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„Skrupellos mit den Ängsten gespielt“

Der BBT wird heute nicht mehr infrage gestellt – im Gegenteil: Er gilt als richtungsweisendes Jahrhundertprojekt. Das war nicht immer so, erzählt Martin Ausserdorfer.
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Foto: Seehauserfoto
Die Entstehung von Initiativen gegen große Infrastrukturprojekte ist beileibe keine neue Entwicklung, die mit der Geburt des Social Media-Zeitalters einherging. Bereits dem BBT „gelang“ es vor über 15 Jahren, beinahe sämtliche kritischen Geister Südtirols zu vereinen und die Stimme gegen die Landesregierung – damals noch unter der Führung von Luis Durnwalder zu erheben. Allen voran traten die Bürgerinitiative „Stopp. BBT!“, die Grünen mit Hans Heiss, Christina Kury, Riccardo Dello Sbarba und dem Europa-Parlamentarier Sepp Kusstatscher gegen das ihrer Meinung nach „unsinnige Megaprojekt“ auf. In den Chor der Gegner stimmten unter anderem auch der Dachverband für Natur- und Umweltschutz, der immer noch rührige mittlerweile emeritierte Professor für Verkehrsplanung, Hermann Knoflacher, von der TU Wien, und die inzwischen in der Versenkung verschwundene Transitinitiative mit ein. Mittendrin in dieser aufgeheizten Stimmung befand sich Martin Ausserdorfer, Direktor der BBT-Beobachtungsstelle, der Zug um Zug versucht hat, die Bevölkerung von diesem Projekt zu überzeugen – und sich dabei ordentlich abwatschen lassen musste.
 
 
Salto.bz: Herr Ausserdorfer, Sie haben bereits einiges an Erfahrung mit Projekt-Gegnern und Initiativ-Gruppen, die im Zuge der Umsetzung eines Großprojekts entstanden sind, sammeln können. Wie ist Ihre Erfahrung – damals wie heute?
 
Martin Ausserdorfer: Im Mittelpunkt der Diskussion rund um Infrastruktur-Großprojekte stehen für mich immer der politische Wille, das Spiel zwischen Mehrheit und Opposition und das Spiel mit den Ambitionen. Im Falle des BBT sind alle aufmarschiert, um gegen dieses Projekt zu protestieren und aus diesem Protest Kapital zu schlagen.
 
Wie äußerte sich dieser Protest?
 
Man hat bewusst mit den Ängsten der Menschen gespielt – relativ skrupellos möchte ich sogar sagen. Es wurden Dinge behauptet, die nachweislich nicht richtig waren, aber bei den Leuten auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Die einzige Entschuldigung, die ich gelten lasse, ist, dass die Gegner des BBT dumm genug waren, selbst zu glauben, was sie von sich gegeben haben – was ich mir aber nur schwer vorstellen kann.
 
 
Man hat bewusst mit den Ängsten der Menschen gespielt – relativ skrupellos möchte ich sogar sagen.
 
 
Wie hat sich das damals angespielt?
 
Wir Promotoren vom Projekt haben 2007 drei große Veranstaltungen abgehalten, und zwar in Waidbruck, Brixen und in Wiesen in der Gemeinde Pfitsch. In Wiesen konnten wir den Volkszorn regelrecht spüren. Ungefähr 1.200 Leute sind in die Reithalle, wo die Veranstaltung stattfand, gekommen und haben uns ausgepfiffen. Ich kann mich an Personen bei Veranstaltungen erinnern, die aufgestanden sind und behauptet haben, dass 1.000 Schwarzafrikaner auf die Baustellen kommen würden. Diese würden sich dann in den Gemeinden niederlassen und ihre Familien nachholen, weshalb man neue Schulen bauen müsste. Es wurde behauptet, dass im Zuge der Bauarbeiten alle Wasserquellen versiegen werden, es wurde mit der Angst vor brennenden Zügen gespielt und dass die Toten aus dem Rettungsstollen gebracht würden. Man hat uns gesagt, dass der Tunnel niemals fertig gebaut wird, weil die dafür notwendige Finanzierung fehlt. Es wurden Behauptungen in die Welt gesetzt, die Anklang fanden, weil die Opposition vorort leichtes Spiel hatte.
 
 
 
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Martin Ausserdorfer, Direktor der BBT-Beobachtungsstelle: „Wir als Befürworter hatten eine Bringschuld und es war uns bewusst, dass wir uns abwatschen lassen müssen.“ (Foto: Seehauserfoto)
 
 
Wie haben Sie diese Veranstaltung erlebt?
 
