Società | Mentale Gesundheit
Krise, Jugend und Jugendkrisen
Foto: Privat
Die Belastung von Südtirols Kindern und Jugendlichen ist mit Ende der Pandemie nicht wesentlich zurückgegangen, nur scheinen die Gründe mittlerweile andere zu sein. In etwa so ließe sich das Ergebnis der Auswertung von mehr als 4.500 Fragebögen grob zusammenfassen. Moderiert wurde die Präsentation von Patrick Rina.
Dabei gab es Neuerungen was die Durchführung der COP-S-Studie („Corona und Psyche in Südtirol“) durch das Institut für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen anbelangt. In den von den Eltern im April ausgefüllten Fragebögen - teilnahmeberechtigt waren alle Eltern von denen mindestens ein Kind eine Südtiroler Schule besucht - seien erstmals die Faktoren Ukraine-Krieg, Klimakrise und der Konsum digitaler Medien näher analysiert worden, betont die Studienleiterin Dr. Verena Barbieri. Jugendliche ab 11 Jahren erhielten im Anschluss an die Befragung der Eltern die Möglichkeit einen Selbstreport auszufüllen. Die Fragebögen beruhen dabei auf einem standardisierten Modell, wie es am Universitätsklinikum für Kinder und Jugend-Psychiatrie in Hamburg zum Einsatz kommt, so dass sich erhobene Zahlen mit jenen anderer Studien vergleichen lassen. Die Hamburger Universität lieferte ihrem Südtiroler Gegenstück auch Vergleichswerte für die Jahre vor der Corona Pandemie, da zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei derartige Erhebungen in Südtirol stattfanden.
Es kam laut Studie, zu keinem Rückgang der Hinweise auf mentale Gesundheitsprobleme, mit einer Ausnahme. Blieb die Zahl der Buben, bei welchen sich depressives Verhalten feststellen ließ in allen drei Studienjahren bei rund 10 Prozent, so ging der Vergleichswert bei Mädchen in diesen Jahren zurück, von 20 (2021) auf 18 (2022) und nunmehr auf 13 Prozent.
Darüber, dass in anderen Bereichen der bezüglich Alters und Geschlechts, sowie in Bezug auf die Vertretung der Kinder von Migrant:innen und alleinerziehenden Elternteilen repräsentativen Studie kein Rückgang verzeichnet worden war, zeigte man sich leicht überrascht. In Bezug auf die Kinder von Eltern mit Migrationshintergrund und jener unter der Obhut einer alleinerziehenden Person konnte festgestellt werden, dass diese vermehrt von psychischen Problemen betroffen sind.
Hinsichtlich der neu in die Studie aufgenommenen Stressfaktoren habe sich gezeigt, dass diese zwar eine eher kleine Gruppe von knapp 10 Prozent der Befragten beträfen, diese allerdings zu fast 70 Prozent von mentalen Gesundheitsproblemen berichteten. Am meisten Sorge bereitet dabei die Klimakrise (11 Prozent der Oberschüler:innen gaben an, die Klimakrise belaste sie „äußerst“ oder „ziemlich“), gefolgt vom Krieg in der Ukraine, während die Pandemie mittlerweile an dritte Stelle rückt. „Jugendliche schätzen ihre Angst generell größer ein als ihre Eltern“, betont dabei Dr. Verena Barbieri.
Ein weiterer Sektor in welchem es in Südtirol Arbeitsbedarf gibt ist jener von psychosomatischen Beschwerden bei Kindern und Jugendlichen, welche zugenommen haben. Man betonte, dass dies auch dadurch ein Problem sei, da nach dem Wechsel vom Kinderarzt zum Hausarzt häufig noch kein Vertrauensverhältnis bestehe. Eine „übertriebene, aktive Nutzung von Social Media“ sah man damit im Zusammenhang.
Kritisch betrachtet wurde auch eine allgemeine Zunahme der Bildschirmzeiten: 50 Prozent der Jugendlichen und 53 gaben an, mehr Zeit vor den Bildschirmen zu verbringen. Dabei wurde diese Zeit auch differenziert betrachtet. Es habe zwar die schulische Nutzung von digitalen Medien in den drei Untersuchungsjahren abgenommen, aber es sei kein Rückgang bei privaten Bildschirmzeiten festgestellt worden. Eine übermäßige Bildschirmzeit stünde in Zusammenhang mit „gewissen mentalen Problemen“, genannt wurden folgende: Einschlafprobleme, positive Screenings auf Depression und Hinweise auf emotionale Probleme.
Prof. Dr. Christian Wiedermann, Koordinator der Forschungsprojekte des Instituts, sah die Studienergebnisse mit internationalen Untersuchungen vergleichbar. „Studien belegen, dass das psychische Wohlbefinden von Jugendlichen seit 2012 weltweit inzwischen deutlich abgenommen hat. Dieser Zeitraum fällt mit der zunehmenden Verbreitung von Social Media und Smartphones zusammen.“ Dabei verwies er auf die Untersuchungen von Jean Twenge (als Podcast in englischer Sprache lassen sich diese hier bei der New York Times nachhören) und sah das Problem - in den Staaten und in Südtirol - besonders bei Mädchen gegeben. In diesem Zusammenhang unterstrich er auch die Sinnhaftigkeit von derzeit in Italien und andernorts geführten Debatten zu einem möglichen Mindestalter für die Verwendung von sozialen Netzwerken. Zwischen „Gaming“ und psychischen Erkrankungen sei hingegen keine Verbindung festzustellen, so Wiedermann.
