Società | Familienunternehmen

„Redet miteinander“

Mit seinem neuen Buch hat Markus Weishaupt die Aufmerksamkeit auf die Schattenseiten von Familienunternehmen gelenkt. Wie können die kapitalsten Fehler vermieden werden?
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Foto: Susanne Pitro

Eigentlich wollen sie so wenig wie möglich in den Medien vorkommen. Und so spielt sich das meiste, das in Familienunternehmen vor sich geht, hinter verschlossenen Türen ab. In der vergangenen Woche kehrte sich dieses Prinzip um. Grund dafür ist ein Mann, der seit 15 Jahren Zugang hinter viele dieser verschlossenen Türen erhält: Markus Weishaupt, Unternehmensberater sowie Partner und CEO der italienischen Niederlassung des Nürnberger Spezialisten für die Beratung von Familienunternehmen Weissman International. Nach der Präsentation seines neuen Buches „Erfolgreich trotz Familie. Wie Sie gravierende Fehler in Familienunternehmen vermeiden und Generationen überstehen“ am vergangenen Dienstag wurde das Scheinwerferlicht plötzlich auf offene Flanken der oft heroisierten Unternehmensform gelenkt: von sich unsterblich fühlenden Patriarchen über untaugliche Managementstrukturen bis hin zum großzügigen Verzicht auf schriftliche Vereinbarungen. Warum solch weit verbreitete Fehler öffentlich thematisieren? Ein Hintergrundgespräch mit dem Autor und Familienunternehmen-Experten.

salto.bz: Unternehmen überleben oftmals nicht wegen, sondern trotz ihrer familiären Verstrickungen, liest man gleich zu Beginn ihres neuen Buchs. Rütteln sie damit an einem der Narrative von Südtirols und Italiens wirtschaftlicher Erfolgsgeschichte? Dem Familienunternehmen als Rückgrat der Wirtschaft ...

Markus Weishaupt: Familienunternehmen sind das Rückgrat der Wirtschaft, weil sie die klare Mehrheit der Unternehmen stellen. Hier in Südtirol und im deutschsprachigen Raum sind zwischen 80 und 90% der Unternehmen Familienbetriebe, weltweit spricht man von 75%. Das heißt aber nicht, dass sie besser als alle anderen Unternehmen sind. Also, dieses undifferenzierte und weit verbreitete Bild, wonach Familienunternehmen per se super und besser sind, ist falsch. Das nervt mich sogar, denn es gibt mindestens gleich viel schlecht wie gut geführte Familienunternehmen.

Wenn nicht sogar mehr schlecht geführte, könnte man aus ihrem Vorwort herauslesen. Die große Mehrheit der Familienunternehmen ist nicht so einzigartig wie jene in „Radikal anders. Die DNA erfolgreicher Familienunternehmen“, schreiben sie dort.

Unter diesem Titel habe ich 2015 ein Buch herausgebracht, das auf einer Studie zur DNA erfolgreicher Familienunternehmen basiert, in die insgesamt 200 nachweislich erfolgreiche Unternehmen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien involviert waren. Die haben eine starke Kapitalausstattung, gute Renditen, sind international ausgerichtet, machen einen extrem guten Job. Allerdings: so viele von dieser Sorte gibt es tatsächlich nicht, viele Familienunternehmen profitieren nur vom guten Ruf dieser Vorreiter. Und viele muss man sagen, sind einfach auch klein, vor allem bei uns in Südtirol und in Italien, wenn wir uns mit dem deutschen Mittelstand vergleichen.

Mit ihrer Publikation entzaubern sie aber nicht nur den Mythos des per se tollen Familienunternehmens, sondern vor allem die Annahme, dass Familien ihren Unternehmen immer guttun?

Die Familie ist Segen und Fluch zugleich. Eine Familie mit gutem Zusammenhalt macht Unternehmen vielfach unschlagbar; eine Familie im Streit entfaltet dagegen zerstörerische Kräfte. Ganz oft implodiert das Ganze dann, weil die Familie so stark mit sich beschäftigt ist, dass sie den Zweck aus den Augen verliert, den ein Unternehmen hat: den Nutzen, den es für den Kunden schafft.

Schauen wir uns das Ganze mal systemisch an: wo sind die größten Reibungspunkte, wenn ein System wie ein Unternehmen auf das System Familie trifft?

Beim System Unternehmen gibt es eine klare Ausrichtung, da geht es um harte Themen wie Rendite, Wachstum, Risiko, Geld, Wettbewerbsvorteile, den Kampf auf dem Markt. Kurzum: harte Bandagen, wenn ich ein wenig überspitzen darf. In der Familie geht es um Liebe, Gerechtigkeit, hier habe ich ein System der Emotionalität, der Einbettung, in dem möglichst alle gerecht und gleich behandelt werden sollen. Und jetzt prallen diese beiden Systeme aufeinander…

…und es sprühen die Funken?

Insbesondere in bestimmten Konstellationen. Das war auch der Antrieb, dieses Buch zu schreiben. Mein Plädoyer lautet: lernt aus den Fehlern der anderen. Viele haben dieselben Probleme, leiden unter denselben Mustern und deshalb wollte ich die kapitalsten Fehler, die mir in vielen Jahren der Begleitung und Beratung von Familienunternehmen untergekommen sind, mit diesem neuen Buch auf leicht verständliche Weise rüberbringen. Nicht jeder muss alle Fehler selbst machen. Und wer sich in einer der Geschichten erkannt fühlt, sollte sich überlegen, etwas dagegen zu tun. 

