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Die „Revolution“ von Confindustria

Der Industriellenverband wird immer aggressiver.
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Foto: Pixabay Industria

In einem "internen Brief" des Präsidenten Bonomi versucht der italienische Industriellenverband Confindustria in die Opferrolle zu schlüpfen, um gleichzeitig mit Überheblichkeit die eigenen Ideen durchzusetzen. Es handelt sich dabei nicht um die individuelle Empfindsamkeit des Präsidenten, sondern um die vorherrschende Meinung einer schwachen, in ihrer wirtschaftlichen Basis zerbrechlichen Unternehmerschaft, gepaart mit einer arroganten Haltung gegenüber den sozialen Bedürfnissen.

Der italienische Kapitalismus bestätigt sich als intolerant gegenüber allem, was mit Staat und öffentlicher Kontrolle in Verbindung steht, wobei er aber gleichzeitig auf dessen Hilfe und Schutz angewiesen ist. Italiens Wirtschaft hat sich seit geraumer Zeit aus der Spitzengruppe auf den globalen Märkten verabschiedet. Es wurde auf die Reduzierung der Arbeitskosten gewettet, die Veränderungen der Wirtschaft der letzten Jahrzehnte wurde mangels Planungsintelligenz, Vitalität und Visionen verschlafen.

Seit geraumer Zeit hat sich die Produktion von Gütern zugunsten der Finanzlogik verschoben. Große Unternehmen zielen weniger auf die Profite durch die Produktion und den Verkauf von Gütern und Dienstleistungen ab, sondern auf die Steigerung des Vermögenswertes (meist spekulativ) des Unternehmens selbst. Dies hat zu einem Ausverkauf und zur Vernichtung der großen italienischen Industrie in vielen Regionen geführt.

Übrig geblieben ist ein riesiges Netz von kleinen und sehr kleinen Unternehmen, voneinander abgekoppelt und im stetigen gegenseitigen Kampf ums Überleben. Ein Wirtschaftsgefüge, bestehend aus Unternehmen mit einer geringen Kapitalisierung, mit wenig oder keinen Ressourcen zur Innovation, mit kurzfristig angelegten Strategien und oftmals prekär wie ihre Beschäftigungsverhältnisse.

Italien ist ein Land, dessen Unternehmer einen sehr geringen Anteil der Ressourcen in Forschung und Entwicklung investiert (nur 14 Milliarden Euro pro Jahr - Deutschland fast 60) und in dem vor allem die Löhne seit mehr als zwanzig Jahren stagnieren und zu den niedrigsten unter den 33. von der OECD untersuchten Ländern gehören. Die italienischen Löhne sind und zwischen 2010 und 2016 sogar real gesunken.

Dabei ist unklar, worauf Confindustria bei ihrem Einschüchterungsversuch abzielt. Die Regierung hat den Unternehmen sehr geholfen, die Gewerkschaften waren auch eher zahm, die Presse ist ohnehin in den Händen der Wirtschaft. Von Vorurteilen gegen die Unternehmen in vielen Gesellschaftskreise zu sprechen, mag zwar medienwirksam sein, entspricht aber keineswegs der Wirklichkeit. Schnell schlüpft man dann wieder aus der Opferrolle und bläst zum Angriff gegen die Kollektivverträge, ein altes und immer wiederkehrendes Ziel der Unternehmerverbände, die als letztes Relikt aus der Blütezeit der Arbeitsrechte übriggeblieben sind.

Man fordert die Kündigungsfreiheit, nach dem Zwischenspiel des Gesundheitsnotstands, als Bedingung für das Funktionieren der Unternehmen. Offensichtlich sind die Ausweitung der sozialen Abfederungsmaßnahmen, die es dem Arbeitnehmer erlauben, seinen Arbeitsplatz zu behalten, ohne den Unternehmenshaushalt zu belasten, zu wenig.

