Cultura | Salto Afternoon
Kompromisse mit der Realität

Foto: © Stadtkino Filmverleih
Der Film von Lotte Schreiber und Michael Rieper strukturiert sich klar, die Wünsche der Bewohner ziehen sich durch, auch wenn die Motivationen teils andere sind. Bei den Alten mitunter der Wunsch nicht ins Altenheim zu gehen, bei den Jungen dem eskalierenden Wohnungsmarkt ein Spekulationsobjekt zu entziehen. Am Anfang jedes Filmabschnitts der Blick von außen, Eckdaten und Alleinstellungsmerkmale der einzelnen Projekte: Anzahl der Bewohner und Fahrzeuge, Quadratmeterpreis im Kauf oder in der Miete. Es sind nicht diese, gerade bei den ersten beiden Grazer Projekten, dem Projekt Kooperatives Wohnen und der Terassenhaus Siedlung, sehr großen Zahlen, die Eindruck hinterlassen, sondern, das was nach den Einsern steht: Haben Sie dort, wo sie Wohnen einen: Proberaum? Nein? Einen eigenen Kindergarten und Fernsehsender? Was ist mit einem gemeinschaftlichem Hühnerstall oder einem Badeteich? Im Kollektiv ist möglich, was dem einzelnen verwehrt bleibt und mehr noch als das: Selbstbestimmung.
Qualitätsmerkmal des Films ist, dass sowohl mit den Architekten und Gründern der Projekte, als auch mit Bewohnern gesprochen wird, man Ideal und Realität gleichviel Raum gibt. Man lässt dabei aber die Kinder außen vor. Am Anfang ist da noch viel Nostalgie, Menschen, die in den beiden Grazer Projekten aus den 70er Jahren alt geworden sind und sich an früher erinnern, über die Veränderungen reflektieren. Die Risse im Beton scheut man sich auch nicht zu zeigen, sie erscheinen recht klein. Selbstverwaltung heißt Bürokratie und die will niemand. Wenn sich aber nicht genügend Leute finden, droht statt der gemeinschaftlichen Verwaltung der Terassenhaussiedlung, dem größten Projekt seiner Art mit etwa 1400 Bewohnern, dass ein Verwalter her muss, was wiederum den besonderen Charakter der Siedlung auflöst. An einer Wand der Terassenhaussiedlung steht sie, die Anleihe aus Shakespeares „Sturm“, die sich wiederum der Film als Titel leiht. Kompromisse sind zu machen, wenn viele Menschen kompakt beieinander leben, das weiß jeder, der schon einmal Teil einer WG war. Träume sind vieles, aber kein Kompromiss.
Nach den zwei großen Projekten zwei kleinere, in Nachbarschaft zueinander entstandene Projekte in Gänserndorf: Die Ökosiedlung Gärtnerhof von 1988 und der Cohousing Lebensraum von 2005, die auch in gewisser Spannung zueinander stehen. Wäre es im Interesse des Films Nachbarschaftsstreits zu zeigen? Vielleicht, aber die Sprache des Films ist ruhig und unaufgeregt. Die Anforderungen sind hier andere, die recht abgeschiedene Lage und die 3,5 Kilometer zum nächsten Supermarkt sind Grund genug um eine Lebensmittel Kooperative zu gründen, die viele Bedürfnisse vor Ort erfüllt. Ökologische Aspekte, Komposttoiletten und Pflanzenkläranlage sind in den Gänserndorfer Wohnprojekten der Fokus.
Im letzten Drittel des Films die nahe Gegenwart: Das Wohnprojekt Wien, 2014 und das Hausprojekt Willy*Fred in Linz, 2015, letzteres das einzige Beispiel im Film für die Übername bereits vorhandener Bausubstanz. Im Wohnprojekt Wien findet sich ein interessanter Ansatzpunkt: Lieber kompakter Leben und dafür größere, in diesem Fall 23% der Gesamtfläche einnehmende, gemeinschaftlich genutzte Räume. Im Willy*Fred ein anderes Bild: Hier stehen weniger das Architektonische und das Wohnen selbst im Vordergrund und mehr soziale Aspekte. Für den Kauf der Immobilie mussten über 3 Millionen Euro gesichert werden. Die junge Gemeinschaft von Hausbesitzern ging dafür im Kapuzen-Pulli auf die Bank, mit einem Finanzplan, in welchem die Mieten nach und nach den Kredit tilgen. Wohnen will schließlich jeder. Statt nach dem Abbezahlen für Erhaltungskosten zu wohnen, fließt das Geld in soziale Projekte. Am Ende hat man einen Film gesehen, der sechs ganz unterschiedliche Projekte sanft portraitiert, so dass das alles ganz einfach wirkt. Spannend sind die Einblicke in das Zusammenleben verschiedenster Menschen, Schwierigkeiten erzählt man allerdings nur in Vergangenheitsform und Kinder kommen keine zu Wort. Ein interessanter Dokumentar mit kleinen blinden Flecken.
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