Ein verfassungsrechtlicher Meilenstein?

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Walter Obwexer, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät in Innsbruck, stellte in seinem Vortrag die geplante Reform der Südtirol-Autonomie detailliert vor – ein komplexes juristisches Paket, das sowohl die Rückgewinnung verlorener Zuständigkeiten als auch Neuerungen im Minderheitenschutz umfasst. Der Verfassungsrechtler eröffnete seinen Vortrag mit dem Verweis auf die völkerrechtliche Absicherung der Südtirol-Autonomie durch die Streitbeilegungserklärung von 1992. Diese garantiere gesetzgeberische und verwaltungstechnische Befugnisse für Südtirol sowie den Schutz der deutschen und ladinischen Sprachgruppen. Doch genau dieses Autonomieniveau sei seither durch zentralistische Tendenzen und Urteile des italienischen Verfassungsgerichts zunehmend unter Druck geraten. Zentraler Anspruch der nun auf den Weg gebrachten Verfassungsreform ist laut Obwexer die Wiederherstellung der Autonomierechte auf dem Stand von 1992. Nach jahrelangen Verhandlungen zwischen Bozen und Rom wurde im April 2025 ein politisches Einvernehmen über ein Reformpaket erzielt, das dieser Zielsetzung Rechnung tragen soll. Dazu zählen unter anderem formale Änderungen: So wird die Region künftig offiziell als „Regione Trentino-Alto Adige/Südtirol“ bezeichnet, der Begriff Autonome Provinz Bozen wird im Statut verankert. Auch sprachlich wird die Gleichstellung zwischen Deutsch und Italienisch im Autonomiestatut gestärkt.
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Mehr Spielraum in Gesetzgebung und VerwaltungWalter Obwexer, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät in Innsbruck: Der Verfassungsrechtler erläuterte den Anwesenden die Verfassungsreform. Foto: Seehauserfoto
Ein Kernstück der Reform sind neue Regelungen zur primären, nun „ausschließlichen“, und sekundären Gesetzgebungskompetenz. Besonders bedeutend sei laut Obwexer die Streichung jener Schranken, die Südtirol bislang an gesamtstaatliche Reformprinzipien gebunden haben – darunter die sogenannte „wirtschaftlich-soziale Reformschranke“. Auch die Orientierung an den „Grundsätzen der Rechtsordnung der Republik“ wird künftig eingeschränkt. Neu hinzu kommen zwei Kompetenzbereiche: Schutz der Umwelt inklusive Wildtiermanagement sowie eine ausgeweitete Regelung für öffentliche Dienste. Auch in bestehenden Bereichen wie Raumordnung, Verkehrsregelung und öffentlicher Verwaltung erhält das Land mehr Gestaltungsspielraum.
Auf institutioneller Ebene erhält der Landeshauptmann neue Zuständigkeiten in sicherheitsrelevanten Bereichen wie Wildtiermanagement. Gleichzeitig wird der Regierungskommissar als Kontrollinstanz abgeschafft. Eine wesentliche Neuerung betrifft Verfassungsänderungen: Diese erfordern künftig das Einvernehmen des Regionalrats und beider Landtage. Kommt dieses nicht zustande, darf Rom Änderungen nur beschließen, wenn das erreichte Schutzniveau nicht unterschritten wird – eine verfassungsrechtlich garantierte Schutzklausel. Im begleitenden Bericht zur Reform wird sogar auf das völkerrechtlich abgesicherte Autonomiestatut von 1992 Bezug genommen – ein Novum in der italienischen Rechtstradition.
Minderheitenschutz: Modernisierung mit BedachtAuch der Minderheitenschutz wird punktuell reformiert. Die Ansässigkeitsdauer für das aktive Wahlrecht wird von vier auf zwei Jahre gesenkt – eine Anpassung an die Mobilitätsrealität der heutigen Zeit. Gleichzeitig bleibt das Ziel, Ad-hoc-Zuwanderung zu Wahlzwecken zu verhindern, gewahrt. Eine weitere Neuerung betrifft die Zusammensetzung der Landesregierung: Sie muss künftig nicht mehr zwingend der parteipolitischen Zusammensetzung des Landtags entsprechen, sondern kann – mit Zustimmung der betroffenen Sprachgruppen – auch nach dem ethnischen Proporz gemäß Sprachgruppenzählung gebildet werden. Das schafft Flexibilität ohne den Minderheitenschutz zu untergraben. Aus rechtlicher Sicht sieht der Verfassungsrechtler die Reform als „bedeutenden Schritt zur Wiederherstellung, Weiterentwicklung und Festigung“ der Autonomie. Ob sie auch politisch langfristig trägt, hänge stark von der Auslegung durch den italienischen Verfassungsgerichtshof ab. Doch mit der neuen Schutzklausel, zusätzlichen Zuständigkeiten und einer rechtlich gestärkten Position Südtirols sei ein solides Fundament gelegt worden.
