Società | Kommentar

Zeugnis des Zorns

Am Mittwoch hat sich am Bozner Verdiplatz ein tödlicher Fahrradunfall ereignet. Unfassbar, bestürzend und trotzdem absehbar?
Piazza Verdi
Foto: Asp

Als “unfassbares Pech” bezeichnet das Tagblatt der Südtiroler den tödlichen Radunfall, der sich am Mittwoch am Bozner Verdiplatz ereignete und bei dem der 62-jährige Architekt, Stefano Bilato das Leben verlor. Noch im gleichen Atemzug wird erwähnt, dass die in den Unfall involvierten Radfahrer “ohne Helm” und “außerhalb des Radwegs” unterwegs waren. Zynismus, der die Verantwortung für einen vermeidbaren Unfall auf das Opfer schiebt.

Wer in den letzten Monaten versucht hat, den Bozner Verdiplatz mit dem Fahrrad zu durchqueren, oder sich auch nur in eine der nicht auszumachenden Fahrspuren einzureihen, kennt das Gefühl: “Puh, das ist grad nochmal gut gegangen.” Wie oft hab ich mir das schon gedacht. Dabei leitet der Fahrradweg, der aus den südlichen und westlichen Gebieten in die Stadt führt, die Radfahrer genau an diese Kreuzung. Wer von dort aus nicht weiter dem Eisack entlang Richtung Brenner fahren, sondern zum Bahnhof oder ins Stadtzentrum möchte, steht vor dem Aus, beziehungsweise dem Chaos: Wer die Stadt nicht kennt, überquert die Straße intuitiv auf dem Fußgängerüberweg, biegt über einen weiteren Fußgängerweg nach links und verliert sich dann wie so oft in dieser Stadt zwischen Bussen, Autos und verblüfften Fußgängern. Für Kenner verläuft eine schmale Radspur noch vor der Kreuzung nach links, überquert die Straße bis zum Theater, wo sie sich dann in hinter dem Theater versteckt und über Umwege zum Bahnhof führt.

Dabei liest man auf der Webseite der Gemeinde Bozen, dass die Stadt über ein rund 50 Kilometer langes Radwegenetz verfügt. Immer wieder werden einige Kilometer Fahrradweg mit schönen Worten und großem Getöse eröffnet. Laut dem Verkehrsamt der Stadt könne sich Bozen mit “anderen radfreundlichen europäischen Städten vergleichen”, laut der Werbeseite weinstrasse.com sich gar “mit Europas fahrradfreundlichsten Städten messen”. System oder gar ein Fahrradnetz sucht man in Bozen aber vergeblich: Die Wege sind an gut sichtbaren Stellen in kleinen Häppchen über die gesamte Stadt verstreut.

Hier nur einige Beispiele: Wer von der Reschenstraße über die Drususallee mit dem Fahrrad gen Norden fährt, fährt zuerst auf dem Radweg. Dann, nahe der Feuerwehrhalle ist man für einen kurzen Moment gezwungen, sich blind in eine Engstelle zu werfen. Ein kurzes Stoßgebet, hoffentlich kommt niemand. Dann wieder Fahrradweg, bis er im Nichts versandet. Wer hingegen von der selben Stelle Richtung Sigmundskron oder gar zum Bozner Krankenhaus fährt, findet zwar eine ausgezeichnete Fahrradkreuzung vor, kann sich nach der Kreuzung aber weder nach links noch nach rechts wenden. Idem die Reschenstraße gen Süden. Radfahrer sind in Bozen dazu gezwungen, entweder auf Fahrradwege zu verzichten und sich zwischen Pkws, Bussen und Lkws zu behaupten, oder aber Sie laufen das Risiko, sich plötzlich am Ende des Weges zu befinden, meist auf der falschen Straßenseite und ohne eine wirkliche Aussicht darauf, die Fahrt gefahrlos weiterführen zu können.

Ich kenne die Fahrradwege in Amsterdam und Berlin und habe mir in London mit Doppeldeckern dreispurige Kreisverkehre im Linksverkehr geteilt. Nie habe ich mich so unsicher wie in Bozen gefühlt.

Meine erste Reaktion auf den Unfall war Bestürzung. Meine zweite nicht Ungläubigkeit, sondern Zorn.