Sport | Interview

„Hungrig und noch lange nicht fertig“

Assistenztrainer Jürgen Prantner über das italienische Handballteam, die WM-Qualifikation, den Handball in Italien, dessen Entwicklung, dessen Zukunft und seine Söhne.
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Foto: FIGH
  • SALTO: Herr Prantner, herzlichen Glückwunsch zur Qualifikation zur Handball-WM, dachten Sie schon, dass es bei dieser Qualifikation drin sein könnte?

     Jürgen Prantner: Die letzten Jahre haben wir uns an die Spitze angenähert. Die großen Erfolge haben aber gefehlt. 97‘ waren wir das letzte Mal bei einer WM, 98‘ war die EM, die in Südtirol ausgetragen wurde. Damals hat der Verband den Moment verpasst, um den Handball zu fördern wie es viele andere Länder nach so einem Ereignis eigentlich tun. Dann war eine Flaute für lange Zeit. Die letzten Jahre hat sich aber etwas getan. Uns kannte wirklich niemand. Die letzten Jahre sind wir immer knapp an der Qualifikation gescheitert gegen Norwegen, Slowenien, Frankreich oder Polen. Wir zeigten da schon gute Leistungen, der Aufwärtstrend war offensichtlich. Wir haben gegen Topmannschaften knapp verloren und eben nicht gewonnen. Es wurde viel kritisiert, weil wir uns nie qualifizierten. Dass wir diese Quali jetzt schaffen, hat man sich erhofft, aber dass es in dieser beeindruckenden Art gelungen ist, ist für mich eine Überraschung.

    Sie sind nun seit einigen Jahren im Trainerstab dabei, was hat sich am meisten verändert?

    Man kann viel mehr mit den Mannschaften arbeiten. Es spielen mittlerweile viele italienische Handballer im Ausland: in Frankreich, Deutschland oder Spanien. Die Entwicklung, die diese Spieler machen ist eine andere, das ist etwas, das dir die italienische Meisterschaft nicht geben kann. Um solche Spiele wie sie wir jetzt gewonnen haben, zu gewinnen, brauchst du internationale Erfahrungen. Das schaffst du nicht mit Spielern, die nur in Italien spielen, da ist das Niveau zu niedrig. Die internationale Erfahrung ist etwas, das sich in den letzten Jahren gesteigert und entwickelt hat.

  • Erfolgreiche Qualifikation

    Italien konnte sich am Sonntag auch im Rückspiel gegen Montenegro (34:32; 32:26 im Hinspiel) durchsetzen. Der Erfolg in der dritten Qualifikationsrunde bedeutet wieder eine Teilnahme an einer Handball-Weltmeisterschaft, nach fast 30 Jahren. Jürgen Prantner, dessen beide Söhne Leo und Max übrigens Handballnationalspieler sind, wie ihr Vater zuvor, war damals als Spieler dabei und ist nun schon seit rund sieben Jahren Assistenztrainer der italienischen Nationalmannschaft.

  • Jürgen Prantner: „Das Ziel ist, den italienischen Handball in Europa zu etablieren“ Foto: Mxmotion
  • Also liegt Ausbaupotential in Legionären sowie in einer Verstärkung der italienischen Liga?

    Genau. Italienische Mannschaften kommen in europäischen Turnieren normalerweise maximal zwei Runden weiter. Die Liga ist einfach zu schwach. Man muss schauen, die Liga zu stärken. Die Liga müsste schon mal professionell werden. Es spielen heute noch Spieler in Italien ohne richtigen Profivertrag. Spieler in der Bundesliga erhalten einen Arbeitsvertrag. Und die Liga muss für Spieler aus dem Ausland interessant werden. An dem muss man arbeiten.

    „Das rückt alles in ein anderes Licht, wenn die Nationalmannschaft Erfolg hat, da geht vieles einfacher, das ist eine ganz andere Reichweite.“

    Wird sich nach der erfolgreichen Qualifikation nun wieder mehr darum gekümmert?

    Ich erhoffe mir das. Das sind die Momente… Es muss allen bewusst sein, dass das eine entscheidende Phase ist, diese Situation muss man ausnutzen. Ich will die italienische Mannschaft jetzt nicht mit Sinner vergleichen. Aber, er gewinnt und alle wollen Tennis spielen. Im Kleinen kann so was auch passieren. Es löst was aus, wenn die Spiele der italienischen Mannschaft übertragen werden, das habe ich jetzt schon, nach ein paar Tagen gemerkt. Das rückt alles in ein anderes Licht, wenn die Nationalmannschaft Erfolg hat, da geht vieles einfacher, das ist eine ganz andere Reichweite. TV-Übertragungen, Zeitungsartikel, das sehen die Menschen. Das ist etwas, was hier im Handball fehlt. Handball ist verbreitet in Europa, bei uns wissen die Leute hingegen oft nicht wovon du redest. Das muss sich ändern und jetzt ist der Verband und die ganze Bewegung gefragt, diesen Moment auszunutzen.

