Economia | Interview

Lebensdauer verlängern, Abfall vermeiden

Kaufen und wegschmeißen war gestern – heute ist Upcycling angesagt. Ein Gespräch mit Industriedesigner Aart van Bezooijen über Lebensstile, Wirtschaftsweisen, Reparaturkultur, Fairphones und Sharing Economy.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale del partner e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
Upczclen statt wegschmeißen.
Foto: Tobias Heine, Pixabay
  • Kaufen und wegschmeißen war gestern – heute ist Upcycling angesagt. Ein Gespräch mit Industriedesigner Aart van Bezooijen über Lebensstile, Wirtschaftsweisen, Reparaturkultur, Fairphones und Sharing Economy.

    SALTO: Professor van Bezooijen, es gibt eine Upcycling-Szene in Südtirol? Wer gehört da dazu?

    Van Bezooijen: Gottseidank reicht die Szene über Südtirol hinaus. Aber in Südtirol sind viele Akteure dabei – aus dem Mode- und Textil-Bereich, aber auch aus den Bereichen Möbel, Beleuchtung, Spielwaren. Es gibt da recht viel. Alle, die in dieser Szene aktiv sind, sind zur Upcycling Convention eingeladen, sich zu präsentieren. Ganz oft sind das Einzelinitiativen und mit der Convention versuchen wir diese Initiativen zusammenzubringen.

    Ihr stellt ja in einem Workshop Taschen her?

    Ja, das machen wir mit dem Schweizer Unternehmen FREITAG, das ja seit vielen Jahren ein Vorzeige-Upcycling-Unternehmen ist. FREITAG zeigt, dass man mit wenigen Materialien und mit Upcycling ein kultiges Produkt entwickeln kann, das sich auf der ganzen Welt verkaufen lässt. Jeder ist eingeladen, an diesem Workshop in der unibz teilzunehmen.

  • Zur Person

    Aart van Bezooijen ist ein niederländischer Industriedesigner und Professor für Material Driven Design an der unibz. Als Designer und Forscher untersucht er, wie Materialien nachhaltiger verwendet werden können. Van Bezooijens Ansatz ist dabei praxisnah und interdisziplinär.

  • Foto: Peter Unterthurner

    Im Text zur UpCon sprecht ihr von der Kundschaft. Wer sind Kunden von Upcycling-Produkten? Freitag stellt aus LKW-Planen und Sicherheitsgurten Taschen her. Wer cyclet noch up und wer sind die Kunden?

    Jeder ist Kunde. Jeder Mann, jede Frau, die sich für den kreativen Umgang mit Materialien und Rohstoffen interessieren. Und natürlich Unternehmen, in deren Produktion Restmaterialien anfallen, und die mit neuen Ideen brauchen, wie sie diese Restmaterialien sinnvoll und wirtschaftlich neu verwenden können.

  • Das heißt: wenn Unternehmen Restmaterialien haben, habt ihr Ideen, was sie daraus machen könnten?

    Genau, aber wir reden jetzt sehr stark über die Produktionsebene. Aber darüber hinaus ist es in unserer Gesellschaft auch sehr einfach, immer neue Produkte zu kaufen. Viele Produkte werden nur kurz benutzt und dann weggeworfen und daher müssen wir darüber nachdenken, wie wir die Lebensdauer von Produkten verlängern können. Das Recyclingprojekt REX - Material und Dinge in Brixen ist Mitorganisator der UpCon und ist so eine Art Zwischenstation für Materialien und Geräte. Die können da geparkt und manchmal repariert werden, bevor sie einen neuen Besitzer finden. Abfallvermeidung ist also ein wichtiges Thema, sowohl in der Produktion als auch beim Endkunden.

    In so genannten Repair Cafés kann man kaputte Gerät wieder in Gang bringen.

    Reparieren, weil Sie das gerade  haben, erfordert ja ein gewisses Know-how – wenn ich das nicht habe, oder einfach zu ungeschickt bin, wie kann ich trotzdem upcyclen und reparieren?

    Da gibt es mittlerweile viele Möglichkeiten. Zum Beispiel gibt es eine EU-Richtlinie, dass europäische Unternehmen auf die Reparierbarkeit ihrer Produkte achten müssen - die so genannte „Right to Repair Directive". Produkte müssen also so gestaltet werden, dass sie wieder repariert werden können und dass Ersatzteile verfügbar sind. Dann gibt es in Südtirol so genannte Repair Cafés, wo man hingehen kann, um das kaputte Gerät wieder in Gang zu bringen. Man lernt dort aber auch viele Gleichgesinnte kennen. Dann gibt es das Fablab in Bozen, wo Leute zusammenkommen können, um neue Ideen zu entwickeln und umzusetzen.

  • Die Veranstaltung

    Die Upcycling Convention (UpCon) ist eine Plattform, um die Upcycling-Szene Südtirols mit potenziellen Kunden, aber auch mit Bildungseinrichtungen, in Kontakt zu bringen. Die gesellschaftliche Relevanz von Upcycling soll Politik und Wirtschaft nähergebracht werden.  Die UpCon will nachhaltige Lebensstile und Wirtschaftsweisen fördern, die auf Wiederverwendung, Reparatur, Upcycling und der Sharing Economy basieren. Die UpCon beginnt am  4. Oktober an der unibz, und geht am 5. Oktober, auf dem Gelände von REX – Material und Dinge, weiter. 

