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Erpressung

Zwei Millionen Flüchtlinge aus dem irakisch-syrischen Krisengebiet hat die Türkei aufgenommen. Jetzt werden sie nach Europa getrieben.

Bei der Aufnahme und Versorgung der Flüchtlinge ist die Türkei beispielhaft. Wer die Flüchtlingscamps an der Grenze zu Syrien besichtigt hat, kann nur ein Loblied auf die Regierung in Ankara anheben.  Sauber, gut organisiert, mit Schulen, Spiel- und Sportplätzen : alles einwandfrei.

Bis vielleicht auf die Tatsache, dass kurdische Flüchtlinge weniger begeistert aufgenommen werden, als andere. Und: dass die aus dem Irak und Syrien vertriebenen Kurden vorwiegend bei Landsleuten, die in der Türkei leben, Unterschlupf finden. 

Die EU und die UNO-Hilfswerke haben die Türkei bei der Flüchtlingsaufnahme finanziell unterstützt - doch im Gegensatz zu anderen Staaten, beispielsweise Italien, wird dieses Geld bestens genutzt und nicht mafiaähnlichen Organisationen in den Rachen gesteckt.

Seit rund zwei Monaten aber hat sich etwas verändert: die Flüchtlinge begannen plötzlich,  die türkische Hafenstadt Bodrum anzupeilen, um von dort aus die in der Ägäis liegenden griechischen Inseln zu erreichen. Das von der Türkei nur wenige Seemeilen entfernte EU-Land Griechenland  ist für die Flüchtlinge der sogenannten Balkan-Route die erste Station auf dem Weg nach Österreich, Deutschland oder Schweden.

Knapp 310.000 Flüchtlinge sind seit Jahresbeginn in Griechenland gestrandet, ausgerechnet in jenem EU-Staat, der seit Jahren gegen den Bankrott ankämpft und bitterarm ist. Auf dem Weg von Bodrum auf die griechischen Inseln Lesbos und Kos sind schon hunderte Flüchtlinge ertrunken. Nicht so sehr wegen der stürmischen See, als viemehr wegen der schadhaften Schlauchboote, die den Flüchtlingen in Bodrum verkauft werden.

Eine, die mit diesen Schlauchbooten ein Bombengeschäft machte, war die französische Honorar-Konsulin in Bodrum. Sie ist ihres Amtes enthoben worden. Die letzte Tragödie: am Samstag, als ein Schlauchboot kenterte und 39 Flüchtlinge in den Tod riss. Wieder waren 15 Kinder darunter und vier Babys. Diesen biblischen Flüchtlingsstrom  hat die Türkei begünstigt, wenn nicht zum Teil selbst ausgelöst.

Der erpresserische Deal: Wir öffnen solange die Grenzen Richtung EU, solange  ihr, Europäer, die Kurden unterstützt.

Es ist ja wirklich bemerkenswert, dass derzeit niemand öffentlich die Türkei kritisiert. Täglich werden Kurden bombardiert, massakriert und eingeschüchtert. Nicht nur in den Gebieten, die von der kommunistischen Arbeiterpartei PKK beherrscht werden, ist die Hatz auf Kurden losgegangen.

In allen größeren Städten, in denen mehrheitlich Kurden leben, wurden letzthin die Parteisitze der HPD, der im Parlament vertreteten kurdischen Partei zerstört oder niedergebrannt. Kurdische Geschäfte wurden in Schutt und Asche gelegt,  Menschen, die sich auf der Straße kurdisch unterhielten, wurden zusammengeschlagen. Kurdische Terroristen der PKK reagierten mit tödlichen Bombenattentaten gegen Polizisten und Soldaten, wodurch sich die Lage weiter aufgeheizt hat. Dass die türkische Luftwaffe weiterhin täglich kurdische Gebiete angreift und hunderte Opfer aus der Zivilbevölkerung zu verantworten hat, wird von den mehrheitlich nationalistischen Türken als Kollateralschaden und Normalität betrachtet.

Wie konnte es zu dieser Eskalation kommen, nach den Jahren des Friedens zwischen PKK und der Regierungspartei AKP von Recep Tayyip Erdogan? Es war der heutige türkische Staatspräsident gewesen, der vor drei Jahren den Friedensprozess mit der PKK eingeleitet hatte. Weil aber bei den letzten Parlamentswahlen die demokratische Kurdenpartei HDP deutlich zugelegt und der AKP ihre absolute Mehrheit genommen hatte, sann Erdogan auf Rache.

Er kündigte die Friedensphase mit der PKK auf , indem er - statt die Terroristen des Islamischen Staates - die Stellungen der PKK und der angegliederten kurdischen Kampfbewegungen bombardierte. Und damit löste er die blutigen Reaktionen kurdischer Freiheitskämpfer aus, die eine anhaltende Spirale der Gewalt zur Folge hatten.

