Periphere Ansichten
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Wenn sich die beiden Jugendzentren Fly und Bunker im Unterland zusammen tun um junge und frische Sichten auf die viertgrößte Stadt Südtirols und das Leben dort zusammen zu bringen, dann kann eigentlich nicht viel schief gehen. Die jüngste Stadt - im Alltag sprechen Laivesot:innen immer noch davon ins „Dorf“ zu gehen - bedarf einer anderen Betrachtung als ihre älteren Geschwisterstädte. Den Blick ein Stück weit geleitet und die Ausstellung kuratiert haben Peter Holzknecht (Bunker) und Francesca Cantele (Hospiz und S.P.E.C.K. Kollektiv), die auch mitwirken. Entstanden ist „Peripherica24“ der Initiative des mitwirkenden Fotograph Andreas Bertagnoll vom Jugendzentrum Fly, der sich bei der Ausstellungseröffnung am vergangen Dienstag knapper hält als die Vertretung der Stadtpolitik (Bürgermeister und Vizebürgermeisterin), sowie die Künstler und Künstler:innen: Neben Holzknecht, der eine Reihe von Leiferer „Field Recordings“ vorlegt, die über den Kopfhörer und einige Objekt die nähere Galerieumgebung (wieder)entdecken lässt und Cantele, die mit Sir Guliver eine Interaktive Audio/Videoinstallation gestaltet hat, finden sich auch handfestere Werke in den zwei Galerieräumen: Moritz Brunner (Siebdruck/Landschaftsmalerei), Silvestro Geier (Malerei), Sophie Morelli (Fotografie), Jörg Zemmler und, ebenfalls im Duo Max Silbernagl und Andreas Bertagnoll, mit Literatur und Fotographie.
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Bertagnoll hat Silbernagl mit der Kamera an den Ort begleitet um den es dem Lead-Sänger der „Chaos Junkies“ in seinem Brief an die Gemeinde gehen sollte. Das Manifest auf zwei Bögen hält das versteckte Potential zahlreicher, erschwinglicher Probekeller in Leifers fest und fordert, dieses anzuerkennen und als Chance zu sehen. Da nimmt auch die Politik Notiz. Weil wir uns wirklich nicht vorstellen wollen, was in der Musiklandschaft Südtirols fehlen würde, wenn der Proberaum der oft am Anfang steht knapper wäre, hier das Manifest.
Gegenüber nimmt Sophie Morelli mit Archivfotos und Fragen Stellung zu einem vergangenen und einem möglichen, künftigen Leifers. Die Bilder zu denen sie dabei greift, zeigen den Bau der alten Etschbahn-Trasse. Der Künstlerin geht es weniger um den Infrastrukturbau an sich, sondern darum, das Publikum in eine aktiv mit ihrem Raum verbundene Beziehung zu bringen. Doppelbelichtungen, die mehrere Motive halbtransparent zusammenführen verdeutlichen diesen Fokus auf das Mögliche statt dem Historischen.
Gänzlich unmöglich oder zumindest hochgradig unwahrscheinlich sind die fünf Auszüge aus der „Neuesten Südtiroler Landeskunde“ von Jörg Zemmler, der „Leifers und seinen Peripherien“ fünf in Schutzfolie verschweißte Etymologien schenkt, in räumlicher Anordnung: Bozen kleiner im Norden, Deutschnofen „eher rechts“, sowie Branzoll im Süden und Platten im Westen. Peripherie ist eben auch Ansichtssache.
Die Ansichtskarte, beziehungsweise das Plakatmotiv der Ausstellung hat Moritz Brunner mit Kugelschreiber gestaltet. In die Ausstellung schafft es eine gemischte Arbeit, die Siebdruck und Laserverfahren an Holz ausprobiert. Dabei wirkt das, der Rosenmathematik geschuldete Objekt so, als würde es sich an einer Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Esoterik blühen.
Von Silvestro Geier, dem jüngsten der ausstellenden Künstler, würde man sich vielleicht keine Auseinandersetzung mit nostalgischen Kindheitsmotiven befassen: „“ und „“. Für den Druckfehler an den Ausstellungskärtchen lässt sich der Künstler in Absentia (Geier war als einziger abwesend) entschuldigen. Im Leiferer Dialekt schreibt man „dona“ natürlich mit nur einem „N“. Die lebendig bunten Großformate wirken lebendig und optimistisch. Etwas hat das Bild von Sommerferien: Die Arschbombe ins Schwimmbad und die alten Frauen mit den Kochtöpfen sind jedenfalls evokativ.
Im zweiten Ausstellungsraum heißt es Augen und Ohren offenzuhalten: Neben Peter „Kompripiotr“ Holzknechts humorvoller Karte, die das Außen klanglich in die Gallerie holt, ist da auch die Zusammenarbeit von Francesca „FCANTSS“ Cantele und Sir Gulliver. Ist da das Laivesottische und die Umgebungsgeräusche eingefangen, geht es dem Duo um eine Interpretation und Verfremdung.
Die beiden aktivieren die eigene Videoinstallation mit Röhrenfernseher und, wie könnte es anders sein, etlichen peripheren Geräten: Sir Gulliver steuert am Arcade-Controller den Blick und verfälscht das an den Rändern verzerrte Bild, Kantele manipuliert den selbstaufgenommenen Sound. Neben einer 360-Grad-Kamera wurde dabei eine Eigenkonstruktion eingesetzt und mit zwei großen Trichtern, Mikrophonen und einem Kopfhörergestel in die Ferne gehört. Titel der Arbeit? Große Ohren lügen nicht. Es ist jedenfalls, trotz aller sich steigernder Intensität eine frische und unverbrauchte Sicht auf Leifers. Je stärker die digitale Degradierung der Aufnahmen ausfällt, umso mehr „öffnet“ sich Leifers und wir könnten uns in jedem urbanen Raum bewegen.
Wesentlich ruhiger fällt nicht nur die eigene Bildregie an Joystick (Richtung) und Knöpfen (Effekte) aus, wie auch die den Abend abschließende Prosalesung von Silbernagel. Der wünscht sich für Leifers einen Stadtpiraten, der mehr Farbe ins doch noch etwas graue Leifers zu bringen. Die Ausstellung ist jedenfalls dafür ein starkes Zeichen, dass viele Lust haben, die Stadt mitzugestalten. Das könnte noch bunt werden.
Die Ausstellung ist bis inklusive 23. November, Mittwochs und Freitags von 16 bis 19 Uhr, sowie Samstags von 10 bis 12 und 16 bis 19 Uhr. Zur Finissage am kommenden Samstag (ab 19 Uhr) performt Peter Holzknecht seinn “Acoustic Circle Leifers Nord” vor Ort und Moritz Brunner realisiert mit den Besuchern Siebdruck . Kastanien und eine Closing Party von Urbanospective finden die Besucher anschließend (ab 20 Uhr) im Leiferer Jugend- und Kulturzentrum Fly.