universität und die Verwaltungsagenturen zusammenbringen.
Der zweite zentrale Aspekt ist die Teilnahme der BürgerInnen. Die Daten müssen als öffentliches Gut angesehen und gemeinschaftlich verwaltet werden, und nicht Privatfirmen überlassen. Wenn die BürgerInnen nicht wissen, wie ihre Daten benutzt werden, wird das Vertrauen brechen.
"In Italien ist das System blockiert"
Sie sprechen viel von partizipativer Demokratie. Aber machen da nicht immer nur die sowieso schon engagierten Leute mit?
Ich war selbst überrascht, dass es in Barcelona nicht so ist. Auswertungen zeigen, dass viele Leute über 60 Jahre alt sind, Frauen und verschiedene Ethnien sind gut vertreten.
Wir haben aber auch bewusst keine „Facebook“-Demokratie eingeführt, die nur online stattfindet, sondern sind in konkreten Fragen auf die BürgerInnen zugegangen und haben sie eingeladen, mitzumachen.
Sie wurden für Ihren Job von London nach Barcelona gerufen. Wäre Ihre Karriere in Italien möglich gewesen?
Ich habe Italien schon früh verlassen, und bin für meinen Master und das Doktorat nach England gegangen und habe dort für die Regierung im Bereich Innovation gearbeitet. In Italien ist das System blockiert, es gibt wenig Platz für kompetente junge Menschen mit Engagement.
Ich kannte die Bürgermeisterin Ada Colau nicht persönlich. Man muss sich das vorstellen: Sie hat sich informiert, wer sich im Thema digitale Stadt auskennt und ist dann mit dem Jobangebot auf mich zugegangen. An diesem Vorgehen könnte sich Italien schon ein Beispiel nehmen.
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"Die digitale Revolution geht
"Die digitale Revolution geht nicht ohne demokratische Revolution" Dies Aussage trifft den Nagel auf dem Kopf !.
Partizipation und
Partizipation und öffentliches Gut sind auch in Bozen derzeit ein heisses Thema! Vielleicht hat einer unserer Stadtpolitiker den Artikel gelesen?