  • Das ist neben dem Museion an der Talferwiese. Ist nicht auch eins im NOI Techpark?

    Ja. Dort heißt es Maker Space. Das ist mehr auf Handwerker und Unternehmer ausgerichtet, um beispielsweise Prototypen zu entwickeln. Das BITZ Fablab neben dem Museion ist öffentlich zugänglich. Wie eine Bibliothek. Man wird Mitglied, kriegt eine Einführung und kann dann relativ selbständig viel selber machen und gestalten.

    Auf der diesjährigen UpCon hält das Designkollektiv „REFUNC“ einen Workshop. In dem von Ihnen gewählten Beispiel werden industrielle Abfallstoffe in der Architektur verwendet. Welche Materialien werden da genutzt und zu was werden sie gemacht?

    Denis Oudendijk aus den Niederlanden und Jan Körbes  aus Deutschland von REFUNC ihre Upcycling-Fähigkeiten mit uns teilen, um ungewöhnliche Objekte zu erforschen und gemeinsam Re-Use-Funktionsobjekte zu entwickeln, die während des UpCon-Festivals präsentiert werden. Denken Sie beispielsweise an das Arbeiten mit industriellen Großkisten, Textilresten, Altmöbeln und Beleuchtungselementen. Jeder, der an diesem Workshop in Brixen teilnehmen möchte, kann sich über die UpCon-Website anmelden.

    Ihr wollt nachhaltige Lebensstile und Wirtschaftsweisen fördern. Ich hätte diese Begriffe im Singular verwendet, ihr benutzt sie im Plural. Gibt es mehrere nachhaltige Lebensstile und mehrere nachhaltige Wirtschaftsweisen? 

    Es gibt Unternehmen, die sagen, für uns ist es wichtig, hochwertige Produkte herzustellen und Ersatzteile für die nächsten hundert Jahre zu garantieren. Damit schaffen sie ein Produkt, das dich ein Leben lang begleiten kann…

    Der Vorteil für den Nutzer ist, dass die technische Entwicklung dich vor gar keine Probleme stellt.

    …zum Beispiel – Achtung Schleichwerbung - die Moka von Bialetti….

    …Ja oder ein besonderes Möbelstück, das du vielleicht sogar deinen Kindern vererben kannst. Andererseits gibt es Unternehmen, die sagen: das ist ein schöner Gedanke, aber wir wollen auch entwickeln und neue Sachen auf den Markt bringen und die sehen das Nachhaltigkeitspotenzial dann darin, ihre Produkte nicht zu verkaufen, sondern zu verleihen oder zu vermieten. Carsharing ist da ein gutes Beispiel. Der Vorteil für den Nutzer ist, dass die technische Entwicklung dich vor gar keine Probleme stellt. Carsharing Südtirol hat seine Flotte auf Elektro-Autos umgestellt, also fahre ich als Nutzer mit dem Elektroauto. Wenn ich ein eigenes Auto mit Verbrennungsmotor habe, ist für mich die technische Umrüstung oder der Verkauf des alten und der Kauf des neuen Autos aufwendiger. Das gibt es mittlerweile auch schon bei Möbeln. Da kauft man Stühle nicht, sondern mietet sie und wenn sie repariert werden müssen oder es ein neues Modell gibt, dann kriegst du einen Ersatz. 

    Und der Tauschmarkt für Kinderklamotten…?

    …ist Sharing Economy, aber nicht Upcycling, weil die Klamotten immer gleich bleiben, nur der Nutzer ändert sich.

    Welche andere nachhaltigen Wirtschaftsweisen gibt es noch

    Ich habe zum Beispiel ein Fairphone. Das habe ich bewusst gekauft, weil da Langlebigkeit versprochen wurde, weil es Ersatzteile gibt, weil ich es auseinandernehmen kann, was ich mit vielen Handys nicht machen kann. Trotz der längeren Lebensdauer möchte ich vielleicht nach einer längeren Zeit wieder ein moderneres Handy haben, mit der neueren Kamera oder einer kleineren Batterie. Der Hersteller ersetzt dir dann das Handy mit einem besseren und kriegt dafür das alte Handy wieder und kann die darin enthaltenen Rohstoffe und Materialien wieder nutzen.

    Was kostet so ein Fairphone?

    Gute Frage. Es war nicht billig. Ich glaube ich habe vor vier Jahren etwa 450 Euro bezahlt. Wenn Sie Ihr altes Fairphone zurückgeben, können Sie allerdings etwa 100 Euro sparen.

    Bei der UpCon ladet ihr die Teilnehmer auch  zum „UP-ERITIVO“ ein. Aber die Teilnehmer können sich schon darauf verlassen, dass Speisen und Getränke frisch sind?

    Ja, die Lebensmittel sind nicht upgecyclet. Da ist alles frisch. Nur Gläser und Geschirr verwenden wir gerne wieder.

    Herr van Bezooijen, wir danken für das Gespräch.

Bild
Salto User
Oliver Hopfgartner Gio, 09/26/2024 - 16:57

Früher hat man Sachen repariert. Heute nennt man es upcyclen und möchte dafür einen Schulterklopfer und Lob.

Die Leute kaufen sich T-Shirts aus recycelten Plastikflaschen und glauben, das sei nachhaltig. Aus dem Plastikzyklus wird dadurch aber nicht ausgebrochen.

Gio, 09/26/2024 - 16:57 Collegamento permanente