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So sind wir nicht

Die IDM schickt Angela Merkel einen Liebesbrief, und Südtirol flippt aus. Warum eigentlich?

Es ist ja eigentlich eine hübsche Idee: Angela Merkel ist nicht mehr Bundeskanzlerin, und die IDM bedankt sich zum Abschied bei ihr für ihre Urlaubstreue. Mit einer ganzseitigen Anzeige, die sowohl in der FAZ als auch in der Süddeutschen Zeitung erscheint, in der aufgezählt wird, wo die nunmehr Ex-Kanzlerin überall schon war – nur eben noch nicht im Frühling in Südtirol. Garniert ist der Text mit einer farbintensiven Blumenwiese samt Schmetterling, links die drei Zinnen im Abendlicht, rechts der Kirchturm im Reschensee, und mittendrin die Merkel-Raute. Wären die Hände gefaltet, es könnte auch das leicht psychedelische Cover eines Jungschar-Liederbuchs sein, aber da Merkel sich zum Zapfenstreich den Evergreen „Großer Gott wir loben dich“ gewünscht hat, passt das auch.

So weit, so brav. Trotzdem fiel gar manchen Südtiroler*innen die Frühstückstasse aus der Hand, als sie das jüngste Werk der IDM am Montagmorgen in besagten Blättern erblickten, flugs wurde es in den sozialen Medien verbreitet und erntete dort vor allem: Entsetzen. Der Grundtenor: „Peinlich!“ „Zum Fremdschämen!“, „Ich trau mich nicht mehr ins Ausland!“. Die Grünen sagten ebenso „Pfui“ wie das Team K und die Freiheitlichen, es gab sogar eine Landtagsanfrage zur Werbeschaltung (https://www.tageszeitung.it/2021/12/10/zum-fremdschaemen/). Was ist aber so schlimm an einem touristischen Liebesbrief? Haben wir Südtiroler*innen denn keinen Sinn für Romantik?

Führt man sich den Text näher zu Gemüte, dürfte vor allem Frauen auffallen, dass die vermeintliche Serenade gar keine solche ist: Da schreibt kein glühender Verehrer, sondern ein lupenreiner Stalker. In Psychomanier zählt er auf, wo Merkel schon zu Gast war und wen sie dort getroffen hat: Als habe er selbst vor Ort mit dem Feldstecher im Gebüsch gesessen um dem Objekt seiner Begierde aufzulauern. Bei dem, dem und dem warst du schon, sogar bei halbnackten jungen Männern, aber bei mir im Frühling: Nein! Dass sich die Aktivitäten Merkels, die genannt werden, so anhören, als hätte sie ein Preisausschreiben gewonnen dank dessen sie um die Welt jetten und funny Sachen tun durfte, und nicht danach, als habe es sich bei ihr um eine der einflussreichsten politischen Persönlichkeiten der Welt gehandelt: geschenkt. Dazu passt, dass sie im gesamten Text nie als (ehemalige) Bundeskanzlerin betitelt wird. Sie ist „Frau Dr. Merkel“, die wie ein Fangirl „zwei Päpste, den Dalai-Lama (sic!) und George Clooney“ treffen durfte. Wohl ist dann die Rede von „Regierungsjahren“, einem „Amt“ und der „parlamentarischen Sommerpause“, aber so wirklich Respekt gezollt wird ihrer Position nicht. Der Stalker hat augenscheinlich bei einem Pick-up-Artist gelernt: Bloß nicht zu viel Anerkennung, nicht zu viele Komplimente, sonst lenkst du davon ab, dass DU eigentlich der tolle Hecht bist. Leichter Trotz und Ressentiment klingen auch im „15 von 16 Regierungsjahren“ mit: Was war denn da los mit Nummer 16? Wo waren Sie da, Frau Dr. Merkel? Ich habe mitgezählt: Einen Urlaub sind Sie uns schuldig, Pandemie hin oder her. Und weil Sie jetzt ja mehr Ruhe haben, wir wissen Bescheid, wäre es nur recht und billig, wenn Sie demnächst mal vorbeischauen würden. Im Frühling sind wir nämlich noch schöner, als wir ohnehin schon schön sind. Und wir sind superschön.

