Economia | Soziale Netzwerke

Ein Netzwerk, das wieder uns gehört

Das Fediverse stellt die Macht der großen Plattformen infrage: ein offenes, vernetztes Sozialsystem, das Nutzer:innen Kontrolle und Vielfalt im digitalen Raum zurückgibt.
Avvertenza: Questo contributo è un messaggio promozionale e non rispecchia necessariamente l'opinione della redazione di SALTO.
sfscon25_ph.noi_techpark
Foto: SFSCON 2025/NOI Techpark
  • Facebook, Instagram, X, TikTok – große Plattformen bestimmen heute, was wir sehen und mit wem wir sprechen. Das Fediverse denkt das anders: Statt einzelner, abgeschotteter Apps gibt es viele vernetzte Dienste, die miteinander sprechen können. Das offene soziale Netzwerk war eines der zentralen Themen bei der diesjährigen SFSCON im NOI Techpark.

    Viele unterschiedliche, über offene Standards wie ActivityPub verbundene Dienste, die ähnlich wie E-Mail zusammenarbeiten – nur fürs soziale Miteinander: Das ist die Idee hinter dem Fediverse. Für die User bedeutet das mehr Wahlfreiheit, mehr Kontrolle über Identität und Inhalte und weniger Abhängigkeit von einem einzigen Anbieter. Warum ist das gerade jetzt wichtig? Interoperabilität – sprich dass digitale Angebote zusammenspielen – ist im europäischen und italienischen Diskurs angekommen. Davon profitieren nicht nur Privatpersonen, sondern auch Redaktionen, öffentliche Verwaltungen und Unternehmen: Sie erreichen Communities, ohne ihre Unabhängigkeit aufzugeben. Und: Das Fediverse wächst längst über Textposts hinaus – Videos (PeerTube), Fotos (Pixelfed), Podcasts, Livestreams, kreative Galerien bis hin zu 3D-Räumen sind mittlerweile Teil eines offenen Medien-Ökosystems.

    Die South Tyrol Free Software Conference – SFSCON 2025 im NOI Techpark hat dieses Thema ins Rampenlicht gerückt. Am 7. und 8. November verwandelte sich Bozen in einen Hotspot der europäischen Open-Source-Community – mit einem eigenen Fediverse-Track in Partnerschaft mit dem FediForum. Darin ging es um die Werte des Fediverse wie Offenheit und Interoperabilität und um die großen Herausforderungen wie Governance (Regelwerke & Zuständigkeiten) und den Schutz der User, ihrer Privatsphäre und Sicherheit.

    Wir haben diese Punkte mit dem Unternehmer und FediForum-Mitgründer Johannes Ernst besprochen:


    Herr Ernst, zum Einstieg: Was ist das Fediverse – und welchen ganz konkreten Vorteil bietet es gegenüber herkömmlichen sozialen Netzwerken?

    Johannes Ernst: Aus Sicht eines Software-Entwicklers ist das Fediverse ein Stack offener Protokolle, durch die Akteure auf einer Website B den Aktionen anderer Akteure auf einer Website A folgen können – und umgekehrt. Mit diesen Protokollen, deren Zentrum der W3C-Standard ActivityPub ist, lassen sich dezentralisierte soziale Netzwerke bauen.

    Und so ist das Fediverse für Privatpersonen eben genau das: ein soziales Netzwerk, das keine Werbung spielt, keine Algorithmen hat, die User abhängig machen, und das von der Community selbst moderiert und verwaltet wird. Also ziemlich genau das Gegenteil von dem, was wir von den kommerziellen Plattformen kennen. Der große Vorteil: Falschinformation, Manipulation und politische Einflussnahme können viel besser vermieden werden. Etwas, das gerade in der heutigen Zeit immer wichtiger wird, in der sich die meisten Menschen hauptsächlich über soziale Medien informieren. 

    Für Organisationen - beispielsweise Nachrichtenanstalten, politische, gemeinnützige oder öffentliche Organisationen - ist das Fediverse ein neuer Kanal, mit dem sie mit der Bevölkerung, mit Kundinnen und Kunden oder Mitgliedern direkt kommunizieren können, ohne dass eine zentral gesteuerte Plattform News blockiert, depriorisiert oder nur gegen Bezahlung wiedergibt.

  • Johannes Ernst: FediForum-Mitgründer Foto: NOI Techpark/Marco Parisi
  • Wie gibt mir das Fediverse Kontrolle über meine digitale Identität und Inhalte zurück?

    Im Fediverse entscheide ich selbst, wem ich vertraue und wem nicht. Das heißt, ich kann mich mit meinem Konto auf einer Instanz (also einer Website, die ActivityPub unterstützt) niederlassen, wo ich mich sicher fühle, dass meine Identität die meine bleibt, dass meine Inhalte und andere persönliche Daten nicht an unbekannte Dritte weitergegeben werden und dass ich auch ein echtes Mitspracherecht habe. Es gibt Instanzen, die als Genossenschaft verwaltet werden, sprich wo jede Benutzerin und jeder Benutzer gleichgestellte/r Miteigentümer/in ist. Und ich kann auch eine eigene Instanz aufsetzen – so machen es viele Open-Source-Developer, aber auch Bibliotheken, Universitäten, Medienorganisationen und immer mehr Behörden.


    Wie kann verteilte Moderation Missbrauch begrenzen? Wo braucht es zusätzlich gemeinsame Regeln und gute Werkzeuge?

