Ambiente | Klima
„Jemand wie ich soll entscheiden“
Foto: Gramberger
Am 15. und 16. Jänner trifft sich der österreichische Klimarat der Bürger:innen in Wien. Er stellt eine Art „Mini-Österreich“ dar und setzt sich aus 100 Menschen zusammen, die einen Querschnitt der Gesellschaft darstellen. Die jüngste Person ist 17, die älteste 79 Jahre alt. Die Auswahl wurde nach dem Zufallsprinzip durch die Statistik Austria erfasst. Der Klimarat befasst sich in insgesamt sechs Wochenenden gemeinsam mit Wissenschaftler:innen mit der Frage, wie Österreich bis 2040 „klimagesund“ werden kann.
Lisa Vesely ist Teil des Klimavolksbegehrens, das einen solchen Bürgerrat öffentlichkeitswirksam eingefordert hat. Daraufhin wurde mit den Stimmen der ÖVP, Grünen und NEOS die Umsetzung im März 2021 beschlossen. Wie es nun weiter geht, erklärt sie im Interview.
Salto.bz: Wie hat es das Klimavolksbegehren geschafft, den Klimarat in die Wege zu leiten?
Lisa Vesely: Das Klimavolksbegehren wurde von fast 400.000 Menschen unterschrieben – weit mehr als notwendig, um als Anliegen im Nationalrat behandelt zu werden. Durch die hohe Zahl an Unterschriften stieg auch die Bedeutung unseres Volksbegehrens, das den Druck der Bevölkerung auf die Politik widerspiegelt. Für die Sammlung der Unterschriften waren Teams in allen Bundesländern und in verschiedenen Bezirken aktiv. Die Initiative führte Aktionen auf der Straße durch, kooperierte mit Unternehmen und berühmten Persönlichkeiten. Unglaublich viele Menschen unterstützten uns in dieser Phase im Sommer 2020.
Wieso braucht es mit dem Klimarat der Bürger:innen ein Korrektiv zur repräsentativen Demokratie in Österreich?
Für den Klimarat wurden 100 Personen ausgewählt, die repräsentativ für die österreichische Bevölkerung stehen. Die Auswahl erfolgte nach bestimmten Parametern wie zum Beispiel Alter, Geschlecht, Wohnort, Bildungsstand und Einkommen. Hier werden auch Personen gehört, die ein niederes Einkommen haben oder noch zu jung für ein politisches Amt sind. Zudem ist der Klimarat von keinen Lobbys beeinflusst, wenn er sich mit Klimaschutz beschäftigt. Die Teilnehmer:innen können so Maßnahmen in einem geschützten Rahmen viel konkreter einschätzen. Zu den Tagungen haben Medien und Politiker:innen kaum Zutritt. Das war uns sehr wichtig, damit sie ungestört und unbeeinflusst ihre Entscheidungen treffen können.
Welchen Vorteil hat davon die repräsentative Demokratie?
Der Klimarat kann ein sehr wichtiges Instrument sein, damit sich die Bevölkerung von der Politik verstanden fühlt. Es wird hier nicht von oben herab bestimmt, sondern Bürger:innen unterschiedlicher Herkunft kommen zusammen. Damit stellt der Klimarat eine Möglichkeit dar, womit die Bevölkerung politische Entscheidungen besser nachvollziehen kann. Denn dann entsteht das Gefühl, es hat jemand wie ich zu dieser Entscheidung gefunden. So kann Politik nähergebracht und Politikverdrossenheit angegangen werden. Bei dem moderierten Format dieser Tagungen geht es nämlich auch darum, verschiedene Perspektiven aufzunehmen und sich auf Augenhöhe zu verstehen.
Der Klimarat kann ein sehr wichtiges Instrument sein, damit sich die Bevölkerung von der Politik verstanden fühlt. Es wird hier nicht von oben herab bestimmt.
Wie laufen die Tagungen des Klimarats der Bürger:innen genau ab?
Kleingruppen diskutieren hier in Begleitung von Moderator:innen über verschiedene Themen wie Mobilität oder Landwirtschaft. Neben dem Organisationsteam betreut das Moderationsteam die Tagungen, dafür wurde ein Konsortium aus ÖGUT, Pulswerk und PlanSinn beauftragt. Als Inputs dienen Vorträge von Wissenschaftler:innen.
Welche Aufgaben haben die Wissenschaftler:innen im Klimarat?
Auch wenn die Wissenschaflter:innen keine fertigen Lösungsvorschläge anbieten sollen, erhalten die Teilnehmer:innen von Expert:innen aus verschiedenen Disziplinen Input zu den aktuellen Herausforderungen. Es sind insgesamt 15 Wissenschaftler:innen aus diversen Bereichen. Das Ziel ist auch nicht, dass der Klimarat bereits Gesetze schreibt – das wäre viel zu komplex. Sondern wir wünschen uns, dass am Ende konkrete Lösungsvorschläge herauskommen, um Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen, was bereits im Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen verankert wurde.
Werdet aktiv – die Option nichts zu tun, gibt es nicht.
Welche Aufgaben übernimmt das beratende Stakeholdergremium, bei dem das Klimavolksbegehren dabei ist?
