„Vertrauensvoll und freudig“
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SALTO: Welches Buch hat Sie in Ihrer Kindheit nachhaltiger geprägt, als Sie damals je geglaubt hätten?
Anna Rottensteiner: Schon immer habe ich in Büchern Lebenswelten außerhalb meiner eigenen gesucht. Worin ich mich als Kind komplett verlieren konnte, waren die Romane rund um Hanni und Nanni. Mir gefiel das Internatsleben, das dort geschildert wurde und mir aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen sehr frei vorkam. Und ich glaube, dass in den Büchern jenseits der Vermittlung der klassischen Rollenbilder auch schwesterliche bzw. mädchenfreundschaftliche Verbundenheit zum Ausdruck kam, etwas, das ich in späteren Jahren in feministischen Kontexten (er)lebte.
Welcher letzte Satz eines Romans ist und bleibt für Sie ganz großes Kopfkino?
Der Schweizer Schriftsteller Jürg Amann hat einmal gesagt, er schreibe und komponiere seine Bücher immer auf den letzten Satz hin, den er von Anfang an im Kopf habe. Das Ende sei der Ausgangspunkt. Der letzte Satz seines Romans „Am Ufer des Flusses“ hat sich mir nachhaltig eingeprägt: „Als ich ihn fragte, was kommt nach dem Tod?, sagte er: nichts.“ Er hat mich in seiner Kompromisslosigkeit und Klarheit sehr getroffen, zumal nach ihm nichts mehr kommt, so wie in der Vorstellung des Protagonisten, der ihn ausspricht, nach dem Leben nichts mehr kommt. Das Schließen dieses Buches war daher so etwas wie ein kleines Bisschen Sterben. Allerdings mit Auferstehung.
Meinen eigenen und jenen des Komitees des Literaturnobel-Preises.
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Reimen ist doof, Schleimen ist noch doofer… Auf welches – anscheinend gute – Buch konnten Sie sich nie wirklich einen Reim machen?
Ich beginne jedes Buch vertrauensvoll und freudig. Wenn es nach 30 Seiten nicht hält, was ich mir erwartete oder was versprochen wurde, lege ich es zur Seite und denke nicht weiter über es nach. Das waren im Lauf der Jahre nicht wenige und ich möchte kein einzelnes herausgreifen.
Ein Fall für Commissario Vernatschio. Wie erklären Sie einem Außerirdischen die geheimnisvolle Banalität von Lokalkrimis?
Auch in diesem marktökonomisch mittlerweile bedeutsamen Publikationszweig gibt es settene und sellene. Die Kriminalromane rund um Commissario Montalbano von Andrea Camilleri zum Beispiel, die ja auch alle in derselben Gegend spielen, finde ich literarisch sehr gelungen, von der psychologischen Durchdringung über das Spiel mit den verschiedenen Sprachebenen bis hin zu den kulinarischen Einsprengseln. Viele Lokalkrimiautor*innen versuchen heute vergeblich, ihn darin zu imitieren.
Welchen Buch-Tipps schenken Sie noch uneingeschränkt Vertrauen?
Meinen eigenen und jenen des Komitees des Literaturnobel-Preises. Da konnte ich in den letzten Jahren großartige Autorinnen und deren Werk kennenlernen wie Olga Tokarczuk, Louise Glück oder Han Kang.
Was für ein Fehlschlag! Welches Buch würden Sie auf einer einsamen Insel zurücklassen?
Gerade auf einer einsamen Insel, wo vielleicht nach mir einer strandet und verzweifelt ohne Buch dasteht, würde ich nur ein Buch liegen lassen, das ich zutiefst mag. Zum Beispiel Marlen Haushofers „Die Wand“.
Das Rauschen des Blätterns. Welches Buch würden Sie auf keinen Fall am E-Book-Reader lesen?
Ich mag es, die Bücher, die ich gelesen habe, um mich zu haben, sie nicht zu vergessen, sie aus meiner Bibliothek zu ziehen (in großen Abständen auch abzustauben) und in ihnen zu blättern. Sie sind Teil meiner Identität. Manchmal fällt dann ein Blatt heraus mit Notizen oder eine getrocknete Blüte, und das beamt mich zurück in Zeit und Ort, wo ich das Buch gelesen habe. Das bringt ein E-Reader einfach nicht.
Welches Buch zu Südtirol oder eines/einer Autors/Autorin aus Südtirol würden Sie unbedingt weiterempfehlen?
n.c. kasers Satz „Südtirol wird eine Literatur haben, wie gut, dass es niemand weiss“ aus seiner Brixner Rede hat sich als prophetisch erwiesen (übrigens auch ein schöner Schlusssatz). Mittlerweile ist es zum Glück bekannt, 2023 ist es sogar bis zur Longlist des Deutschen Buchpreises vorgedrungen, und das völlig zu Recht. Sepp Malls Roman „Ein Hund kam in die Küche“ ist sprachlich, formal und emotional dermaßen eine Einheit, dass es einem die Tränen in die Augen treiben kann beim Lesen. Was in meiner jahrzehntelangen Lektüreerfahrung selten vorgekommen ist.
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