Economia | Tourismus

Entweder jetzt oder nie

Wenn es uns jetzt nicht gelingt, die sowieso schon übermäßige Ausbeutung unserer Landschaft einzuschränken, dann wird es uns noch Leid tun.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
Grande Carosello
Foto: Repubblica.it

Wer ernten will, muss erst sähen. Zu glauben, dass die Dinge von alleine funktionieren, ohne dass man zuvor Zeit, Energie und Hingabe investiert hätte, ist utopisches Wunschdenken. Wer seine Kräfte ausschließlich für seine persönlichen Aktivitäten einsetzt, trägt zum persönlichen Wohlbefinden übrigens gar nichts bei. Das zu denken wäre pure Illusion, wenn nicht sogar Mystifikation. Wir sind soziale Wesen und als solche nehmen wir auf die eine oder andere Weise zwangsläufig an den Aktivitäten der Gemeinschaft teil. Wir oft hören wir uns sagen „dafür habe ich keine Zeit“. Aber das Leben besteht nun mal aus Prioritäten. Und eine unserer Prioritäten hat zu sein, dass die Erde, die wir leihweise zur Verfügung gestellt bekommen haben, nicht noch weitere Veränderungen zum Schlechteren hinnehmen muss. Es muss unsere Priorität sein, uns für die Schwächeren und diejenigen Menschen einzusetzen, die weniger Glück hatten als wir. Wir können nicht erwarten, glücklich zu werden, wenn wir uns in unseren Kokon einspinnen. Wir tun das ja alles auch für uns selbst, um in Frieden und Heiterkeit zu leben. Um unseren Beitrag zur Harmonie zu leisten, müssen wir wie Zwitterwesen agieren. Müssen einerseits zwar Vernunft bemühen, dürfen uns andererseits aber nicht in allzu starren Gedanken bewegen. Müssen Liebe in unser Tun stecken. Und mit Liebe möchte ich auch an unsere Umweltschutzorganisationen sowie an alle Organisationen appellieren, die sich mit Tourismus beschäftigen. 
Ohne gleich absurde Katastrophenstimmung aufkommen lassen zu wollen, glaube ich doch, dass wir unsere geschäftlichen Aktivitäten großer Gefahr aussetzen. Wenn uns nicht klar ist, wie wichtig es ist, die extreme touristische Belastung – speziell die motorisierte - drastisch unter Kontrolle zu bekommen, und zwar auch mit Methoden, die auf den ersten Blick extrem wirken, dann machen wir uns in dieser immer dynamischeren und komplexeren Welt vermutlich sehr angreifbar. Diese Welt fordert aus wirtschaftlicher Sicht zwar Professionalität, aus menschlicher Sicht hingegen verantwortliches Handeln. Die Idee: Wir sollten uns in einer Art „Unesco-Landschaftsschutzprogramm“ engagieren, denn wir bringen alle Voraussetzungen dafür mit. Wir könnten damit Exzesse verhindern, ohne uns in einen Naturschutz-Käfig zu sperren, und so durch Verhandeln einen vernünftigen Kompromiss erzielen. Wir leben vom Tourismus, aber das bedeutet nicht, dass wir uns zwangsläufig von Blechlawinen verschütten lassen, unsere Gebirgsdörfer nachts von unästhetischem Neon-Geblinke beleuchtet lassen und unsere Häuser dem Meistbietenden abtreten müssen. 

Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Ski-Weltmeisterschaften 2021 die Aufrüstung der Bergbahnen und Verbreiterung der Skipisten ermöglichen werden. Damit meine ich nicht, dass nicht modernisiert werden soll, im Gegenteil: Bestimmte Sessellifte und Seilbahnen im herrlichen Tal von Cortina d’Ampezzo müssten unbedingt neu gemacht oder besser durchdacht werden und auch bei den Hotels gäbe es einiges zu tun. Aber Achtung! Dabei darf nicht der Charme alter Häuser zerstört werden. Auch neue Pistenverbindungen mit dem Gadertal und dem Fodomtal sind keine gute Idee; das geruhsame Leben von Colle Santa Lucia sollte nicht gestört und außerdem darauf geachtet werden, dass der ohnehin schon schwächelnden ladinischen Identität der Provinz Belluno nicht mit der Machete völlig der Garaus gemacht wird. Nur noch wenige Menschen sprechen unsere Sprache, und die Gefahr der Kontamination lauert an jeder Ecke! Luca Zaia, der Präsident Venetiens, dessen Ideen in Sachen Umweltsensibilität ich für höchst gefährlich halte, hat angekündigt, dass er „nach den Winterspielen 2026 und der Ernennung des Prosecco-Gebiets zum Welterbe, das heute noch vom Wein leben wird, in der Zukunft aber vom Tourismus, schon eine neue Idee“ parat hat.* Von dem, was diesem Mann, der sich seit jeher gegen die Schließung der Dolomitenpässe ausgesprochen hat, im Kopf herumgeht, bekomme ich jetzt schon Bauchweh. Mein Appell an unsere Provinz lautet daher folgendermaßen: Lasst uns nicht übertreiben, denn die Schäden, die wir jetzt verursachen, werden wir nicht mehr reparieren können. Die Gäste sind heute sehr viel sensibler als früher und werden keine touristischen Konzepte mehr akzeptieren, in denen es nur noch allein um den Profit geht. 
Bevor wir Pisten und Skigebiete verbinden, sollten wir uns erst einmal menschlich miteinander verbinden. Miteinander reden. Gemeinsam innovative und nachhaltige Projekte vorantreiben. Wenn uns das nicht gelingt, bleibt uns nur noch eine einzige Waffe: Wir können darum bitten, aus der Liste der Unesco-Welterben wieder gestrichen zu werden. Wir haben das Glück, in den Dolomiten zu leben, dieser so fragilen Naturlandschaft, doch es macht mich auch traurig, denn ich bin davon überzeugt, dass diese Unesco-Auszeichnung, über die ich mich vor zehn Jahren noch so gefreut habe, in Wirklichkeit völlig wertlos ist und für uns alles andere als eine gute Idee war. Aber jetzt haben wir sie uns nun mal an die Brust geheftet. Und sollte uns fragen: Sind wir wirklich stolz darauf? Verdienen wir diesen Stolz? Und wieso empfinden wir ihn überhaupt?

Die Möglichkeit, unsere Heimat zu (er)leben, sollten wir Menschen geben, die wie wir selbst lernen werden, dieses großartige Land aus tiefstem Herzen zu lieben. Vermeiden wir jedoch schlechte und kurzsichtige Lösungen, für die unsere Enkel uns eines Tages hassen werden. Liebe Umweltschützer und Hoteliers-Kollegen, der Moment ist gekommen, gemeinsam nachzudenken und dabei sowohl Herz als auch Kopf zu nutzen. Wir brauchen beide. Lauschen wir unserem eigenen Atem, lauschen wir dem Atem der Erde und seines leuchtenden Satelliten. Spüren wir dem Rhythmus der gemeinsamen Zugehörigkeit aller Menschen zu einer grenzenlosen Kosmologie nach, statt uns immer nur um unseren eigenen Bauchnabel zu drehen. Hören wir nicht auf, von der Regeneration unseres Handelns zu träumen, von einem Denken, das uns wieder näher zur Natur bringt. Hören wir endlich auf damit, die Natur unter dem Schmutz von Zivilisation und Korruption zu begraben. Hören wir damit auf, die Natur kaputt zu machen – sie ist dank unseres Konsumwahns ohnehin schon kaum wiederzuerkennen – und bemühen wir uns stattdessen gemeinsam darum, diese Welt weniger von ihrer wahren Natur zu entfremden. Wir werden alle davon profitieren, die neuen Generationen eingeschlossen. 

*Hier weiteres zu Zaia's Idee: Le Dolomiti in seggiovia o sugli sci, parte il progetto del "Grande Carosello"