    Im Fediverse betreibt jede Instanz ihre eigene Moderation. Es braucht keinen globalen Standard, was akzeptabel ist – so können Communities existieren, die auf kommerziellen Plattformen nicht möglich wären. Andererseits können unerwartete Inhalte von anderen Instanzen auftauchen – dann heißt es blockieren und moderieren. Verteilte Moderation ist nicht einfach – weder technisch noch zwischenmenschlich. Wir stehen, wie bei vielen anderen Themen, noch am Anfang: von den Bedürfnissen der User und Communities bis zu den Protokollen, die all das ermöglichen. Für die technikaffinen Teilnehmenden an der SFSCON und an ähnlichen Events und Communities ist das aber ein Feature, kein Bug: Es gibt viele komplexe, spannende Probleme zu lösen.


    Ohne eine zentrale Plattform, die den Feed für alle steuert – wie finden Menschen spannende Inhalte, und was sind die Hebel für Qualität?

    Was jemand interessant findet, ist komplett subjektiv. Auf kommerziellen Plattformen empfiehlt ein Empfehlungsalgorithmus die gezeigten Inhalte – häufig so, dass möglichst viel Werbung platziert werden kann. Im Fediverse ist das anders: Man findet Inhalte über die eigenen Kontakte – wie im echten Leben. Deshalb empfinden neue User, die es gewohnt sind, Inhalte automatisch vorgesetzt zu bekommen, das Fediverse manchmal als langweilig. Um dem entgegenzuhalten, entstehen in letzter Zeit vermehrt neue Dienste und Features wie Channels und Starter Packs, die dieses Entdeckungsproblem angehen – ohne Zentralisierung oder Manipulation. Einer der vielen Vorteile eines offenen Systems, in dem jede und jeder seine eigenen Ideen umsetzen kann.


    Große Plattformen wie Meta nähern sich dem Fediverse. Chance oder Risiko? Wie bleibt das Offene wirklich offen?

    Erzwingen lässt sich das nicht – genauso wenig, wie man garantieren kann, dass eine offene Gesellschaft offen bleibt. Aber wir wissen, was zu tun ist: strategic non-cooperation, wenn es zu weit geht. Bisher sehe ich diese Notwendigkeit noch nicht. Unterm Strich ist es bisher ein Vorteil, dass ich auf meiner eigenen Mastodon-Instanz auch Leuten wie tewa Joe Biden folgen kann, die nur auf Threads posten. In der EU – wie in vielen anderen Ländern – wird diskutiert, ob große soziale Netzwerke zur Interoperabilität verpflichtet werden sollen, also dazu, dass verschiedene Dienste nahtlos miteinander kommunizieren. Das wäre aus meiner Sicht sehr positiv: Es würde die Tendenz zur „Enshittification“ - dem schrittweisen Schlechterwerden eines Dienstes für User zugunsten kurzfristiger Plattforminteressen - verringern und Innovation ermöglichen, die ohne Schnittstellen nicht möglich ist. So ließen sich beispielsweise neuartige Fact-Checker, also unabhängige Prüfdienste für Inhalte, ohne Kooperation der Plattformen implementieren und Gründer*innen könnten neue Funktionen anbieten, ohne ein eigenes soziales Netzwerk aufbauen zu müssen.


    Wie wichtig sind Veranstaltungen wie die SFSCON, um über Open-Source-Alternativen wie das Fediverse zu diskutieren und informieren?

    Sehr wichtig. Ich nehme regelmäßig an solchen Veranstaltungen teil und lerne jedes Mal von den Menschen, die dort zusammenkommen. Oft treffen sich Leute zum ersten Mal und starten etwas gemeinsam: mal ein neues Open-Source-Projekt, mal einen gemeinsamen Ansatz, um öffentliche Einrichtungen an das Fediverse heranzuführen – aus meiner Sicht zentral für demokratische Institutionen. Manchmal entstehen dabei unerwartete Anwendungen der Protokolle, kürzlich etwa der erste App-Store, der mit dem Fediverse verbunden ist. Und natürlich geht es auch immer darum, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, wie viel Innovation im Fediverse entsteht – Dinge, die man sich auf kommerziellen Diensten kaum vorstellen könnte. Obwohl wir bereits Millionen von Usern haben, stehen wir erst am Anfang – und laden alle dazu ein, mitzumachen und die Welt ein Stück zu verändern.

    Gegründet im Jahr 2001 von der Linux User Group Bozen-Bolzano-Bulsan, wird die SFSCON seit 2005 vom NOI Techpark organisiert und gefördert. Möglich wird sie durch die Unterstützung zahlreicher Supporter – Gruppo FOS, Telmekom, Vates, Alpitronic, LDV20, Made in Cima, Pandigital, Zirkonzahn, 1006.org, Catch Solve, Christian Gapp, deda.next, Peer, RMBtec, SiMedia, Südtirol Business School und Suggesto – und Partner – EDIH NOI, FediForum, FSFE, FUSS, Linux Magazine, Loacker, LUGBZ, Maker Space, MCI Innsbruck, MiniNOI, Open Source JobHub, OW2, Rassegna Business, RIOS, Speck&Tech, Sticker Mule, unibz und WUD. Die SFSCON wird kofinanziert von der Europäischen Union im Rahmen des EFRE-Projekts 1048 IMPACT.

  • Alle Informationen zur Konferenz gibt es unter www.sfscon.it.