Cultura | Freischaffende

Kunst als Brotberuf

Die Pandemie bringt auch in der Kunstwelt strukturelle Probleme zum Vorschein. Freischaffende basteln an einer gemeinsamen Anlaufstelle und Interessensvertretung.
Tänzerin Sarah Merler
Foto: (c) Gregor Khuen Belasi (Transart)

Viele freischaffende Künstler und Künstlerinnen befinden sich seit Anfang März auf einer Gratwanderung. Schauspieler, die monatelang für ein Stück geprobt haben, stehen plötzlich ohne Auftritt und somit ohne Einkommen da. Musiker können zwar neue Singles und Alben aufnehmen, aber ohne Auftritte bleibt es schwer, Abnehmer für ihre Musik und Motivation für Neues zu finden. Vor allem die zweite Welle der Pandemie trifft viele Freischaffende im Kulturbereich hart. Wie die Tänzerin Sarah Merler zu bedenken gibt, müsse als Freischaffender zwar immer damit gerechnet werden, über einen längeren Zeitraum ohne Aufträge zu verbleiben, eine Situation, die sich aber über ein ganzes Jahr hinzieht und auch in Zukunft unsicher bleibt, sei aber sowohl künstlerisch als auch finanziell nur schwer tragbar.

Zur Unterstützung der freischaffenden KünstlerInnen wurde vonseiten der Landesregierung im Juli die Möglichkeit geschaffen, um einen einmaligen Beitrag von 2000 Euro anzusuchen. Dieser Beitrag wurde mit dem Dekret der Landesregierung vom 1. Dezember auf 3000 Euro erhöht und kann bis zum 31. Dezember beantragt werden.

Obwohl die Situation vor allem für die darstellenden Künstler wie Musiker und Schauspieler, aber auch Bühnen-, Licht- und Tontechniker, Kostüm- und Maskenbildner sehr schwierig bleibt, spricht der Schauspieler Peter Schorn für viele seiner Künstlerkollegen, wenn er die Beitragszahlungen als “wichtigen ersten Schritt” bezeichnet, “der in anderen Regionen Italiens weiter auf sich warten lässt”. 

Der Südtiroler Künstlerbund, der sich vor der Pandemie vor allem auf inhaltliche Tätigkeiten wie Ausstellungen und Veranstaltungen konzentrierte, jetzt aber auch als Anlaufstelle für Künstler fungiert, spricht sich im Grunde sehr positiv über die genehmigten Beihilfen als Soforthilfe für Künstler aus. Trotzdem, so die Vorsitzende des Künstlerbundes Lisa Trockner, würden viele vor allem junge Künstlerinnen und Künstler aufgrund der festgelegten Kriterien nicht für die Förderungen infrage kommen. Studierende, Rentner oder Personen, die mehr als 12 Stunden die Woche in einem abhängigen Arbeitsverhältnis tätig sind, können beispielsweise den Beitrag nicht beantragen, seien häufig aber auf das durch die künstlerische Tätigkeit generierte Einkommen angewiesen. Auch seien die Förderungen als Nothilfe zwar zu begrüßen, könnten jedoch niemals das Jahreseinkommen eines Künstlers ersetzen, so der Musiker Felix Senoner

Das Problem, so sind sich viele der Kunstschaffenden einig, liege nicht so sehr bei der Politik selbst, sondern darin, dass es kein gemeinsames Sprachrohr, keine Interessenvertretung für Künstlerinnen und Künstler gibt und somit auch keine zentrale Anlaufstelle für die Politik. Auch die Kommunikation mit und zwischen den Künstlerinnen und Künstlern fällt schwer: Informationen würden über WhatsApp und Facebook irgendwie weitergeleitet, so Peter Schorn. Ein Problem, das auch durch die fehlende Erfassung der Südtiroler Kunstszene entsteht.

 

Wer aber ist KünstlerIn?

 

Schwierig ist in dieser Hinsicht vor allem die Eingrenzung der Berufsgruppe. Wer von der Kunst lebt, ist im Beruf Künstler. Was aber unterscheidet künstlerische Tätigkeit vom Handwerk? Kann und darf man hier überhaupt eine Grenze ziehen? 

Laut Artikel 33 der italienischen Verfassung ist die Kunst im Unterschied zum Handwerk vor allem eins: frei. Eine rigide Festlegung der Kriterien, um den Künstler in ein oder mehrere Berufsalben hineinzuzwängen, ist allein deshalb schlichtweg unmöglich.

Trotzdem, so Schorn, zeige sich vor allem während der Pandemie, wie wichtig es sei, zwischen Berufs- und Hobbykünstlern zu unterscheiden und gewisse Richtlinien für die Berufsgruppe der Künstlerinnen und Künstler zu erstellen: Förderungen müssen vor allem für jene genehmigt werden, die das Risiko eingehen, sich von Ihrer Kunst für einen gesellschaftlichen Mehrwert abhängig zu machen. Ausbildung, Arbeitstage mit Beitragszahlungen oder der Prozentsatz des durch die Kunst generierten Einkommens nennt er als mögliche Kriterien. Wichtig aber sei, dass die Kriterien je nach Sparte differenziert und flexibel bleiben: Nicht jeder Künstler hat eine Ausbildung und die bezahlten Arbeitstage sind von Sparte zu Sparte und Künstler zu Künstler sehr verschieden. 