„Ein wichtiger Schritt, aber kein Endpunkt“Senator Meinhard Durnwalder, Mitglied des Verhandlungsteams zur Reform des Südtiroler Autonomiestatuts, verteidigte in seiner Rede den eingeschlagenen Weg der Südtiroler Volkspartei (SVP) und betonte die Bedeutung des Reformpakets für die Zukunft der Autonomie. Durnwalder erinnerte daran, dass Premierministerin Giorgia Meloni in ihrer Regierungserklärung 2022 erstmals von der „Wiederherstellung international anerkannter Autonomiestandards“ gesprochen habe – eine bemerkenswerte Kehrtwende für eine Partei, die Südtirols Autonomie lange als rein innerstaatliche Angelegenheit betrachtete. Diese Zusage, so Durnwalder, habe den politischen Rahmen geschaffen, der eine Einigung auf die aktuelle Reform überhaupt erst möglich gemacht habe. Der Senator betonte, dass die Reform auf intensiven Verhandlungen und umfangreichen Vorarbeiten am „Technischen Tisch“ beruhe. Auch wenn nicht alle Forderungen der Südtiroler Seite durchgesetzt werden konnten – etwa die Streichung der Schranke des „nationalen Interesses“ –, sei es gelungen, zentrale Autonomiebereiche zu stärken und frühere Rückschritte rechtlich zurückzudrängen. Durnwalder nutzte seine Rede auch, um Kritik an jenen zu üben, die der SVP vorwerfen, sich zu sehr an die Regierung Meloni anzulehnen. Der bisherige Erfolg sei nur durch konstruktives Mitwirken möglich gewesen, nicht durch ideologische Abgrenzung. Zugleich mahnte er zur Geschlossenheit: Um die Reform erfolgreich durchs Parlament zu bringen – mit doppelter Lesung, zeitlichem Druck und erforderlicher absoluter Mehrheit – brauche es ein klares gemeinsames Auftreten aller Beteiligten. „Wir brauchen keine Profilierungen, sondern den Blick auf das Ziel“, so der SVP-Senator. Inhaltlich wurden laut Durnwalder nicht alle Anliegen der Südtiroler Seite erfüllt. Forderungen nach Kompetenzerweiterungen etwa in den Bereichen Wasserbewirtschaftung, Digitalisierung und künstlicher Intelligenz seien vertagt, aber nicht aufgegeben. Auch in Sachen Minderheitenschutz – etwa bei der Senkung der Ansässigkeitsdauer von vier auf zwei Jahre – sei ein Kompromiss erzielt worden, der zwar Zugeständnisse mache, aber weiterhin europaweit einzigartig bleibe. Durnwalder bezeichnete die Reform als „wichtigen Meilenstein“, betonte aber, dass es sich nicht um einen endgültigen Abschluss handle: Autonomie sei ein „dynamischer Prozess“, der kontinuierlich gesichert, verteidigt und weiterentwickelt werden müsse – für die heutige Generation ebenso wie für künftige.
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Wo bleiben denn die…
Wo bleiben denn die negativen Teile des Vertragsvorschlages??
Das diese Herren nicht…
Das diese Herren nicht einsehen wollen dass die Südtiroler Autonomie schon längst kaputt ist. Meine Herren dank euch ist der Zug schon abgefahren. Aber eure Argumente kann nur als Wahlwerbung für die Gemeinde Wahlen betrachten.
"Auch sprachlich wird die…
"Auch sprachlich wird die Gleichstellung zwischen Deutsch und Italienisch im Autonomiestatut gestärkt."
Und was heisst das genau für eine Autonomie, deren Grundlage darin besteht die deutsche und ladinische Sprache und Kultur zu schützen? Sollte diese Gleichstellung nicht seit Jahrzehnten Standard sein?
Inzwischen begreifen auch…
Inzwischen begreifen auch die Italiener, dass an Sprach-Naht die Kenntnis beider Sprachen ein Vorteil ist.