Economia | Energie

Strompreise erreichen Rekordwerte

Seit Anfang des Jahres sind die Strompreise in den EU-Ländern stark gestiegen. Auch in Italien müssen die Verbraucher mehr für ihre Strom-Rechnungen bezahlen.
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Foto: Pixabay

Nach einem massiven Rückgang des weltweiten Energieverbrauchs im Jahr 2020 als Folge der Coronapandemie, wächst die Energie-Nachfrage in 2021 wieder kräftig, vor allem in den Schwellenländern China und Indien, aber auch in den USA, in Japan und in Europa. Aufgrund der steigenden Nachfrage und Angebotsbeschränkungen in einigen Exportländern haben die Preise für Gas und Kohle* Rekordwerte erreicht. Gas und Kohle sind wichtige Rohstoffe für die Elektrizitätsgewinnung, deshalb sind auch die Strompreise gestiegen.

2020 lag der weltweite Anteil von Kohle, Gas und Erdöl im Stromgewinnungs-Sektor bei 61%, in der EU waren es 35% und in Italien 57%. Verglichen mit dem EU- Durchschnitt ist der Stromanteil aus fossiler Energie in Italien sehr hoch. Italien hat nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 beschlossen seine Atomkraftwerke abzuschalten und hat vermehrt Gas-Kraftwerke errichtet. Italien muss, je nach Monat, zwischen 10% und 15% Strom aus den Nachbarländern Schweiz Frankreich, Slowenien und Österreich importieren.

Die Liberalisierung des Energiemarktes in der EU

Bis Ende der 1990iger Jahre war der Strommarkt in den meisten europäischen Ländern in der Hand von einem oder einigen wenigen Unternehmen, die größtenteils unter staatlicher Kontrolle standen. 1996 begann die EU mit der schrittweisen Liberalisierung des Strommarktes mit dem Ziel einen integrierten europäischen Elektrizitätsbinnenmarkt zwischen allen Mitgliedstaaten zu schaffen. Ziel war den Wettbewerb zu fördern und politische Eingriffe und Regulierungen zu reduzieren und den Markt für neue Anbieter zu öffnen. Für die Stromverbraucher sollte die freie Wahl der Stromanbieter sowie der Stromart (z.B. Ökostrom) und eine sichere Stromversorgung mit niedrigeren Preisen gewährleistet werden. Durch die Strommarktöffnung sollte auch Strom aus erneuerbaren Energien stärker gefördert werden. Im Zuge der Liberalisierung wurden in verschiedenen europäischen Ländern Strom-Börsen errichtet**, die dazu beitragen sollten, den Wettbewerb im Bereich der Stromproduktion und im Strom-Großhandel zu fördern und transparentere, marktgerechtere Strompreise zu gewährleisten.

Die Liberalisierung des Strommarktes ist in den einzelnen EU-Ländern verschieden stark fortgeschritten. Als positive Auswirkungen der Liberalisierung sind vor allem die Anbietervielfalt bei der Stromproduktion auch in Bezug auf Strom aus erneuerbarer Energie und die Wahlmöglichkeit der Verbraucher bezüglich der Stromanbieter zu beobachten.  Zu einer Strompreis-Senkung ist es  in den meisten EU-Ländern nicht gekommen, im Gegenteil in vielen EU-Staaten sind die Strompreise gestiegen, was auch an den gestiegenen Abgaben und Steuern liegt.

EU: Strompreise im Vergleich

Die Preisunterschiede für Strom in den EU-Ländern sind sehr hoch. Gründe dafür sind einerseits Angebots- und Nachfragebedingungen, der nationale Strommix, Diversifizierung der Importe, Netzkosten, Umweltschutzkosten sowie die Höhe der Steuern und Abgaben.

Deutsche Verbraucher zahlen den höchsten Strompreis, gefolgt von Dänemark, Belgien und Irland. Italien rangiert auf Platz 7. Die bei weitem höchsten Steuern auf Strom zahlen die Dänen und die Deutschen. Die geringsten Stromkosten fallen in Bulgarien und Ungarn an. Vor allem stark divergierende Steuern machen die großen Unterschiede bei den Stromkosten in den einzelnen EU-Ländern aus.

Der italienische Strommarkt

Bis Ende der 1990iger Jahre hatte die staatliche Enel ein weitgehendes Monopol auf die Stromerzeugung, die Stromverteilung und die Stromversorgung.  1999 wurde mit dem „Bersani Dekret“ der Grundstein für die Liberalisierung des italienischen Strommarktes gelegt.

Im Bereich der Stromproduktion gibt es eine Vielzahl von Anbietern, die den Strom entweder auf Großhandelsbasis durch bilaterale Verträge oder durch Verkäufe an der Strombörse an die Stromversorgungsunternehmen verkaufen.