Vor allem für Techniker und Technikerinnen sei eine Festlegung solcher Kriterien schwierig, so der Tontechniker Claus Stecher. Während er selbst seine Arbeit als Kulturarbeit bezeichnet – er arbeite nicht nur mit und für Kreative, sondern müsse sein theoretisches und praktisches Wissen im Bereich der Tontechnik auch kreativ anwenden können –, würden andere Ton-, Licht- oder Videotechniker ihre Arbeit als Handwerk ausüben. Deshalb müsse laut Claus Stecher eine Klassifizierung vor allem auf der Selbsteinschätzung jener beruhen, die die Tätigkeit auch ausüben. Im Moment aber sind Techniker, die eine künstlerische Tätigkeit ausüben, von den öffentlichen Förderungen für Künstler ausgeschlossen; die Berufsgruppe fällt für das Amt für Kultur nicht in die Kategorie der KünstlerInnen hinein. 

Der Künstlerbund arbeitet schon länger mit einer Reihe flexibler Kriterien, die eine Mitgliedschaft ermöglichen und somit die angesprochenen KünstlerInnen in ihrem Berufsbild definieren. Er ist Forum für jene Künstler, die in den Bereichen bildende Kunst, Literatur, Musik und Architektur Neues schaffen, wie beispielsweise Maler, Autoren oder Komponisten. Aber auch Lisa Trockner verweist darauf, wie schwer es ist, hier eine Grenze zu ziehen: Zählt eine literarische Übersetzerin zu den Kunstschaffenden oder nicht?

Trotz der divergierenden Meinungen ist man sich weitgehend einig, dass es eine gemeinsame Anlaufstelle und Interessenvertretung für KünstlerInnen in Südtirol braucht.

 

Strukturelle Probleme der Kunstwelt

 

Viele der Probleme, denen Künstler im Moment gegenüberstehen, seien durch die fehlende Interessensvertretung, die einerseits alle Sparten vertritt, andererseits aber auch auf die Bedürfnisse und Interessen der verschiedenen Sparten eingeht, amplifiziert. So verfüge die Politik beispielsweise über keinerlei Möglichkeit, die Künstler, ihre Einkommensquellen und ihren Umsatz zahlenmäßig zu erfassen und so zielgerecht auf ihre Bedürfnisse einzugehen, meint Felix Senoner.

Hinzu kommt, dass das bestehende soziale Netz für viele KünstlerInnen durchlässig bleibt. Dadurch, dass es im Bereich der Kunst keine Berufsalben gibt, fallen viele in andere Berufsgruppen hinein, tun sich dort aber schwer, die für Beiträge nötigen Nachweise zu liefern: Im Gegensatz zu Handwerkern ist es für Künstler oft schwierig, regelmäßige Einkünfte und Rechnungen nachzuweisen – sei es, weil sie keine regelmäßigen Einkünfte haben, sei es, weil Künstler oft faktisch zur Schwarzarbeit gezwungen werden. Auf lange Sicht und in Krisensituationen ein existenzielles Problem. 

Auch wenn für viele KünstlerInnen die Soforthilfe heute im Vordergrund steht, setzen sich viele dafür ein, nachhaltig bessere Arbeitsbedingungen für Künstlerinnen und Künstler in Südtirol zu schaffen. Dazu gehören unter anderem eine statistische Erhebung der Kreativwirtschaft, die Anerkennung der Berufskünstler sowie eine Interessenvertretung für die verschiedenen Sparten innerhalb der Kunst. 

 

Die Pandemie als Möglichkeit

 

Über die Pandemie als Möglichkeit wird zwar oft gesprochen, selten aber scheint die Umsetzung der Möglichkeit so konkret wie im Gespräch mit den Künstlerinnen und Künstlern. Auf Initiative des Kulturmanagers und Regisseurs Manfred Schweigkofler wurde der Prozess gestartet, eine Anlaufstelle und Interessensvertretung für die darstellenden Künstlerinnen und Künstler (Live Performing Artists) zu schaffen. Eine Initiative, die, wie Peter Schorn betont und auch vonseiten der bestehende Verbände bestätigt wird, Politik, Verbänden und Künstlern eine Organisation zur Seite stellt, um jene zu vertreten, die bis dato noch keine Stimme gefunden haben. 

Weiters wird über ein Onlineformular an einer ersten Erfassung der Südtiroler Kunst- und Kulturszene gearbeitet, um in Zukunft eine übergreifende Dachstruktur für die gesamte Creative Industry der Kunst- und Kulturschaffenden zu etablieren, als gemeinsames sprachgruppenübergreifendes Sprachrohr und Schnittstelle zur Politik.

In der Hoffnung, in Zukunft wieder zu einer blühenden Kulturszene in Südtirol beitragen zu dürfen, wird die gebündelte Energie dazu verwendet, die soziale Situation der KünstlerInnen und deren Anerkennung als Berufsgruppe zu fördern. Ein Hauptanliegen bleibt die Anerkennung der Künstler als Berufsgruppe in der öffentlichen Wahrnehmung, um auch jungen Menschen zu zeigen, dass man von der künstlerischen Tätigkeit sehr wohl leben kann (könnte?).