Zwischen Biologie und Identität
Transidentität ist kein Trend unserer modernen Gesellschaft, oder eine Entscheidung rebellischer Teenager, wie ein Vorwurf oft lautet. Das Phänomen, dass der biologische Körper nicht mit dem gefühlten Geschlecht übereinstimmt, wird von der Weltgesundheitsorganisation anerkannt und nach bestimmten Kriterien als Krankheit oder Gesundheitsproblem definiert. Über diese Bezeichnung lässt sich streiten, doch Fakt ist: Menschen mit transidenter Geschlechtsidentität fühlen, dass mit ihrem Körper etwas nicht stimmt.
Psychotherapeut Michael Peintner weiß: niemand wählt diesen Weg, um „cool“ zu sein. „Eine Hormontherapie oder gar eine geschlechtsangleichende Operation sind mit großen Belastungen verbunden. Trotzdem ist dieser Weg für die meisten leichter, als einen Körper auszuhalten, der nicht zum eigenen „Ich“ passt.“
In seinen Praxen in Bruneck und Innsbruck behandelt Peintner rund 40 Menschen mit transidenter Geschlechtsidentität. Meist sind es junge Menschen zwischen 13 und 25 Jahren. Vereinzelt kommen auch ältere Klient*innen, doch das sei „in der heutigen Zeit eher selten“, schließt Peintner. Häufig wenden sich auch Eltern an den Psychotherapeuten.
Aus der Psychologie wissen wir heute: die Geschlechtsidentiät manifestiert sich im Alter von 3 Jahren. Peintner sagt: „Oft weiß ein Kind schon mit 3 Jahren, dass der Körper nicht mit der gefühlten Identität zusammenpass.“ Das äußere sich zwar nicht immer direkt, manche Kinder sagten etwa, dass ihnen ihr Name nicht gefalle, oder verhielten sich nicht Rollenkonform, „was aber nicht automatisch heißt, dass die Kinder transident sind“, fügt Peintner hinzu. Doch spätestens in der Pubertät, sobald die Geschlechtsmerkmale sich stärker herausbilden, wird das Gefühl, im falschen Körper zu sein, stärker und somit eine nicht zu unterschätzende Belastung.
Niemand wählt diesen Weg, um „cool“ zu sein.
Dabei ist zu unterscheiden zwischen sexueller Identität und sexueller Orientierung. Die Orientierung entscheidet, ob man sich sexuell von gleichgeschlechtlichen Menschen oder Menschen des entgegengesetzten Geschlechts angezogen fühlt, also ob man bi- hetero - oder homosexuell ist. In diese Gruppe fallen auch queere und non-binäre Menschen, die eine klassische Definition von männlich und weiblich (man spricht von „Heteronormativität“) ablehnen und sich keiner dieser Beschreibungen unterwerfen wollen. Auch A-Sexualität, also das Fehlen oder die sehr geringe Ausprägung sexuellen Verlangens, ist eine sexuelle Orientierung.
Depression, Selbstverletzung, Essstörungen oder Suizidalität sind häufige Folgen von Transgeschlechtlichkeit, die nicht erkannt oder nicht akzeptiert wird: „Diese Symptome werden oft zuallererst ersichtlich“, erklärt Peintner. Denn nicht allen sei die eigene Situation bewusst: „Manche kommen mit dem Gefühl, irgendetwas stimmt nicht, können es aber nicht genau benennen.“ Ist der Verdacht auf Transidentität festgestellt, erweist er sich in über 90 Prozent der Fälle als permanent.
Und trotzdem steht die Geschlechtsidentität immer wieder zur Debatte. Von einer „Erfindung“ ist oft die rede oder einer „temporären Krise“, zurückzuführen auf eine liberale und allzu schnell alles hinterfragende Gesellschaft.
Zwar hätten einige seiner Klient*innen eine tolerante familiäre und professionelle oder schulische Umgebung, erzählt Peintner. Doch nicht immer würden Menschen mit einem transidenten Wunsch von ihrem Umfeld akzeptiert. „Die Hauptbelastung für meine Klient*innen ist unsere heteronormative Gesellschaftsstruktur“, so Peintner. Zum einen erzeuge das Druck – Wird mich meine Familie akzeptieren? – und das ständige Gefühl, man müsse sich für das eigene Selbst „entschuldigen“. Zum anderen führe das zu Problemen im Alltag, die die meisten sich nicht bewusst sind. „Transidente Menschen dürfen oft nicht jene Toilette benützen, die ihrem gefühlten Geschlecht entspricht“, nennt Peintner ein Beispiel. Besonders bei Teenagern werde der Turn- und Schwimmunterricht zur Zerreißprobe, fügt er hinzu.
Was sich Peintner von der Gesellschaft wünscht? „Menschen sollen so angenommen werden, wie sie leben möchten, ohne große Diskussion darüber, ob das Sinn macht.“ Am 24. November ab 20 Uhr spricht der Psychotherapeut darüber gemeinsam mit der Transfrau Stefanie Schroffenegger im UFO Bruneck.