Uff. Verdrehen Sie mit mir die Augen. Wir kennen diesen Typen. Dieses „Ihr Südtirol“ ist nicht das unbeholfene, aber herzliche Bäuerle aus den touristischen Anfängen, das den Fremden servil die beste „Kommer“ herrichtet und eigenhändig das Speckbrettl auftischt. Es ist ein slicker Managertyp im Slim-Fit-Anzug, der weiß, was er kann und weiß, was er hat, der nicht ein, sondern zwei Tinder-Konten bedient, der mit Fremdwörtern um sich wirft, um dich zu beeindrucken und nur labert und nicht zuhört, der dich braucht, um sein ohnehin schon beträchtliches Ego noch mehr zu pushen, und der zickig wird, wenn du jetzt „Nein“ zu seinem Drink sagst. Von dem er dir en detail erklären würde, wie er zubereitet wird, denn ein Mansplainer ist er natürlich auch noch, und schreibt doch den Dalai Lama mit Bindestrich. Nein, so sind wir nicht, Frau Dr. Merkel. Wir sind zwar nicht mehr die unterwürfigen, etwas tumben Älpler, gellens, über deren Rückständigkeit sich der deutsche Gast stets ein wenig amüsieren konnte. Wir wissen jetzt auch, was wir zu bieten haben. Unser Selbstbewusstsein und unsre Weltgewandtheit sind gestiegen, aber zum selbstverliebten Ego-Protz, der mit einer Bundeskanzlerin a.D. auf Augenhöhe kommunizieren will, sind wir (noch) nicht mutiert. „Kuck ma‘, Joachim, wie drollig“, würde Angela Merkel die Anzeige am heimischen Küchentisch wohl kommentieren. „Die Südtiroler machen jetzt auf dicke Hose.“ Die Anzeige mag funktionieren, Aufsehen erregen, aber identifizieren können wir uns nicht mit ihr.

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Alessandro Stenico Lun, 12/13/2021 - 20:04

„So sind wir nicht“ Komplimente für diesen Artikel !
Wahrscheinlich lachen die Piemontäser.
Piemont bietet auch schöne Berge, Kultur und Kulinarisches in alle Jahreszeiten.
Frühling in die Langhe ist nicht schlechter als bei uns im Unterland oder Burggrafenamt, und wenn sie ihren Mann in Turin begleiten wird, gibt es dort viel zu erleben.
https://torino.repubblica.it/cronaca/2021/09/29/news/joachim_sauer_prof…

Lun, 12/13/2021 - 20:04 Collegamento permanente
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Herta Abram Lun, 12/13/2021 - 20:19

Bravo Frau Kienzl!
Dieser Individualstil der idm und diese gekonnte Selbstdarstellung muss fortgesetzt werden!
Bei ev. Kreativblockade könnte ich aushelfen: "Wenn Sie eine Rundreise durch Südtirol antreten, steht ein Highlight fast immer mit auf dem Programm: der Besuch der Bergvölker und Bergdörfer. Hierbei treffen Sie auf Menschen, die heute noch wie in einer eigenen Welt leben. Sie tragen ihre eigenen Trachten, sie sprechen ihre eigenen Sprachen und natürlich sie leben weitgehend ihre eigene Kultur. Doch keine Sorge, auf Ihrem Südtirol Urlaub sind Sie stets ein gern gesehener Gast in den Bergdörfern. Und das nicht nur aus dem Grund, dass die Bergvölker ihre Kunsthandwerkserzeugnisse an Sie verkaufen wollen, sondern Ihnen auch einen Eindruck geben möchten, wie sie leben. Zudem – das sollten Sie sich unbedingt merken – lieben diese überaus freundlichen und offenen Menschen Süßigkeiten und Bonbons über alles. Das hilft oftmals bei Preisverhandlungen über die Kunstgegenstände, die Sie gerne kaufen möchten."
( oder verwechsle ich das mit Thailand....?)

