Gefühle und Geschichte
„Auch die geschichtswissenschaftliche Forschung hat einen Schritt nach vorne gemacht“, betont Oswald Überegger vom Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte. Am verganegenen Wochenende eröffnete er die Tagung „Große Gefühle“ im Kampf um den „eigenen Staat“, für welche zahlreiche Vortragende an den Universitätsstandort in Brixen angereist waren. Unter ihnen auch der junge Historiker Tim Buchen, der passend zum 11.11. (Karnevalbeginn und Nationalfeiertag in Polen) über Separatismus und Karneval referierte, sowie über Autonomiebestrebungen in Oberschlesien. Er untersuchte dabei die karnevalesken, performativen Aufführungen bäuerlicher Selbstbestimmung in ihrem sozioökonomischen und regionalhistorischen Bezugssystem. „Es geht dabei um die Umkehr von Machtverhältnissen, um das Verkleiden und das sich Aneignen von Herrschaftszeichen, aber auch die Verballhornung von Autoritäten.“ präzisiert er gegenüber salto.bz. Im Vortrag David gegen Goliath? sprach die Historikerin Lina Schröder wie sich „sieben Länder“ zu einem Volk vereinigen konnten und die Niederlande entstehen ließen. Die Republikgründung stelle zwar „keine ‚gewöhnliche‘ regionale Unabhängigkeitsbewegung“ dar, war aber möglich, „weil die Region in ihrer Gesamtheit als eigene Größe keine identitätsstiftende Wirkung erzielte, sie stattdessen die dort lebende Bevölkerung seit jeher zu einem gewissen Pragmatismus erzog“, so ihre These.
Seit den 1990er Jahren beschäftigt sich die Geschichtswissenschaft verstärkt mit Emotionsgeschichte, da erkannte wurde „dass Gefühle eine wesentliche Rolle spielen, auch im Bereich der Politik“, so Überegger. Ging es der Geschichtswissenschaft früher vor allem darum Ereignisse festzustellen und zu beschreiben, wurde Alltagskultur gerne ausgeblendet. „Emotionen werden gemacht, da geht es auch um Gefühlserziehung“ betonte in diesem Zusammenhang die Historikerin Birgit Aschmann. Dabei müsse manchmal ein historisches Ereignis vollkommen neu unter die Lupe genommen und interpretiert werden, da viele neue (alte) Faktoren hineinspielen, deshalb sei das ganze auch „so komplex“.
Historiker Christoph Jahr berichtete über Kurt Eisner, der mit mehreren kulturaffinen Intellektuellen aus dem linken Spektrum den „Freistaat“ Bayern proklamierte und dafür anfänglich auch von weit rechts außen gefeiert wurde.
Anhand von einigen ausgewählten Beispielen aus der Geschichte des baskischen Nationalismus von 1895 bis heute untersuchte der Historiker Ludger Mees die besondere Dialektik „zwischen nationaler Mobilisierung und historischem Kontext“. Wie in anderen nationalistischen Bewegungen gab es auch im baskischen Fall Konjunkturen der „entfesselten Nation“, denen andere der „gezähmten Nation“ folgten.
„Kontrolle über alles“ – Gründe und Strategien emotionaler Deeskalierung in der Politik Südtirols ab 1945 betitelte Hans Heiss (einen Tag vor seinem 70. Geburtstag) seinen Vortrag. Er beobachte „ein komplexes dialektisches Verhältnis zur Emotionalisierung von Politik“. Heiss schilderte die spezifische Situation Südtirols und setzte sie in Vergleich mit anderen Regionen. „Die betonte Nüchternheit und Rhetorik der Mehrheitspartei SVP“ so Heiss, ließe „Emotionen zwar anklingen“, aber nur zum Zweck „um sie sorgsam zu kontrollieren.“
Ivan Stecher, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Institut für Zeitgeschichte Innsbruck mit dem Forschungsschwerpunkt Optionsgeschichte, ließ das Lied Wohl ist die Welt so groß und weit – im übertragenen Sinn – anklingen und referierte am Beispiel Karl Felderer über die „Rolle des Deutschnationalismus als Emotionalisierungsinstrument der sezessionistischen Bewegungen in Südtirol“ . Felderers Oeuvre zeige „ideengeschichtlich die jeweiligen Zeittendenzen des Sezessionismus in Südtirol, von der deutschnational eingefärbten Optionspropaganda bis hin zum rhetorischen Etikettenwechsel, der sich bis in die heutige Zeit halten konnte.“ Daneben gab es natürlich auch Vorträge zu historischen Vorgängen in Katalonien und Schottland.
Auch bei der für Anfang Dezember angesetzten Tagung Crossing the Border – organisiert von den Historikerinnen Siglinde Clementi und Francesca Brunet – werden emotionsgeschichtliche Untersuchungen eine nicht unwesentliche Rolle spielen, geht es doch um illegale Grenzüberschreitungen im Zeitraum zwischen 16. und 19. Jahrhundert. Zahlreiche internationale Gäste und spannende Vorträge werden erwartet.
Wir sehen im Hintergrund
Wir sehen im Hintergrund dieses Artikels die Fahnen von Schottland und Katalonien, wo es sehr starke Unabhängigkeitsbewegungen gibt, welche eine links-nationale inklusivistische Ausrichtung (SNP, ERC) haben. Was spricht hier gegen den Links-Nationalismus? Muss Separatismus immer rechts sein, oder kann er duch ein Wirtschafts- und Gesellschaftspolitisches Programm sich auch links Zuneigen? Bin der vollen Überzeugung, dass in Süd-Tirol die Schablone des Links-Nationalismus nicht verstanden wird, und die sog. "Patrioten", deshalb Partout nach rechts gereiht werden, denn für das Anliegen das sie haben, gibt's halt nur in den deutschsprachigen Ländern "von rechts" Hilfe.
Unabhängigkeit muss nicht
Unabhängigkeit muss nicht unbedingt Separatismus bedeuten, für die Linke(gibt es eigentlich noch "die Linke"?) kann es auch das Bestreben nach der großen Internationalen sein.
Und da braucht es keinen Staat mehr. also auch keinen Separatismus.
In risposta a Unabhängigkeit muss nicht di Manfred Gasser
...ganz Ihrer Meinung ...
...ganz Ihrer Meinung ...
Um dies umzusetzen, bräuchten wir mehr gegenseitigen Respekt und mehr Wertschätzung für die Verschiedenheiten (die das Leben erst bunt machen und "Fortschritt" generieren).