“Fabio muss freikommen!”
Seine Haare hat sich Fabio schon vor langer Zeit abgeschnitten. Als hätte er geahnt, was ihm bevorsteht. Kurz geschoren seien die Haare im Gefängnis einfacher zu waschen, sagt er lächelnd zu den Journalisten, die ihn im August im Gefängnis am Stadtrand von Hamburg besuchen. Fabio V. aus den Dolomiten. Als solchen kennt die deutsche Öffentlichkeit den heute 18-jährigen Belluneser, der seit inzwischen über vier Monaten im Gefängnis sitzt.
Es ist ein Aufsehen erregender Fall, der viele Fragen und große Zweifel an der Gerechtigkeit des deutschen Rechtsstaates aufwirft, wie mittlerweile selbst konservative deutsche Medien aufzeigen. Appelle aus Politik und von Amnesty International Italia an die deutschen Behörden, Fabio freizulassen, sind ungehört verhallt. Doch auch die Juristen von ELDH sind auf Fabio aufmerksam geworden. Margherita D’Andrea ist Mitglied der Europäischen von Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt. Die Rechtsanwältin aus der Nähe von Neapel ist Anfang der Woche nach Hamburg gereist. Als internationale Beobachterin hat sie die beiden Prozesstage von Fabio vor dem Hamburger Oberlandesgericht verfolgt. Und sagt: “Es gibt nicht den leisesten Hauch eines Zweifels: Fabio muss freigelassen werden!”
Ein Exempel?
Es sind zwei Minuten am frühen Morgen des 7. Juli 2017. Die werden Fabio zum Verhängnis. Bestens abgeschottet beraten die Staats- und Regierungschefs der 20 mächtigsten Industrienationen über die Zukunft der Welt. Draußen protestieren Tausende gegen den G20-Gipfel. Auch Fabio. In einem Gewerbegebiet in Hamburg wird er am Rande einer Anti-G20-Demonstration an jenem 7. Juli gegen 7.30 Uhr festgenommen. Dass er seither hinter Gittern sitzt, hat er einem Haftbeschluss des Oberlandesgerichts Hamburg zu verdanken. Er ist angeklagt wegen Landfriedensbruchs, versuchter Körperverletzung und gemeinschaftlichen tätlichen Angriffs “aus einer Gruppe heraus”. Es wird ihm sogar vorgeworfen, die “bürgerkriegsähnlichen Zustände” in Hamburg “mitverursacht” zu haben. “Erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel” unterstellt man ihm, eine “tiefsitzende Gewaltbereitschaft” und “schädliche Neigungen”. “Fundamentale Garantien der deutschen Rechtsordnung” wie die “Menschenwürde” seien für Fabio “ohne jede erkennbare Bedeutung”.
“Ich habe Fabio vor Gericht sehr stark erlebt.”
(Margherita D’Andrea)
Wer den Haftbeschluss liest, könnte meinen, hier geht es um einen Schwerverbrecher. Das große Aber: Beweise für Gewalttaten, die Fabio selbst ausgeübt hat, gibt es keine. Das bestätigt auch Margherita D’Andrea am Mittwoch Abend. Soeben ist der vorerst letzte Tag für Fabio vor Gericht zu Ende gegangen. Die nächsten Verhandlungen stehen am 27. November und am 4. Dezember an. Wird Fabio bis dahin auf freien Fuß gesetzt?
“Was ich Ihnen sagen kann, ist, dass die Elemente zu Lasten von Fabio für eine Untersuchungshaft absolut nicht ausreichen”, sagt D’Andrea, die salto.bz am Telefon erreicht. Die Polizeivideos geben nicht viel her. Und so hätte auch keiner der Polizisten, die die Anklage – die Hamburger Staatsanwaltschaft – als Zeugen geladen hatte, aussagen können, dass Fabio eine Gewalttat verübt hat. “Sie haben ihn nicht einmal wiedererkannt”, berichtet D’Andrea.
Schon vor Längerem hat Fabios Verteidigung einen Antrag auf Haftentlassung gestellt. Der wurde abgelehnt. Auch mit der Begründung, dass Fluchtgefahr bestehe. D’Andrea winkt ab: “Allein die Tatsache, dass er vor Gericht erscheint, widerlegt die Annahme, dass er sich dem Prozess entziehen wolle. Abgesehen davon hätte Fabio keinen Grund, den Verhandlungen fern zu bleiben, nachdem bislang keinerlei belastende Elemente gegen ihn aufgetaucht sind und es daher in seinem Interesse ist, dass der Prozess vorangeht und seine völlige Unschuld nachgewiesen wird.”