Zwischen jeder Tagung des Klimarates gibt es eine Besprechung des Stakeholdergremiums. Da sitzen wir mit anderen Akteuren wie NGOs, der Arbeiterkammer oder der Industriellenvereinigung. Dabei geht es hauptsächlich darum, miteinander zu kommunizieren, von unserer Seite Fragen zu stellen und Einblick in den Prozess zu gewinnen. Voraussichtlich werden wir zudem als Stakeholdergremium bei einer Tagung dabei sein und Input geben dürfen. Aber das Stakeholdergremium kann die Lösungsvorschläge des Klimarates nicht beeinflussen und das ist auch gut so.
Wie beurteilt ihr die bisherige Umsetzung des Klimarates der Bürger:innen?
Bisher sind wir sehr zufrieden und freuen uns, dass die erste Tagung trotz Corona-Pandemie stattfinden kann. In den Gesprächen mit dem Organisationsteam konnten wir offen miteinander reden und sämtliche Fragen stellen. Wir haben das Gefühl, dass es sehr professionell gemacht wird und gute Leute dabei sind. Deshalb haben wir auch das Vertrauen, dass es gut ablaufen wird.
Wir wollen, dass die Öffentlichkeit eine Rückmeldung erhält.
Mitte 2022 sollen die Ergebnisse des Klimarates an die österreichische Regierung übergeben werden. Ist diese verpflichtet, die Ergebnisse in ihrer Politik zu berücksichtigen?
Leider nicht. Allerdings pochen wir als Klimavolksbegehren darauf, dass die Lösungsvorschläge politisch wirksam werden und im Parlament darüber abgestimmt wird. Wir wollen, dass die Öffentlichkeit eine Rückmeldung erhält. Wenn die Ergebnisse abgelehnt werden, sollen Politiker:innen das auch begründen. Der Erfolg des Klimavolksbegehrens hängt allerdings auch wesentlich davon ab, ob die Bevölkerung über die Initiative Bescheid weiß. Das zeigen auch die gesammelten Beispiele der Bürgerräte des Knowledge Network on Climate Assemblies. Deshalb finden wir es wichtig, dass Medien über den Klimarat berichten und das Projekt an die Öffentlichkeit gebracht wird.
Wie würdest du dem Einwand entgegnen, dass es leider nicht mehr realistisch ist, das beim Pariser Klimaabkommen vereinbarte 1,5 Grad-Ziel zu erreichen? Laut dem Klimawandeldienst der EU war die globale Durchschnittstemperatur letztes Jahr bereits 1,1 bis 1,2 Grad höher als in der vorindustriellen Zeit.
Wenn wir es nicht versuchen, werden wir nie wissen, ob wir es geschafft hätten, das 1,5 Grad-Ziel einzuhalten. Auch wenn ich zu wenig in der Thematik bin, bin ich überzeugt, dass es in den nächsten 15 Jahren einen kompletten Umschlag braucht.
Und was würdest du Menschen raten, die angesichts der Klimakrise am liebsten verzweifeln würden?
Werdet aktiv – die Option nichts zu tun, gibt es nicht. Es geht darum, das zu machen, was man kann.
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Auch in Südtirol sollte ein
Auch in Südtirol sollte ein Klimarat eingerichtet werden
Der Titel ist irreführend:
Der Titel ist irreführend: der Klimarat und einzelne Mitglieder darin „entscheiden“ nicht(s).
Jede Maßnahme für eine Sensibilisierung des Themas ist gut, muss aber eingebettet in ihr organisatorisches und politisches Umfeld gesehen werden.
Hierzu gab es vor einiger Zeit bereits einen Beitrag auf Salto - auch damals stellte sich schon die Frage, wie „Demokratie neben der Demokratie“ funktionieren solle.
Den Satz „Die Teilnehmer:innen können so Maßnahmen in einem geschützten Rahmen viel konkreter einschätzen“ finde ich bedenklich, da der eigentliche Bürger hiermit „entmündigt“ wird.
Zufällig Ausgewählte finden sich in diesem „geschützten Rahmen“ einem professionellen Organisationsteam und einem professionellen Moderatorenteam gegenüber sowie Vorträgen von Wissenschaftlern (wer wählt alle diese professionellen „Begleiter“ aus?). Zudem gibt es ein „Stakeholdergremium“, welches selbst „etwas“ erarbeitet, und dann „Input geben“ wird („ohne zu beeinflussen“, steht da: wenn ich Input gebe, beeinflusse ich qua Tätigkeit schon).
Da scheinen mir die 100 „Durchschnittsbürger“ doch eher ein kleines (instrumentalisiertes, zudem stark beeinflusstes?) Rädchen in dieser professionellen Maschinerie zu sein, erlaube ich mir, in den Raum zu werfen.
Vielleicht hilft etwas kritische Betrachtung.
Nicht ein bestimmtes Organisationsteam mit einem professionellen Moderatorenteam und ausgewählten Wissenschaftlern, mit/in einem „Stakeholdergremium“ treffen „Entscheidungen“ (siehe Titel des Artikels), sondern der mündige Bürger an der Wahlurne, bzw. deren gewählte Vertreter haben dies zu tun.
Als zusätzliche Information und Hilfestellung für den Bürger erscheint mir die (‚gelenkte‘) Initiative gut.