Die TERNA S.p.A. hat ein Monopol auf fast 100% des nationalen Netzes und ist für Verwaltung, Erhaltung und Ausbau des nationalen Hochspannungs-Stromnetzes verantwortlich. Sie liefert den Strom von den Stromproduzenten in das regionale und lokale Verteilernetz. Die TERNA S.p.A. arbeitet unter der Aufsicht der ARERA (Regulierungsbehörde für Energienetze und Umwelt). 

Eine Vielzahl an Verteilergesellschaften (Distribution System Operators-DSO) sind für die Umwandlung von Hoch- auf Mittel-/Niederspannungsenergie in den diversen Regionen zuständig. Sie liefern den Strom an die Endverbraucher (Unternehmen, Haushalte) und sind für die Messung und Erfassung der Messdaten verantwortlich. Die größte Verteilergesellschaft ist die E-Distribuzione (vormals Enel-Distribuzione).

Die Stromversorgungsunternehmen/Stromanbieter***, kaufen den Strom im Großhandel direkt von den Stromerzeugern oder an der Strom-Börse. Sie sind für den Strom-Verkauf an die End-Verbraucher zuständig und schließen die Strom-Verträge mit Unternehmen und Haushalten ab.

In vielen Fällen ist dasselbe Unternehmen sowohl für die Stromproduktion als auch für die Verteilung und den Stromverkauf an die End-Verbraucher zuständig, wie zum Beispiel die Enel-Gruppe. Für das nationale Netz ist jedoch immer die TERNA S.p.A. zuständig.

Im April 2004 wurde die italienische Strom-Börse in Betrieb genommen (Italian Power Exchange - IPEX), wo Strom im Spothandel verkauft/gekauft wird. Die IPEX wird von der GME (Gestore del Mercato Elettrico) verwaltet. Betreiber von konventionellen Kraftwerken, Wasserkraftwerken sowie Betreiber von Windparks oder Photovoltaik-Anlagen bieten ihren Strom an der IPEX an, während Energieversorgungsunternehmen/Stromgroßhändler Strom kaufen, den sie dann an die Endverbraucher verkaufen.

Prezzo Unico Nazionale - PUN

Der Prezzo Unico Nazionale - PUN ist der Großhandels-Referenzpreis für Strom, der an der italienischen Strombörse (IPEX) gebildet wird. Er entspricht dem gewichteten Durchschnitt der Stromverkaufspreise unter Berücksichtigung der Mengen und Preise, die in den verschiedenen Regionen Italiens und zu verschiedenen Tageszeiten realisiert werden. Sein Wert hängt in erster Linie von Angebot und Nachfrage ab, den Produktionskosten der Kraftwerke, den Wetterbedingungen, die sich auf die Produktion aus erneuerbaren Energien auswirken, dem Großhandelspreis anderer europäischer Strommärkte und auch von geopolitischen Faktoren ab. Traditionell steigt der PUN in den Sommermonaten aufgrund der geringeren Produktion durch Wasserkraftwerke.

Der PUN hat sich seit Jänner 2021 mehr als verdoppelt. Grund dafür sind einerseits die stark gestiegenen Gas- und Kohlepreise, welche die Produktionskosten für Gas- und Kohlekraftwerke stark erhöht haben, andererseits haben auch die deutlich gestiegenen Preise für CO2-Emissionszertifikate**** die Produktionskosten der Kraftwerksbetreiber in die Höhe getrieben.

Die Stromlieferanten zahlen für den größten Teil des von ihnen an die Endkunden verkauften Stroms einen Preis, der auf dem PUN basiert. Daher schlägt sich die Entwicklung des PUN auch in der Stromrechnung der Verbraucher nieder.

Der Strompreis für die Verbraucher ist das Ergebnis komplexer Berechnungen. In der Strom-Rechnung befinden sich folgende Posten: 1. Energieausgaben, 2. Kosten der Dienste des Verteilernetzes, 3. Systemkosten und 4. Steuern. Die Energieausgaben, d. h. der Anteil, der für den Kauf des Stroms gezahlt wird, variieren je nach Stromanbieter und hängen weitgehend von der Entwicklung des PUN ab, während die Kosten der Dienste des Verteilernetzes, die Systemkosten und die Steuern von den entsprechenden Behörden festgesetzt werden und vom jeweiligen Stromanbieter unabhängig sind.  Sowohl die Stromtarife des „Freien Marktes“, als auch die des „Geschützten Marktes“ werden vom PUN beeinflusst. *****

Um den starken Anstieg der Stromrechnungen einzudämmen, hat die italienische Regierung einige Gebühren reduziert, aber diese Maßnahmen konnten die erhöhten Stromkosten nur teilweise ausgleichen.

