Economia | Stellungnahme

„Eine gescheiterte Technik“

Heute sollen die letzten Kernkraftwerke Deutschlands vom Netz gehen. Für Thomas Egger, Präsident des Klima Clubs Südtirol, ein wichtiger Schritt Richtung Energiewende.
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Foto: Arnold Middelkoop / Unsplash
Heute (15. April) sollen die letzten drei Atomkraftwerke Deutschlands vom Netz gehen. Damit hält unser Nachbar am Atomausstieg fest, während die Debatte um Kernenergie hierzulande wieder aufflammt. Etwa äußerte sich EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann (SVP) kürzlich im Interview mit salto.bz positiv darüber: „Das Ganze wird europaweit nur mit Kernkraft gehen und hier treibt die Verlogenheit Blüten“, erklärt er mit Blick auf Deutschlands Energiepolitik und die Eröffnung neuer Terminals für Flüssigerdgas (LNG).
Laut der Technischen Universität (TU) Berlin und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) lohne sich der Bau und Betrieb von Atomkraftwerken allerdings nicht wirtschaftlich: „Selbst bei Vernachlässigung erheblicher externer Kostenfaktoren wie Umweltschäden und Sicherheitsrisiken ist der Bau und Betrieb von Kernkraftwerken für die Dekarbonisierung von Energiesystemen weder wirtschaftlich noch wettbewerbsfähig gegenüber kostengünstigeren Alternativen, insbesondere 100 Prozent auf erneuerbare Energien basierende Systeme.“ So lautet das Fazit ihres Kurzgutachtens, das die Bundestagsfraktion der Grünen in Auftrag gegeben hat.
Wir können den gesamten, zukünftigen Energiebedarf – auch ohne Atomstrom – mit regenerativen Energieformen decken.
„Die Atomkraft ist in Sachen Energieproduktion eine gescheiterte Technik“, sagt auch Thomas Egger, Präsident des Klima Clubs Südtirol. Das lasse sich an einem recht einfachen Rechenbeispiel veranschaulichen: „Wenn wir die Atomkraft dazu nutzen wollen, die Pariser Klimaziele zu erreichen, müssten wir den Anteil der Kernenergie am weltweiten Primärenergieverbrauch von aktuell 2 bis 3 Prozent auf mindestens 10 bis 20 Prozent erhöhen“, erklärt Egger. Der Primärenergieverbrauch steht für die gesamte Menge an Energie, die wir als Menschen nutzen, ob Benzin beim Autofahren, Gas für die Heizung oder Strom für elektronische Geräte.
 

Das Rechenbeispiel

 
Derzeit gibt es laut dem Klima Club Südtirol weltweit 442 Atomkraftwerke. Würde der Anteil der Atomenergie auf bis zu 20 Prozent steigen, müssten weltweit noch weitere rund 3.000 Atomkraftwerke gebaut werden. Allerdings beansprucht die Bauzeit eines Kernkraftwerks mindestens 20 Jahre, die Investitionssummen dafür würden insgesamt tausende Milliarden Euro hoch sein.
 
 
Laut dem Weltklimarat (IPCC) muss aber bereits innerhalb dieses Jahrzehnts der Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen drastisch reduziert werden. Außerdem liegen die sogenannten Gestehungskosten (inklusive Investitionen, Betriebskosten und Auslastung) laut dem Gutachten von TU Berlin und DIW für Atomstrom bei 160 US-Dollar pro Megawattstunde, für Solar- und Windenergie dagegen unter 50 US-Dollar.
„Die Befürworter der Kernenergie tun manchmal so, als ob bei Kernenergie Energie aus Nichts erzeugt werden könnte. Dem ist leider nicht so. Es braucht Brennelemente, die aus Uran hergestellt werden“, erklärt Egger vom Klima Club Südtirol. Nach Angaben von EURATOM bezog die EU im Jahr 2020 20,2 Prozent des Urans aus Russland, weitere 19,1 Prozent von Russlands Verbündetem Kasachstan. Darüber hinaus importiert die EU den Rohstoff vor allem aus Niger (20,3 Prozent), Kanada (18,4 Prozent) und Australien (13,3 Prozent) – und trägt dort zur Zerstörung der Lebensgrundlagen indigener Völker bei, auf deren Gebiet sich die Uranminen befinden.
Zudem seien auch die Kosten für die Endlagerung von radioaktivem Material äußerst teuer. „Wir nutzen Atomkraft seit rund 50 Jahren für die Energieproduktion. Die Kosten für die Endlagerung des Atommülls müssen dann aber zukünftige Generationen tragen.“ Bisher konnte ein einziges Lager in Finnland dafür ausfindig gemacht werden.
 

Blackbox Energiewende

 
Woher also die Energie nehmen, wenn Atomkraft wegfällt? „Wir, vom Klima Club Südirol, haben uns mit dieser Frage bereits intensiv auseinandergesetzt.“ Der Ultner Energieexperte verfolgt mit seinen Kollegen vom Klima Club Südtirol die Veröffentlichung aktueller Studien zu dem Thema, mit denen sie sich regelmäßig an die Öffentlichkeit wenden.
 
 
„In Zukunft werden wir – global betrachtet – vor allem Sonne- und Windkraft für die Energieproduktion nutzen, das bestätigen zahlreiche Studien. Da allerdings nicht immer die Sonne scheint oder der Wind geht, braucht es auch eine Energiereserve und die heißt Wasserstoff“, so Egger. Zwar erfordert es einige energieaufwändige Umwandlungsschritte zur Herstellung von Wasserstoff, aber dafür könnte günstig produzierter Strom aus Solar- und Windkraft genutzt werden, der während idealer Wetterperioden als Überschuss anfällt. „Wir können den gesamten, zukünftigen Energiebedarf auch ohne Atomstrom  mit regenerativen Energieformen decken. Zahlreiche Studien belegen dies eindeutig.“
Zudem ist die Chemieindustrie in bestimmten Produktionsschritten auf Wasserstoff angewiesen. Im Verkehrssektor, sei es Pkw, Busse oder Lkw, werde sich hingegen der batteriebetriebene Elektromotor aufgrund seiner hohen Effizienz durchsetzen. Die zurzeit viel diskutierten E-Fuels dürften laut Energieexperte Thomas Egger wegen ihrer hohen Energiedichte im Flugverkehr eingesetzt werden. Das Atomzeitalter müsse allerdings in die Endphase überführt werden. „Jeder Euro, der noch in diese teure, gefährliche und somit gescheiterte Technik investiert wird, fehlt uns für Investitionen in erneuerbare und nachhaltige Energieproduktion.“