Ambiente | Transit

"Was ist da historisch?"

Dass die Politik das neue Rahmenabkommen zur Brennerautobahn als wegweisend feiert, ist für den Tiroler Transitgegner Fritz Gurgiser "einfach nur peinlich".

Die neue Konvention zur Brennerautobahn, von Landeshauptmann Arno Kompatscher am Freitag Vormittag gegenüber RAI Südtirol als  "historischer" Schritt und als "Pilotprojekt für ganz Europa" gefeiert, wird einige Neuerungen in der italienischen Verkehrspolitik bringen. Die Führung der A22 wird in die Hände einer rein öffentlichen Gesellschaft gelegt, die dazu verpflichtet wird, den Brennerbasistunnel querzufinanzieren und Investitionen in  Sachen Lärmschutz zu tätigen. Zudem erhält die Betreibergesellschaft erstmals Spielraum  für eine Mauterhöhung zu Lasten des umweltbelastenden Schwerverkehrs. Schließlich soll die sogenannte Risiko-Klausel (clausola di rischio traffico) aus der Konzession verschwinden, das heißt, in Zukunft gibt es keine staatlichen Ausgleichszahlungen mehr an die Betreibergesellschaft, wenn auf ihrer Strecke weniger Verkehrsaufkommen herrscht als erwartet und daher auch weniger Mauteinnahmen anfallen.  Für Fritz Gurgiser vom Tiroler Transitforum sind all diese Maßnahmen "lächerlich" und die Erklärungen der Politiker "entbehrliches Geschwätz". Er ist mit den Aktionen auf Südtiroler Seite zur Eindämmung des Schwerverkehrs auf der Brennerachse gar nicht zufrieden. Das Tiroler Transitforum werde seine Tätigkeit deshalb sehr bald "bis nach Salurn" ausdehnen, sagte er heute zu salto.bz.

"Wenn Landeshauptmann Kompatscher gesagt hätte, mehr als das bringen wir nicht zustande, könnte ich damit leben. Aber das Rahmenabkommen zur neuen Konzession als historisch zu feiern, ist peinlich", poltert der 63-jährige Transitgegner. "In Nordtirol und in der Schweiz kostet der Kilometer für den Schwerverkehr 70 Cent, auf der Strecke Brenner-Verona liegt der Kilometerpreis bei 13 bis 14 Cent", rechnet Gurgiser vor. Was solle da eine Erhöhung der Lkw-Maut um einige Prozent auf Südtiroler und Trentiner Seite schon bringen? "Selbst wenn die Lkw-Maut südlich des Brenners um 50 Prozent teuer wird, wäre das immer noch zu wenig. Diese Maßnahme ist einfach lächerlich und das Geschwätz darüber entbehrlich."

Auch der Querfinanzierung in Richtung Brennerbasistunnel kann Gurgiser, seit knapp 30 Jahren an vorderster Front gegen den Brenner-Transit und in Sachen Verkehr ein wandelndes Lexikon, nichts Positives abgewinnen: "Zur Ablenkung von den wirklichen Problemen baut man vergnügt an diesem Loch herum, durch das keine Lkw-Ladung jemals fahren wird. Der Güterverkehr auf der Schiene ist in Europa seit Jahren rückläufig."

Auf der einen Seite des Brenners (nördlich) seit Jahrzehnten Widerstand und zumindest im technischen Bereich sehr viele umgesetzte Schutzmaßnahmen (Flüsterasphalt, Lärmschutz, Einhausungen, Fahrverbote für schadstoffreiche Lkw’s, Nachtfahrverbot etc.) und auf der anderen Seite des Brenners (südlich) de facto nur Gerede wie Schall und Rauch und Ablenkung.
Facta, non verba – das zählt und nicht das, was seit Jahrzehnten auf Tausenden Seiten Papier als Ankündigungen geschrieben steht.
(Fritz Gurgiser)

Die Umweltschützer und Transitgegener in Südtirol und im Trentino machen aus Gurgisers Sicht einfach zu wenig Druck: "Wenn die Schadstoffwerte steigen, erzählen die den Leuten, sie sollen freiwillig aufs Autofahren verzichten und weniger heizen. Über den Lkw-Transit verlieren sie kein Wort. Wir hier in Nordtirol zerfleischen uns, um den Schwerverkehr einzudämmen, aber mit unseren Bemühungen bleiben wir auf einem Drittel der Brenner-Strecke sitzen, weil Südtirol und das Trentino nicht richtig mitmachen." Deshalb werde das Nordtiroler Transitforum seine Aktionen sehr bald "bis nach Salurn ausdehnen". "Wir werden regelmäßig auch in Südtirol Pressekonferenzen abhalten", sagt Gurgiser und kündigt ein "Arbeitspapier Tatort Brenner 2016" an. 