Wie wird sich der Strompreis in Zukunft entwickeln?

Laut Energiemarkt-Experten werden die Gas- und Kohlepreise noch länger auf hohem Niveau bleiben. Zudem sind die Gas-Lagerbestände in Europa heuer wesentlich niedriger, als es in anderen Jahren der Fall war. Ein strenger Winter könnte die Preise noch weiter in die Höhe treiben. Andererseits könnte eine baldige Inbetriebnahme der Nordstream 2 Pipeline und dadurch höhere Gasimporte aus Russland die Lage auf dem Strommarkt entspannen, doch noch ist ungewiss, wann das sein wird. Wie die Situation derzeit aussieht, werden die Verbraucher wohl noch länger mit hohen Stromrechnungen rechnen müssen.

*2021 haben China und Südkorea wegen der starken Nachfrage große Mengen Flüssiggas (LNG) zu überhöhten Preisen aufgekauft, deshalb wurden geringere Mengen an Flüssiggas nach Europa exportiert. Während des ersten Halbjahres 2021 sind die russischen Gasexporte nach Europa laut Gazprom um fast 30% gestiegen, doch  seit einigen Wochen hat Russland die Gasexporte, die über die Jamal-Europa-Pipeline nach Europa transportiert werden, stark verringert. Zudem ist die Gasproduktion in Europa gesunken. Ende August erreichten die Gaspreise mit über 585 Dollar pro 1.000 Kubikmeter einen historischen Rekord. Auch die Kohlepreise in Europa sind auf ein Neunjahreshoch gestiegen. Die Erdölpreise sind auch gestiegen, doch Erdöl spielt im Stromgewinnungssektor nur eine sehr geringe Rolle.

** Strombörsen sind Handelsplätze für elektrische Energie, die ähnlich wie Wertpapierbörsen funktionieren. Angebot und Nachfrage bestimmen die Preise. Die gehandelten Produkte sind zeitlich begrenzte Strommengen, die in Megawattstunden (MWh) angegeben werden. Strom-Produzenten bieten Strom an und Großhändler (Stromversorgungsunternehmen) kaufen Strom. Auf dem Spotmarkt werden kurzfristige Stromlieferungen gehandelt, während auf dem Terminmarkt langfristige Stromlieferverträge gehandelt werden.

Ziel der EU ist eine große, einheitliche europäische Strombörse, doch bis dahin ist es noch ein langer Weg. Derzeit gibt es in Europa 12 verschiedene Strombörsen, von denen einige nur auf nationaler Ebene handeln. Wichtige Länder-übergreifende Strombörsen sind die skandinavische Strombörse Nordpol, die European Energy Exchange (EEX) in Leipzig, welche die größte kontinentaleuropäische Energiebörse ist und die EPEX SPOT SE in Paris. Der Handel an den Strombörsen erfolgt ausschließlich elektronisch.

 *** Die größten Stromlieferanten/Stromversorgungsunternehmen in Italien sind: Enel Energia, Eni Gas e Luce, Edison Energia, Acea Energia, E.On Energia.

**** Vor 16 Jahren führte die EU den CO2-Emissionshandel ein. Für ihren CO2-Ausstoß müssen große CO2-Emittenten, wie Kraftwerke, CO2-Emissionsrechte (= CO2-Zertifikate) kaufen.  Dadurch soll ein Anreiz geschaffen werden, weniger CO2 zu emittieren. CO2-Zertifikate werden an der Börse gehandelt. Die Preise für CO2-Zertifikate haben sich in den vergangenen Monaten massiv verteuert. Lag der Preis an der Londoner Terminbörse im März 2020 noch bei unter 16 Euro, notierte er Anfang September 2021 bei rund 60 Euro je Tonne.

***** Die Verbraucher können den Strom auf Basis des „freien Marktes“ (mercato libero) oder auf Basis des geschützen Marktes“ (mercato tutelato) beziehen. Die Unterschiede zwischen dem geschützten und dem freien Markt sind im wesentlichen zwei, einer betrifft den Preis und der andere, welche Behörde ihn festlegt oder regelt. Auf dem freien Markt legen die jeweiligen Stromversorgungsunternehmen/Stromlieferanten den Preis, basierend auf dem PUN, fest, während auf dem geschützten Markt die Tarife von der ARERA (= Regulierungsbehörde für Energie, Netze und Umwelt) alle drei Monate neu festgelegt und aktualisiert werden. Dabei fließt auch die Entwicklung des PUN in die Berechnung der Preise ein.