Man fordert Rahmenbedingungen, in denen niemandem hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Folgen der eigenen Tätigkeit Rechenschaft abgeben werden muss, abgesehen von den elementarsten gesetzlichen Verpflichtungen und Marktregeln. Ein Beispiel hierfür sind die Aktionen der lombardischen Unternehmen und deren Vertretung, um die Schließung der am stärksten vom Virus betroffenen Zonen zu verhindern oder zumindest zu verzögern.

Auch der große Druck zur Wiedereröffnung bezeugt, dass die Eigeninteressen manchmal wichtiger sind, als die öffentliche Gesundheit. Anscheinend soll der Mensch für die Wirtschaft da sein und nicht umgekehrt. Nicht desto zum Trotz heimst man die aufgrund der Pandemie unerwartet angebotenen Steuersenkungen und Staatshilfen kritiklos ein. Dabei entfallen Argumente wie die wirtschaftliche Tragfähigkeit, die bei Sozialleistungen immer im Vordergrund stehen. Man unterscheidet dabei nicht einmal zwischen denen, die tatsächlich Verluste erlitten haben und den Gewinnern aufgrund dieser tragischen Situation.  

Augenscheinlich wird der Konflikt zwischen Investitionen und Sozialleistungen, zwischen Unternehmen und Familien gesucht. Angeblich will man verhindern, dass auch nur ein einziger Euro für den Wiederaufbau weggeworfen wird. Dies kann man sicherlich unterstützen, leider folgen dann die üblichen Angriffe auf die Renten, die Sozialleistungen, auf das Bürgereinkommen. Aber das ist keine Neuheit.

Bonomi hält sich für einen Revolutionär, was für einen Unternehmer sicherlich eigenartig klingt, oder besser gesagt er spricht von "revolutionären" Arbeitsverträgen, bezüglich Technologien, Märkte und Produkte ohne anzumerken, dass diese „Revolution“ anderswo bereits vor Jahren stattgefunden hat. Einziges Ziel ist es dabei, fast alles zurückzunehmen, was die Unternehmen in der Vergangenheit zugestehen mussten.

Dies klingt wohl eher nach Restauration. Dabei vergisst man, dass den Arbeitnehmern bereits circa fünfzehn Punkte des BIP aus der Tasche gezogen wurden, eine Summe von 200 Milliarden Euro pro Jahr. Zusätzlich wurden viele Arbeitnehmerrechte bereits gestrichen und damit auch die gewerkschaftliche Vertretung geschwächt. Nun will man den verbliebenen Rechten der Arbeitswelt den endgültigen Gnadenstoß geben. Man will „dem Austausch des frühen zwanzigsten Jahrhunderts zwischen Löhnen und Arbeitszeit“ ein Ende setzen. Unklar bleibt dabei, was damit gemeint ist. Die nächsten Wochen werden diesbezüglich sicherlich Antworten bereithalten.

Die heutige Unternehmerklasse ist mit den alten Industriekapitänen nicht vergleichbar, die zwar unnachgiebig und meist gewerkschaftsfeindlich waren, die aber industrielle Visionen und ein Mindestmaß an Bewusstsein für ihre historische Rolle beim Wiederaufbau des Landes hatten. Dieses Bewusstsein ist heute größtenteils nicht vorhanden. 

Auf der einen Seite zeigt man unverschämt seinen Reichtum, ist aber aus unternehmerischer Sicht unsicher und kurzsichtig. Heute können wir im internationalen Vergleich zwar in der Unterhaltungs- und der Tourismusindustrie, der Gastronomie, in einigen Bereichen in der Luxusbranche mithalten, der Rest sind, mit einigen Ausnahmen, tendenziell veraltete Produktionen und es ist sogar nachvollziehbar, dass man in Ermangelung einer soliden innovativen Investitionspolitik auf Instrumente wie die Lohnkompression und die unbegrenzte Flexibilität der Arbeitskräfte hofft.

Unter solchen Voraussetzungen kommt ein Wirtschaftssystem klarerweise nicht sehr weit. Es sei denn, die Arbeitswelt rafft sich auf, wenn notwendig auch mit einer Phase des sozialen Konflikts, um die Karten neu zu mischen und um ein Umdenken seitens der Unternehmen zu erreichen.