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Autonomievorbild für den Kosovo?

Eine kürzlich gedrehte Filmdokumentation zur Südtirol-Autonomie ist seit wenigen Tagen online. Hat sie Einfluss auf den gegenwärtigen Konflikt im Kosovo? [Video]
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Foto: Agostino Fuscaldo

Vor wenigen Tagen jährte sich der Tag der sogenannten Kosovo-Resolution des UN-Sicherheitsrats zum 24. Mal. Sie bildete die völkerrechtliche Grundlage für die Einrichtung der Übergangsverwaltungsmission im Kosovo. Die Resolution vom 10. Juni 1999 markiert zwar das offizielle Ende der gewalttätigen Auseinandersetzung des Kosovokrieges, blickt man allerdings auf die derzeitige Lage im Norden des Landes und durchstöbert die Meldungen der vergangenen Wochen, jagt es einem die Schweißperlen auf die Stirn. Auch in Südtirol leben viele Menschen aus dem Kosovo, die genaue Zahl ist nicht bekannt. Insgesamt sollen es aber rund 12.000 Menschen sein, die in den vergangenen Jahrzehnten aus den Ländern Albanien und dem Kosovo nach Südtirol migrierten. Ein Drittel davon lebt in der Landeshauptstadt. 

Krieg und Film

Das albanische Kino im Kosovo war im vergangenen Jahr Gastland beim Filmfestival in Bozen und lockte viele Mitglieder der albanischen und kosovarischen Gemeinschaft in die Kinosäle. Gezeigt wurde unter anderem der mehrfach preisgekrönte Kurzfilm Kolona, der in poetischen Bildern die Erinnerung an einen Flüchtlingskontrollpunkt im Kosovo-Krieg 1999 erzählt, der international erfolgreiche Film Hive, der sich ebenfalls mit dem Erbe des Kosovo-Krieges beschäftigt und offenbart wie Kinokunst als Nachbearbeitung und gleichzeitig als Aufarbeitung erlebten Schreckens seine Dienste erweisen kann. Mit Neverland war auch ein Film aus der Schmiede der Dokumentarfilmschule ZeLIG auf dem Programm der Gastland-Filmreihe 2022. 
 

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Vor- und Nachteile in Südtirol: "Hier leben die Gemeinschaften größtenteils ein Nebeneinander..." Der vor kurzem pensionierte Rai-Journalist Lucio Giudiceandrea im Interview. / Bildquelle: Agostino Fuscaldo


Im Krieg zwischen Kosovo und Serbien war es in den Jahren 1998-1999 von serbischer Seite zu gewaltigen ethnischen Säuberungen gekommen – über eine Million Menschen wurden vertrieben, über 10.000 Menschen getötet, an die 5.000 Menschen verschwanden spurlos. Außerdem kam es zu über 20.000 Vergewaltigungen durch serbische Streitkräfte. 
Im mehrheitlich serbischen Norden des Kosovo ist die Situation kurz nach den Kommunal-Wahlen (mit niedrigster Wahlbeteiligung von rund 4%) mehr als aufgeladen. Es kommt auf den Straßen der Dörfer und Städte immer wieder zu Protesten, die mitunter gewaltsam eskalieren.

Vorbild Südtirol-Autonomie? 

Dass interessierte Delegationen Südtirol nicht aus touristischen Gründen besuchen, sondern um sich hier ein Bild vom Gebilde der Autonomie zu machen, kommt mehrmals im Jahr vor. So auch vor wenigen Wochen, als eine kleine Gruppe von Journalisten aus dem Kosovo und aus Albanien in Bozen weilte, um Aufnahmen und Interviews zu machen, die sie für eine Online-Filmdokumentation aufbereiteten. „Wir sind ein junger Staat und haben die Minderheitenrechte noch nicht auf einem Niveau, wie es in anderen Ländern vorherrscht“, erzählte der Journalist und Chefredakteur der Plattform Albanian Post Lirim Mehmetaj aus Pristina bei seinem Lokalaugenschein in Bozen. Und betonte gegenüber salto.bz: „Wir suchen nach Beispielen und Möglichkeiten, wie wir ein gut funktionierendes Modell in unser Staatsgefüge einfügen könnten. Wir wollen dabei nicht kopieren, suchen aber nach beispielgebenden Elementen in Südtirol.“
 

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Straffer Dreh- und Interviewplan: Zu Besuch beim Landeshauptmann Arno Kompatscher. Außerdem führten die Journalist*innen Interviews mit Sven Knoll, Riccardo Dello Sbarba oder Francesco Palermo. / Bildquelle: Agostino Fuscaldo


Auch im Elsass, bei der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien und im Grenzgebiet Dänemark/Deutschland würden die Journalist*innen nachfolgend noch recherchieren, um ein zukünftiges Modell eines friedlichen Kosovo voranzutreiben. Bereits vor 10 Jahren wurde in den nördlich gelegenen Gebieten, wo die serbische Minderheit die Mehrheit stellt, intensiv nach Lösungen gesucht. „Es gab 2013 bereits ein Abkommen zwischen Serbien und Kosovo, um eine Gemeinschaft der serbischen Gegenden im Kosovo zusammenzuschließen. Es handelt sich dabei um insgesamt 10 Gemeinden – vier im Norden, sehr homogen und ähnlichen Voraussetzungen wie hier in Südtirol –, sowie weiteren sechs Gemeinden – auf insgesamt rund 20-25% der Gesamtfläche des Kosovo“, erläuterte Gerta Zaimi die geografische Situation der Minderheit bei ihrem Bozen-Besuch. Sie kommt aus Tirana, lebt seit vielen Jahren in Florenz und ist ebenfalls in der Chefredaktion bei Albanian Post tätig. 
Die albanisch-kosovarischen Beobachtungen zur Südtiroler Autonomie sind seit einigen Tagen auf der grenzüberschreitenden Medienplattform – mit Sitz in Tirana und Pristina – einsehbar. In der Hoffnung, dass der Konflikt im Minderheitengebiet rasch einem friedlichen Ende entgegensteuert.

Veriu si Tiroli Jugor – askush s’e besonte as atëherë

Südtirols Autonomiemodell für den Kosovo? Dokumentari “Veriu si Tiroli Jugor – askush s’e besonte as atëherë” (40min) / Quelle: Albanian Post