Einige EU-Staaten, darunter letzthin vor allem Deutschland, verwarnten die Türkei. Ihr Militär könne nicht einfach kurdische Dörfer bombardieren - nicht zuletzt, weil die kurdischen Peschmerga das einzig wirksame Bollwerk gegen den Islamischen Staat seien. Diese steigende Kritik beantwortete die Türkei mit der Öffnung der Grenzen Richtung Griechenland, Mazedonien und Serbien. Die EU steht vor dem Kollaps und zeitgleich sind die  Proteste gegen die Kurdenmassaker verstummt.

Es ist bekannt, dass die Türkei in der Vergangenheit als verlässlicher NATO-Partner im destabilisierten Nahen und Mittleren Osten hofiert und belobigt wurde. Doch mit dieser Verlässlichkeit ist es nicht mehr weit her, seitdem sich die Türkei gegen den syrischen Diktator Assad, gegen den Iran und - mit Auf und Ab - gegen Russland gestellt und damit selbst zur Destabilisierung beigetragen hat. Beim Versuch, die Türkei zu einer neuen Großmacht zu erheben, verbündete sich die Regierung in Ankara auch mit Organisationen wie dem Daesch, dem radikal sunnitischen Islamischen Staat, den die NATO  wiederum bekämpft.   

Andererseits hat die geostrategische Bedeutung der Türkei  in den letzten Tagen an Bedeutung gewonnen. Denn mit dem derzeitigen Ausbau des russischen Militärstützpunktes Tartus in Syrien hat der Konflikt mit dem Assad-Regime wieder eine neue Dimension erreicht. Russland hat bestätigt, dass es den syrischen Diktator Assad mit Waffen beliefert und militärisch unterstützt. Der schon fünf Jahre währende Syrien-Konflikt droht in einen offenen Krieg zwischen den Großmächten auszuarten.        

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Waltraud Astner Lun, 09/14/2015 - 21:54

Wie wir sehen sind die Menschen ein Spielball von politischen Interessen nicht nur in der Türkei sondern auch in Europa. Die Eu hat außer Streit untereinander zur Problemlösung nichts zu bieten. Nachdem die Situation jahrelang unterschätzt wurde hat man jetzt da wir von den Ereignissen überrollt werden, nichts konkretes anzubieten. Dabei weiß jeder dass nur eine schnelle und flächendeckende Schließung der Eu Außengrenzen halbwegs eine Regelung in die chaotische Situation bringen und Menschenleben retten kann. Die geschlossenen EU Außengrenzen sind die Grundlage für eine mittelfristige Lösung des Problems. Die eigentlichen Probleme in den Ursprungsländern werden nämlich so schnell nicht zu lösen sein. Im nahen Osten gibt es schon seit Jahrzehnten kriegerische Konflikte mit wechselnden Akteuren und Schauplätzen und dies wird sich in nächster Zeit auch nicht ändern. Und solange in Afrika Kleptokraten und Massenmörder in vielen Ländern an der Regierung sind, denen das Wohl des Volkes völlig gleichgültig ist, nutzt auch kein noch so gut gemeintes Eingreifen des Westens im politischen und wirtschaftlichen Bereich.
Schauen wir mal wie lange die Eu noch zögert nachhaltige Lösungen anzugehen, mit bloßem Verteilen von Menschen bei gleichzeitiger ungeregelter Ankunft ist es nicht getan.
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/joerg-baberowski-ueber-u…

http://www.welt.de/debatte/kommentare/article146396348/Nur-die-Festung-…

Lun, 09/14/2015 - 21:54 Collegamento permanente
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Stefan Hauptmann Mar, 09/15/2015 - 08:56

Wieso nutzt die Türkei den IS als Vorwand um massiv PKK Stellungen zu bombardieren? Ist Erdorgan unzufrieden mit dem Wahlausgang, oder nutzt er einfach die "Gunst der Stunde" um eine alte Rechnung zu Begleichen?

Verstehe ich das richtig Frau Brugger, dass die Türkei Flüchtlinge als Waffe einsetzt um die Kritik des "Westens" am Vorgehen der türkischen Regierung verstummen zu lassen? Das wäre in der Tat ein perfider Gedanke...

Ich Entschuldige mich für das erneute Einstellen der untenstehenden Verknüpfung, ist aber meiner Meinung nach ein sehr guter Vortrag vom Herrn Lüders. Verschafft etwas Klarheit in den wirren Machenschaften des nahen und mittleren Ostens.

Michael Lüders : SWR Tele-Akademie:
https://www.youtube.com/watch?v=syygOaRlwNE

Mar, 09/15/2015 - 08:56 Collegamento permanente