Was aber hilft den Kindern und Jugendlichen im Umgang mit Krisen? Laut offenen Antworten wurde von 70 Prozent der Beteiligten die Familie genannt, gefolgt von Freunden, digitalen Medien, Natur, Haustieren und Hobbys, in dieser Reihenfolge. Auch rief man Medienvertreter dazu auf, vermehrt auch von positiven Nachrichten zu berichten, da dies zu einer Verbesserung der psychischen Gesundheit der Öffentlichkeit beitragen könne, wie auch zum Schutz besonders vulnerabler Gruppen. Wir haben die Themen im Anschluss an die Pressekonferenz noch einmal mit Professor Wiedermann vertieft.
Professor Wiedermann, wenn in der Konferenz die Rede von „je weniger Bildschirmzeit, umso besser“ ist, wäre da aus Erziehungssicht ein Verbot der Bildschirmzeit sinnvoll, oder wäre das wiederum kontraproduktiv?
Prof. Dr. Christian Wiedermann: Das kann man so global natürlich nicht sagen, da auch gezeigt wurde, dass es ganz konstruktive und positive Bildschirmzeit gibt. Es geht also um die Art, wie digitale Medien genutzt werden. Richtig ins Visier genommen von der Forschung wurde dabei die aktive Verwendung von Social Media.
Man hat auch über den Sektor Gaming kurz gesprochen. Wird dieses Thema differenziert betrachtet? Sprich, wird zwischen Singleplayer (Einzelspieler) und Multiplayer, in welchem Bereich es sowohl kooperative, als auch kompetitive Spiele gibt, unterschieden?
Die Datenmenge und die wissenschaftliche Evidenz in diesen Bereichen sind noch limitiert. Was gezeigt wurde ist, dass das Gaming nicht diesen Zusammenhang mit Depressionsentwicklung hat, wie es im Vergleich bei Social Media der Fall ist. Welche Art von Gaming dabei eine Rolle spielt und was im Detail bei Social Media psychisch unverträglich ist, das ist noch nicht so gut entschlüsselt. Für die Social Media weiß man, dass Personen, die eine Abhängigkeit vom aktiven Sharing von sich selbst in Form von Bildern und dem Erhalten von Likes auf diesen Kanälen - und nicht wie früher im direkten menschlichen und sozialen Kontakt - von der psychischen Erkrankung betroffen sind. Ähnliche Untersuchungen weisen noch nicht auf schädliche Einflüsse hin, so wie auch das gemeinsame Fernsehen in der Familie protektiv zu sein scheint. Vielleicht geht es beim Alleinsein mit dem digitalen Medium und einer virtuellen Realität darum, mit anderen menschlichen Wesen in Kontakt zu bleiben und nicht den Kontakt zu verlieren. Vielleicht ist das der Ansatzpunkt.
Es wurde von den Auswirkungen negativer Reaktionen auf die eigene Onlinepräsenz gesprochen. Gibt es auch ein Zuviel an positivem Zuspruch?
Es gibt auch eine therapeutische Verwendung von Sozialen Medien. Diese haben etwa während der Pandemie die Einsamkeit durch Lockdowns natürlich erfolgreich überbrücken können. Das zeigt nun auch die Forschung: Soziale Medien sind nicht gleich soziale Medien. Welche genau die spezifisch krankmachenden Aktivitäten sind und warum Mädchen stärker betroffen sind als Buben, da ist man dabei, das evidenz-mäßig wissenschaftlich zu klären.
Ist die Hemmschwelle wenn es darum geht, außerhalb der Familie psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen eine andere?
Das spricht auch die Rolle der Familie in der Aufrechterhaltung der psychischen Gesundheit an. Allein das Wort Familie zeigt ja auch schon wie viele unterschiedliche Familienmodelle es gibt. Dabei reicht die Nutzung von digitalen Medien vom frühkindlichen Babysitting, bis zu allerhand sinnvollen Nutzungen im späteren Alter. Die Funktionen der Familie werden wahrscheinlich, durch Stütze von außen zu ergänzen sein, weil die Familien die Rolle zum Teil nicht mehr selbst zu stande bringen. Es gibt Familien- und Sozialpolitik und eine wachsende Armut. Rahmenbedingungen, welche nicht unbedingt förderlich sind für die psychische Gesundheit werden schon jetzt und in vielen Fällen von außerhalb der Familie kompensiert werden, was sich in Zukunft vielleicht noch verstärkt.
Glauben Sie die Durchführung einer Studie wie der heute vorgestellten kann einen sensibilisierenden Effekt haben? Kann sie einen gewissen, kleinen Teil dazu beitragen, dass sich der Status Quo bessert?
Davon bin ich überzeugt. Ich kenne zu viele junge Eltern, die sich die Frage stellen, wo die Grenze liegt, wie sie digitale Medien zulassen sollen und wo sie diese einsetzen können. Diesbezüglich braucht es Bewusstseinsbildung. Diese wird es geben, auch durch diese in Südtirol gemachte Beobachtung der Zusammenhänge, die nicht nur in Amerika zu finden sind, sondern auch bei uns.
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Mehr als eine Generation hat
Mehr als eine Generation hat das Aufwachsen "mit dem zu vielen Fernsehen," bis zum Eintritt in das Berufs-Leben überstanden.
Auf die Schulen kommt die Aufgabe zu, die digitalen Medien für das späteren Berufs-Leben vernünftig lehren.