    „Da darf man nicht den gleichen Fehler wie nach der letzten WM-Qualifikation wiederholen, das war danach ein freier Fall.“

    Die U18 und U20-Teams haben sich für die Europameisterschaften qualifiziert, es kommt spielertechnisch also schon was nach…

    Ja, das ist das Nächste. Die letzten Jahre sind wir bei jeder Jugend-EM dabei gewesen. Der Jahrgang um die 2000er hat sich 2018 das erste Mal für den Aufstieg in die A-EM qualifiziert. Das ist eine starke Gruppe, in der auch meine Söhne dabei waren oder auch Colleluori und Martini. Die sind jetzt in der ersten Mannschaft. Das hat damals angefangen, wir haben ihnen vieles zu verdanken. Seit damals ist Italien immer wieder bei der A-Jugend-EM dabei. Der Trend ist ganz klar aufwärts. Da darf man nicht den gleichen Fehler wie nach der letzten WM-Qualifikation wiederholen, das war danach ein freier Fall.

    Was bedeuten diese letzten Entwicklungen etwa für Stefano Podini, der sich als Kandidat für die anstehenden Präsidentschaftswahlen des italienischen Handballverband FIGH aufstellt? 

    Schwer zu sagen. Da will ich mich auch nicht hinauslehnen. Wir haben ein wenig mehr als 10.000 „tesserati“. Der Volley- oder auch der Basketballverband über 200.000. Wir sind nicht so viele. Es ist schade, dass man nicht imstande ist, das beste aus den beiden jetzigen Kandidaten zusammenzulegen. Wenn man sich gegenseitig noch bekämpft, ist das ein Nonsens und die Gefahr ist groß, dass wieder nichts wird. Ich hoffe, dass wer auch immer die Wahl gewinnt, wirklich gut arbeitet und richtige Entscheidungen trifft, zum Wohle des Handballs agiert. Darum geht es am Ende.

  • Im Trainerdress der Meraner „Black Devils“: Prantner war in seiner Spielerkarriere über 13 Jahre lang im Dienste der Meraner aktiv - mit einer zweijährigen Zwischenstation beim SSV Brixen Foto: Mxmotion
  • Südtirol hat italienweit einige der besten Mannschaften, aber es gibt recht wenige Südtiroler Nationalspieler, woran liegt das?

    Nun, es sind etwa in Brixen auch wenige Südtiroler Spieler, genauso wie in Bozen. Es gibt einige junge Bozner, die nachkommen, aber das war lange nicht so. In Meran ist es, so glaube ich, ein bisschen besser. Meine beiden Söhne wären ohne Verletzungen vermutlich auch dabei. Es ist auch nicht leicht, das Niveau der Nationalmannschaft ist angestiegen. Wir hoffen natürlich, dass wir die nächsten Jahr ein-zwei Spieler mehr einbauen können.

    Wie geht es Ihren Söhnen?

    Leo ist nach seinem Kreuzbandriss auf einem guten Weg, die Reha läuft nach Plan, wenn alles gut geht, ist er im November wieder einsatzbereit. Bei Max hat es ein wenig länger gedauert, das ist eine langwierige Geschichte, die ihre Zeit braucht. Das wird sich in den nächsten Monaten entscheiden. Dieses Jahr wird es brauchen und dann wird man weiter sehen. Aber insofern geht es beiden gut.

     „Diese Mannschaft ist jedenfalls hungrig und ist noch lange nicht fertig.“

    Was für Erwartungen haben Sie an die WM?

    Das ist alles noch so frisch, dass man darüber noch gar nicht nachdachte. Jetzt stehen die wichtigen Entscheidungen an. WM ist für uns alle wieder Neuland, da muss man mal abwarten wie die Auslosung abläuft. Überraschenderweise sind wir im zweiten Lostopf, das ist schon Wahnsinn. Dies dank der Erfolge der letzten Monate. Nach der Auslosung kann man spekulieren, momentan genießen wir einfach die Qualifikation, danach wird man sich ein paar Ziele setzen. Jetzt ist es noch zu früh.

    Was erhoffen Sie sich persönlich noch für die italienischen Handball?

    Wir haben eine sehr junge Mannschaft. Dazu ein paar Routiniers wie Marrochi, die nicht mehr ewig spielen werden. Aber der Rest sind noch im „Kindergarten“, die kommen erst ins beste Alter. Ich hoffe, dass der Verband uns weiterhin arbeiten lässt, uns Vertrauen schenkt. Die Arbeit, die in den letzten Jahren gemacht wurde, nicht nur in der Seniormannschaft, sondern auch in der Jugend, ist bemerkbar. Es geht nur mit Kontinuität. Ich glaube, dass man dann die notwendigen finanziellen Mittel erhält, um alles durchzuführen. Trainerausbildung und Vereine müssen professioneller werden. Das hängt alles zusammen. Man kann nicht nur an der Spitze des Eisbergs herumarbeiten, sondern von unten nach oben. Das Ziel ist, den italienischen Handball in Europa zu etablieren und dass eine EM- oder WM-Qualifikation kein Einzelfall ist, sondern sich wiederholt. Das wäre wichtig. Diese Mannschaft ist jedenfalls hungrig und ist noch lange nicht fertig. Was ich in Podgorica gesehen habe, war sehr beeindruckend, auch der Respekt und Applaus der Montenegriner.