In einem so riesigen Raum, der brechend voll mit Leuten war, die den BBT ablehnten, war es natürlich unheimlich schwierig, einen sinnvollen Dialog zu führen. Wir als Befürworter hatten eine Bringschuld und es war uns bewusst, dass wir uns abwatschen lassen müssen.
 
Das wussten Sie bereits vorher?
 
Medial und in der Bevölkerung wurde die Stimmung gezielt aufgekocht.
 
Wie konnten Sie sie schließlich überzeugen?
 
Wir sind auf zwei Ebenen vorgegangen: Zum einen haben wir in den beiden darauffolgenden Jahre 2007 und 2008 jährlich über 200 Informationsveranstaltungen abgehalten, im November 2007 haben wir den Info-Point in Franzensfeste eröffnet. Zum anderen haben wir bei jeder Gelegenheit, das Gespräch mit den Leuten gesucht, alle Einwände sehr ernst genommen und sehr viel Energie und Überzeugungsarbeit darin investiert. So haben wir uns das Territorium langsam zurückerobern können.
 
War die Kritik beispielsweise seitens der Grünen für Sie zumindest teilweise nachvollziehbar?
 
Mir muss einmal jemand erklären, wie man als Grüner gegen den BBT sein kann! Für mich nicht nachvollziehbar. Wir wissen alle, welche Chancen die Eisenbahn konkret am Beispiel BBT bietet. Den Grünen ist es mit ihrer Protesthaltung tatsächlich gelungen, den Bau um einige Jahre zu verzögern. Es ist für mich bis heute unbegreiflich, warum sich manche Personen so vehement gegen den BBT gestellt haben.
 
 
Mir muss einmal jemand erklären, wie man als Grüner gegen den BBT sein kann!
 
 
In Pfitsch konnte die „Stopp BBT-Bewegung“ den Bau des Fensterstollens erfolgreich verhindern. Warum war gerade dort der Widerstand so erfolgreich?
 
In der Gemeinde Pfitsch war die damalige Gemeindeverwaltung, freundlich ausgedrückt, nicht Herr der Lage. Sie konnte dem Druck, den die Organisatoren der Initiative, Renato Bussola, Klaus Schuster, der Gemeindearzt Dr. Wilhelm Seppi und Silvia Bacca, ausgeübt haben, indem sie im Dorf Stimmung gegen das Projekt gemacht haben, nicht standhalten. Und was hat es gebracht? Ich behaupte heute, dass ihr Widerstand ein Schaden für das Tal war. Die Gemeinde hätte zum einen von den gesamten Baumaßnahmen nicht viel gespürt, und zum anderen hätte Wiesen eine Umfahrungsstraße bekommen, die mehr Sicherheit und eine Beruhigung für den Hauptort der Gemeinde gebracht hätte. Zudem hätten mit den Umweltausgleichsgeldern viele sinnvolle Projekte realisiert werden können. Diese Gelder wurden dann allerdings der Gemeinde Freienfeld zugesprochen, die damit die Eisenbahneinhausung und eine neue Trinkwasserleitung gebaut hat.
 
 
 
 
 
Was bedeutete das für den BBT?
 
Ursprünglich hätte in Tulfer das Portal des Zufahrtstunnels werden sollen. Das hätte bautechnische Vorteile gehabt und der BBT hätte dadurch wesentlich schneller gebaut werden können, zudem wäre diese Variante auch kostengünstiger gewesen. Ohne Wenn und Aber. Im Zuge der Auseinandersetzungen mit den Projekt-Gegnern wurde an einem bestimmten Punkt die strategische Entscheidung getroffen, ihren Forderungen nachzugeben, damit man die Akzeptanz in der Bevölkerung erhält – obwohl es sachlich gesehen nicht richtig war.
Als im Juli 2007 beim Protestmarsch von Freienfeld nach Mauls organisierte Berufsprotestierer von der „No Tav“-Bewegung aus allen italienischen Regionen angerollt sind, die zudem noch geglaubt haben, dass sie bei einer Kundgebung gegen die Eisenbahntrasse Turin – Lyon mitmarschieren, ist bei einigen Leuten der Groschen gefallen und sie wollten mit diesen Leuten nichts mehr zu tun haben. Einige Einwohner von Wiesen haben mir berichtet, dass sie dazu genötigt worden sind, „Stopp BBT“-Transparente aufzuhängen, weil sie sonst befürchten mussten, im Dorf angefeindet zu werden.
 
Die Grünen forderten beispielsweise die bestehende Brennerbahn-Linie stärker zu nutzen und auszubauen. Auch verschiedene Umweltverbände haben sich dagegen ausgesprochen. Wusste es jeder besser als die Verkehrs-Experten?
 