Im Zweifel für Fabio
Aus diesem Grund hat die Verteidigung diese Woche einen neuen Antrag auf Entlassung gestellt. Heute (Donnerstag) wird feststehen, ob ihn die Richterin annimmt. Für D’Andrea besteht nicht der leiseste Zweifel: “Fabio muss freikommen” Mit den Auseinandersetzungen, an deren Ausmaß ebenso Zweifel bestehen – Kriminologen und Juraexperten zweifeln an, ob tatsächlich von “bürgerkriegsähnlichen Zuständen” die Rede sein kann – “hat Fabio nichts zu tun”, unterstreicht die italienische Rechtsanwältin. Das Problem sei eine Bestimmung im deutschen Strafgesetzbuch, die besagt, dass man allein aufgrund der Teilnahme, der Anwesenheit bei Auseinandersetzungen unter Anklage gestellt werden könne, erklärt D’Andrea. “Man muss gar nicht selbst Gewalt angewandt haben, es reicht die ‘psychologische Teilnahme’.” Dieser Grundsatz sei im Fall von Fabio über die tatsächlichen Fakten gestellt worden – “dabei ist das höchst problematisch, weil die Grenze zwischen dieser Bestimmung und der Freiheit, die eigenen Überzeugungen, den Dissens zum Ausdruck zu bringen, sehr labil ist”.
Dieses ganze Verfahren gegen #Fabio in #Hamburg ist eine rechtsstaatliche Farce - denn der Rechtsstaat kennt keine Kollektivhaftung. Dass ohne konkrete Vorwürfe gegen ihn verhandelt wird ist ein Ausdruck von Politischer Justiz #G20
— Maximilian Pichl (@MXPichl) 15. November 2017
Für seine Überzeugungen auf die Straße gehen, dafür vom Belluno nach Hamburg zu reisen – das hatte Fabio im Juli vor. “In Zeiten, in denen überall neue Mauern gebaut werden, ist es wundervoll, dass Tausende gegen G20 auf die Straße gehen”, sagt er vor Gericht. Er distanziert sich von Extremismus, Gewalt – und den Vorwürfen gegen ihn: “Die Menschenwürde ist für mich das Wichtigste, das es gibt. Gerade deshalb bin ich ja nach Hamburg gekommen.” Doch nun könnte er als einziger für etwas zahlen, was andere getan haben und wofür andere zur Rechenschaft gezogen werden sollten – zum Sündenbock werden. “Genauso ist es”, nickt Anwältin D’Andrea. Sie hat dieser Tage auch mit Fabios Mutter gesprochen, die inzwischen in Hamburg wohnt, um ihrem Sohn nahe zu sein. “Sie macht, was sie kann”, lächelt D’Andrea.
Und wie geht es Fabio? “Mit ihm habe ich nicht sprechen können, aber ich habe ihn vor Gericht sehr stark erlebt – auch wenn er noch klein ist, è un ragazzino.” Doch die Anwesenheit der Mutter und vieler Fürsprecher geben Fabio Kraft, sagt D’Andrea. Vor dem Gerichtsgebäude, auf der Straße und über Deutschland hinaus gibt es unzählige Solidaritätsbekundungen, auf Twitter läuft der Hashtag #freefabio. Die Hoffnung auf ein gutes Ende, auf dass die Gerechtigkeit siegt, gibt auch Margherita D’Andrea nicht auf: “Wir alle hoffen, wir glauben daran, dass in einem Rechtsstaat das Recht wiederhergestellt wird. Denn solche Fälle dürfen nicht zu einer Verletzung des Rechts auf Dissens werden – dieses Prinzip gilt es absolut zu schützen.”
Condivido la lettura politica
Condivido la lettura politica della prigionia di Fabio.
Se hanno prove che ci sia un processo. Poi si vede.
Vogliono punire uno a caso per intimidire tutta la società.
Strano che nel caso ThyssenKrupp, dove la Cassazione Italiana conferma le condanne ai dirigenti Espenhahn e Priegnitz per il rogo nel 2007 dove persero la vita 7 (sette) persone, l’apparato statale germanico non esegue le condanne.
Da der junge Mann aus Feltre
Da der junge Mann aus Feltre in einer Gruppe gewaltbereiter (und Gewalt ausübender) Demonstranten unterwegs war, mag man an seiner Erklärung, er verurteile Gewalt, einige Zweifel haben. Da man ihm persönlich keine Gewalt nachweisen kann, ist er aber nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" selbstverständlich freizulassen.