Bild
Profile picture for user Rudi Rieder
Rudi Rieder Sab, 01/16/2016 - 12:09

Bravo Gurgiser! Die Tatsache, daß man zur Querfinanzierung des BBT's verpflichtet wird, sagt doch schon von selbst aus, wieso man die Konzession bekommen hat. Eine Hand wäscht die andere, man braucht doch nur die Geschichte der TAV in Italien zu verfolgen, um die Zusammenhänge zwischen Poltik, Geld und den großen Bauunternehmen der Mafia zu erkennen. Richter Imposimato:"la TAV é la mamma di tutte le tangenti" (der Hochgeschwindigkeitszug ist die Mutter aller Schmiergelder!!)

Sab, 01/16/2016 - 12:09 Collegamento permanente
Bild
Profile picture for user Fritz Gurgiser
Fritz Gurgiser Sab, 01/16/2016 - 13:54

In risposta a di Rudi Rieder

Das Ganze ist eine Katastrophe an sich, weil damit etwas vorgegaukelt wird, was nie aufgehen kann: Hochleistungsstrecken wie eben Berlin-Palermo, wovon der BBT nur ein Miniteil ist, werden eben NICHT für den Güterverkehr, sondern für immer schnelleren Personenverkehr gebaut - gerade so, als ob es das Lebensziel der nächsten Generationen sein wird, immer schneller von einem Ort zum anderen zu gelangen. D. h., die nächsten Generationen "arbeiten" nicht mehr, sondern fahren immer schneller kreuz und quer durch Europa. Dann muss eben dieses Fahren mit einer "Vergnügungssteuer" belegt werden, damit die Steuereinnahmen, die heute noch aus der Arbeit kommen, in Zukunft halt vom Fahren kommen.
Während also der Bevölkerung ständig vorgegaukelt wird, dass nach Inbetriebnahme des BBT selbstverständlich die Güter auf die Eisenbahn verlagert werden (diese Lüge kennen wir aus der Praxis seit mehr als 25 Jahren) und zudem ständig so getan wird, als müssten wir alle immer schneller von einem Ort zum anderen, wird damit BEWUSST und WISSENTLICH das verschwiegen, worum es geht:
Um bis zu 100 % überhöhte Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit an der Brennerautobahn (nördlich und südlich des Brenners),
um hohe Abwertungen privaten und betrieblicher Liegenschaften entlang der Brennerautobahn (... ),
um fehlende Lärmschutzmaßnahmen, Einhausungen, Verlegungen der Brennerautobahn (...) in besonders sensiblen Teilen,
um Abwanderungen von Wirtschaftsbetrieben aller Branchen entlang der Brennerautobahn (...) samt den Arbeitsplätzen,
um Rückgang im Tourismus entlang der Brennerautobahn (...) - wer kommt schon zum Transit-Lkw-zählen zu uns und
letztlich darum, dass nicht das Problem an sich gelöst wird, sondern nur herumgepfuscht und Milliarden an Steuergeld, die viel besser in die Regionen investiert gehören, immerwährend an eine Minderheit von "amici" verteilt wird.
Und ein Großteil der Medien lässt sich immer noch für diese Ablenkungen missbrauchen - so wie gestern gleich in Bozen gefragt wird, wie schnell auf der Autobahn gefahren werden soll (Südtirol heute) und ein paar echte "Profis" am liebsten mit 200 km/h - und das noch ganz "bärig" finden.
Sie hätten besser gefragt, ob sie auch Kindern und Großeltern haben, die besonders bei Inversionslagen mit Atemwegserkrankungen befasst sind, ob sie noch einen gutbezahlten Arbeitsplatz haben, ob es ihnen gefällt, wenn ihre geliebten Äpfel und Trauben vor allem im Bozner Unterland direkt an der Autobahn mit Dieselabgasen eingenebelt werden ...
Jetzt kommt die Zeit, in der wir von unten die Europaregion zu gestalten haben - die da oben sind nicht dazu imstande, das beweisen sie nun lange genug.
LG
Fritz Gurgiser
www.transitforum.at

Sab, 01/16/2016 - 13:54 Collegamento permanente