Lun, 12/13/2021 - 20:19 Collegamento permanente
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Hartmuth Staffler Lun, 12/13/2021 - 21:38

Alexandra Kienzl hat es gut formuliert, aber eigentlich hat es diesen Artikel gar nicht mehr gebraucht - einerseits, weil alle vernünftigen Südtiroler sich längst von diesem mehr als peinlichen Unsinn distanziert haben, andererseits weil sich die geldgeilen Südtiroler, die hinter diesem Unsinn stehen, nicht im Geringsten dadurch beirren lassen. Was da (in den Anzeigen) steht, ist doch vollkommen uninteressant, die Hauptsache es erregt Aufmerksamkeit, ist ihr Credo. Wenn man das Geld zum Verschleudern nachgeschmissen bekommt, wie es bei der IDM der Fall ist, dann kann man es sich auch leisten, das Geld tatsächlich zu verschleudern. Was soll man sonst damit tun?

Lun, 12/13/2021 - 21:38 Collegamento permanente
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Georg Peintner Mar, 12/14/2021 - 10:29

Schön durchleuchtet!!!
Das peinlichste an dieser schleimigen und hinterfotzigen Werbung ist, dass man sofort spürt, dass es den "Brief"-Schreibern gar nicht um die Angesprochene geht! Frau Merkel wird offensichtlichst missbraucht!

Zu der beschriebenen Schnösel-Haltung passt der Kernsatz, der für Bruneck in einem "Markenbildungsprozess" zum Preis von 90.000 € unter der Leitung von Christof Engl erarbeitet wurde: "Bruneck: die pulsierendste Hochburg für ambitionierte Menschen im Alpenraum."
Dümmer geht's nicht!!!

Mar, 12/14/2021 - 10:29 Collegamento permanente
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Stefan S Mar, 12/14/2021 - 10:57

Die Anzeige soll weder die Südtiroler noch Frau Merkel ansprechen sondern die zahlungskräftige Kundschaft aus Süddeutschland, also dieses Klientel welches sich auf Ihren Daimler den Südtirol Bäpper anbringen, tonnenweise Siebenförcher und Moser Produkte nach Hause schleppen und mit Vernatsch und Pircher runterspülen. Nennt sich neudeutsch Wellness, wohl bekommts :-)
Die Werbeprofi sind sich bestimmt einig, die Kampagne ist ein (Voll-) treffer

Mar, 12/14/2021 - 10:57 Collegamento permanente
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Peter Gasser Mar, 12/14/2021 - 11:15

In risposta a di Stefan S

... das ändert doch nichts daran, dass diese Werbung mißbräuchlich ist, indem sie eine Person, um die es gar nicht geht, instrumentalisiert, und dass sie als peinlich empfunden werden muss, wenn man auch nur ansatzweise außer Hirn & Rendite noch Charakter & Seele hat.
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Aber sicher doch hat man, wie sie schreiben, lieber hunderte "welche sich auf Ihren Daimler den Südtirol Bäpper anbringen, tonnenweise Siebenförcher und Moser Produkte nach Hause schleppen und mit Vernatsch und Pircher runterspülen".
der Mohr (Frau Merkel) hat dann Ihre Schuldigkeit getan. "Muss" ja nicht mehr kommen. Die oben beschriebene "Klientel" bringt ja mehr.
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New Economy made by IDM. Modern. Erfolgreich.
Gut?
.
Gut?
(Wen interessiert schon der Mensch?)

Mar, 12/14/2021 - 11:15 Collegamento permanente
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Stefan S Mer, 12/15/2021 - 16:34

In risposta a di Peter Gasser

Mir ist natürlich bewusst das die Innenwirkung der Anzeige sauer aufstößt aber wie schon beschrieben es geht um das Klientel/Kunden und die Aussenwirkung und diese ist eine andere. Ich habe z. B. nur geschmunzelt.
Außerdem ist es wohl gerade hip, hier die neuste Kreation aus meiner Heimat und da geht es mir zum Teil ähnlich, finde ich teilweise peinlich
https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/the-laend-vorgestellt-…

Mer, 12/15/2021 - 16:34 Collegamento permanente
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Doris Gasslitter Mar, 12/21/2021 - 17:11

Ich wundere mich nicht über diese Werbeschaltung - die ich übrigens gelungen finde - sondern darüber, dass sich so viele wortgewaltig darüber aufregen. Es gibt meiner Meinung nach wichtigere Themen. Und Werbung hat nun einmal den Zweck aufzufallen. Und diesen Zweck hat die Annonce ja offensichtlich erfüllt.

Mar, 12/21/2021 - 17:11 Collegamento permanente