Politica | Türkei 2015

Koalitionsverhandlungen im Ramadan

Am 18. Juni beginnt heuer in der islamischen Welt der Fastenmonat Ramadan - auch in der Türkei. Beeinflusst das die schwierigen Koalitionsverhandlungen in Ankara?

Tagsüber schwitzen und fasten,  nach Sonnenuntergang endlich essen und trinken : das ist die Grundregel für Muslime im Ramadan.  Auch die Politiker der konserservativ-islamischen AKP halten sich daran , die bei den Parlamentswahlen mit 41 Prozent zwar die stärkste Partei geblieben sind, aber die absolute Mehrheit verloren haben.

 Erstmals seit 13 Jahren , als mit Tayip Erdogan eine neue Partei an die Regierung gekommen war,  gibt es in der Türkei wieder Koalitionsverhandlungen.  Wenn innerhalb von 45 Tagen keine neue Regierung steht, müssen die Wähler zurück zu den Urnen: so steht es in der Verfassung.  

Derzeit deutet alles darauf hin, dass die ewigen Erzfeinde AKP und die laizistisch-kemalistische CHP eine Regierung bilden könnten . Das wäre insofern ein Eklat, als  die beiden Parteien völlig konträre Auffassungen vom Staat haben.  Erdogans AKP will den Staat islamisieren, die CHP tritt für eine strikte Trennung von Staat und Religion ein.  

Gründervater Atatürk, auf den sich die CHP beruft, ging soweit , dass er in den 30iger Jahren in der streng muslimischen Türkei das TRagen von Kopftuch und Fez verbot. Er gestand  den Frauen bereits damals das Wahlrecht zu und trat für eine moderne europäische Verfassung  ein .

Das Gegenteil will Erdogan : Kopftuchträgerinnen und demutsvoll-unterwürfige Frauen sind das neue Ideal, mit dem sich die neuen Machträger in Politik und Wirtschaft umgeben, um " in " zu sein. 

Wer die ersten Äusserungen von Staatspräsident Erdogan nach den für ihn schief gelaufenen Parlamentswahlen analysiert, kommt freilich zum Schluss, dass es dem " neuen Sultan" um etwas anderes geht : nämlich um die Wirtschaft, die - laut seinen Worten - stabile Machtverhältnisse braucht, um zu wachsen.

Erdogan plädierte dafür, so schnell als möglich eine Regierung zu bilden, " um die Investitionen" nicht zu gefährden. Er berief sich sogar auf das Ausland, das durch politische Wirren davon abgehalten werden könnte, in der Türkei zu investieren.  

Solange sich Erdogan auf den internen Macht- und Wirtschaftszuwachs konzentrierte, boomten auch die Investitionen aus dem Ausland.  Seitdem der Staatspräsident aber eine expansive und gefährliche Aussenpolitik betreibt, sind Rückgänge zu verzeichnen . 

   Bürgerkriegsähnliche Konflikte ( Gezi-Park) und das Nahverhältnis zur Terrororganisation ISIS  lassen Zweifel am Wirtschaftstandort Türkei aufkommen.  Diese Zweifel hat der Staatspräsident allerdings selbst genährt : durch seine autoritäre Art des Regierens und die Kontakte zum Daesch, dem international geächteten Islamischen Staat.

Selahattin Demirtas, Chef der prokurdischen HDP, die erstmals ins Parlament gewählt wurde,  warnte davor, dass IS-Terroristen in der Türkei Attentate verüben könnten. Ziel solcher Aktionen sei es,  die innenpolitische Situation anzuheizen und den Ruf nach dem starken Mann Erdogan   zu verstärken. 

Dem Daesch ( IS) ist es selbstverständlich daran gelegen, dass Erdogan an der Macht bleibt. Von ihm erwarten sich  die Terroristen  weiterhin logistische und materielle Unterstützung . 

Auf diesem Hintergrund sind die Koalitionsverhandlungen in Ankara brisant.  Scheitern sie, drohen Neuwahlen,  von denen vor allem die Partei Erdogans profitieren könnte.  Gelingt dagegen eine Regierungsbildung mit den Kemalisten, müsste die AKP Abstriche bei der bisher schon weit fortgeschrittenen Islamisierung der Türkei machen.