Welches ist der beste Fußball-Nationaltrainer? Derjenige vor dem Fernseher. Wir haben mit dem Regionalverkehr an Spitzentagen 200 Züge auf der Brennerstrecke und wir haben keine Kapazitäten mehr frei. Wenn wir noch mehr Güterzüge einplanen, haben wir keine Kapazitäten mehr, um den Halbstundentakt im Personentransport einzuführen. Wir sprechen heute im Falle der Brennerstrecke nur mehr von Kompromisslösungen. Wir müssen sie heuer im Sommer für drei Wochen sperren, weil die 160 Jahre alte Bahntrasse dringend saniert werden muss. Mit dieser veralteten Infrastruktur geht es schlicht und einfach nur mehr darum, bis zur Eröffnung des BBT zu überleben.
 
 
Mit dieser veralteten Infrastruktur geht es schlicht und einfach nur mehr darum, bis zur Eröffnung des BBT zu überleben.
 
 
Das Problem mit diesen „Umwelt-Populisten“ ist, dass sie nicht in der Lage sind, die Thematik aus einer ganzheitlichen Perspektive zu sehen. Ich habe die BBT-Kritiker während der vergangenen Jahre teilweise sehr gut kennengelernt. Ich hatte den Eindruck, dass sie mit der Thematik vollkommen überfordert waren und in den direkten Gesprächen wurde jedes Vorurteil herausgekramt, das wir mit Daten, Fakten und Sachkenntnis ohne große Schwierigkeiten widerlegen konnten. Ich teile die Meinung von Hans Heiss, wenn er den sinnlosen Transport von Waren quer durch Europa kritisiert. Die Wahrheit ist aber: Wir werden die Welt von Südtirol aus nicht verändern können. Alle jene, die als die großen Apostel in den Diskussionen aufgetreten sind, hatten im Grunde nichts anderes anzubieten als utopische Alternativen. Selbstverständlich wird der BBT nicht alle Probleme lösen: Es ist aber der Versuch einer lokalen Antwort auf eine komplexe Thematik.   
 
Auch heute werden bei Veranstaltungen wie jener der Bürgerinitiative von Olang und Rasen/Antholz, die sich gegen den doppelstöckigen Kreisverkehr in Olang ausspricht, Gutachten angezweifelt. Woher kommt dieses Misstrauen gegen die Verkehrsplaner, Techniker und Experten?
 
Wir haben mittlerweile im Land ein sehr großes Know-how an Technikern. Es gibt heute aber immer noch die „Verkehrs-Experten“, die erklären, dass auf der Brennertrasse noch Kapazitäten frei wären. Ab einem bestimmten Punkt muss eine starke Politik erklären, dass fertig diskutiert ist. Wenn diese Leute so erfolgreich wären, wie es ihre Aussendungen vermuten lassen, würden sie in allen Gemeinderäten die Mehrheit haben. Und trotzdem erreicht die SVP bei den Wahlen immer noch durchschnittlich 60 Prozent. Die schweigende Masse kapiert die Situation ja, sie tut es sich nur nicht an, auf solche Veranstaltungen zu gehen und aufzustehen. Wozu auch? Um sich womöglich Anfeindungen auszusetzen, wie es damals in Wiesen passiert ist? Wir haben inzwischen gelernt, dass sich diese Initiativgruppen generalstabsmäßig organisieren und bereits vorher planen, wer wo sitzt und wann aufsteht.
 
 
Es geht nicht um das Projekt, sondern um die politische Kampagne.
 
 
Wie könnte trotzdem eine Bürgerversammlung organisiert werden, die sich rein auf die Sachthemen konzentriert?
 
Im Jahr 2008 haben wir als SVP in St. Lorenzen eine Bürgerversammlung zum Thema Kreisverkehr und Gadertaler Einfahrt abgehalten. Natürlich sind auch Vertreter des Heimatpflegeverbandes oder der Plattform Pro Pustertal erschienen. Als sie Stimmung machen wollten, sind unsere Leute aufgestanden und haben Walter Harpf und anderen von der Plattform Pro Pustertal freundlich erklärt, dass sie in Bruneck bleiben sollen und wir unsere Angelegenheiten selber regeln werden. Damit haben wir das Ruder an diesem Abend herumgerissen und das Thema in der Dorfgemeinschaft war erledigt. Heute sind die Lorenzner glücklich darüber.
Ich kritisiere an solchen Verbänden und Initiativen, dass sie keine Zustimmung erhalten, weil sie für etwas eintreten, sondern weil sie gegen etwas sind. Daher sehe ich ihr Tun häufig kritisch. Meiner Meinung nach sind diese Initiativen auch gesteuert. Es geht nicht um das Projekt, sondern um die politische Kampagne. Das dahinter liegende Ziel sind fast immer die Wahlen.