 

 

Ihr Buch greift – anhand anonymisierter und aus dem Kontext gerissener Beispiele - 36 kritische Fragen auf, die sich bei diesem Aufeinandertreffen der beiden Systeme ergeben können. Wo sind die größten Reibungspunkte?

Schwierig wird es oft bereits, wenn es aktive Familienmitglieder im Unternehmen gibt. Erst recht, wenn Familienmitglieder unterschiedlicher Generationen aktiv sind. Nachdem die Seniorgeneration heute länger fit ist, arbeiten heute nicht selten drei Generationen in einem Betrieb. Und das ist oft schwierig zu handeln.

Warum?

Weil zum Beispiel unterschiedliche Ansichten, was das Thema Führung anbelangt, aufeinanderprallen. Ein aktuelles Beispiel: das Thema Smart Working. Die Senior-Chefs sagen: Wenn die Leute zu Hause sind, wird nicht gearbeitet. Die Jungen meinen: Ob ich in Mallorca sitze oder im Büro, macht keinen Unterschied. Mindestens genauso schwierig: das Thema der aktiven und nicht aktiven Gesellschafter. Einige Familienmitglieder arbeiten im Betrieb, die anderen nicht, aber beide kassieren Dividenden. Dann sagen die Aktiven: ich arbeite wie blöd und du kassierst nur. 

Und was sagen Sie?

Ich sage in solchen Fällen immer: Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder du kaufst die Anteile der nicht-aktiven Gesellschafter auf oder du entlohnst deine Führungsleistung anständig. Doch das würde dann heißen, auf die eigenen Einkünfte Einkommenssteuern zu zahlen wie alle anderen, während Dividenden mit nur 26% besteuert werden.

Unternehmen können auch verkauft werden oder einfach schließen, an dem ist nichts auszusetzen. Ich finde, nicht jedes Unternehmen muss 500 Jahre alt werden.

Das eine sind inhaltliche Auseinandersetzungen über Themen wie Smart Working oder finanzielle Konflikte. Wird es aber nicht noch komplexer, wenn Emotionales ins Spiel kommt? Das unterbewusste Gefühl, dass mein Vater mich nie so akzeptiert hat wie ich bin, beispielsweise, dass meine Schwester immer bevorzugt wurde …

Wenn zu uns eine Familie kommt und sagt: wir müssen unsere Nachfolge regeln, aber bei uns geht das ganz schnell, bei uns ist alles harmonisch, dann weiß ich: Das wird ein langes und schwieriges Projekt. Damit ist die Frage eigentlich schon beantwortet (lacht). Ja, da schlummert vieles unten drinnen, das rauskommen muss, zu allen möglichen Themen. Ich hatte zum Beispiel einen Fall, in dem mir ein Unternehmer sagte: ich habe keine Pension, ich muss weiterarbeiten. Egal, wie oft ich ihn darauf hingewiesen habe, dass sein Vermögen für fünf Leben reicht – er beharrte darauf, keine Pension zu bekommen. Doch der Subtext war eigentlich: Ich möchte noch weiterarbeiten. Das kann er aber nicht sagen, denn das würde auch implizieren: ich möchte die Nachfolge nicht regeln, und eigentlich weiß er selbst, dass das nicht richtig ist.

Was macht ein Berater in solchen Fällen?

Die Menschen vor allem ernst nehmen. Es hilft nichts, ihnen zu sagen, dass ein solches Argument ein Vorwand oder ein Blödsinn ist. Wenn man solchen Workaholics die Identifizierung mit ihrem Unternehmen nimmt, reißt man ihnen fast schon einen Teil ihrer Persönlichkeit heraus. Die tun sich wahnsinnig schwer, loszulassen, und das gilt es erst einmal anzuerkennen.

Das heißt es braucht schon fast psychologische Qualitäten, wenn es um so persönliche Themen geht?

Ja, in Familienunternehmen wird es schnell sehr persönlich. Insbesondere in der Nachfolge, da geht es oft um sehr familiäre und intime Themen. Vielfach sind diese mit ein wenig Scham verbunden, auch darüber, dass man nicht imstande ist, sie allein zu regeln. Wir haben keine psychologische Ausbildung, aber wir haben eine Sensibilität für den Unternehmer, die Unternehmerin, und dafür, was es für einen Menschen bedeutet, wenn er oder sie ein Unternehmerleben lebt.

Wie groß ist die Bereitschaft, sich solch versteckten und emotionalen Themen zu stellen?

Ganz verschieden. Die einen lassen sich drauf ein, die anderen nicht. Ich rate in diesen Fällen, ganz oft: Geht zu anderen Unternehmerkollegen oder -kolleginnen, die den Nachfolgeprozess schon hinter sich haben und gerade drinnen stecken. Schaut, wie sie es machen. Redet miteinander. Denn die Probleme sind, wie gesagt, ganz oft dieselben. In der Schweiz gibt es übrigens ein Phänomen, das ich sehr positiv finde. Dort sitzen in Verwaltungsräten von Familienunternehmen oft befreundete oder bekannte Unternehmer, die dem Verwaltungsrat auch inhaltlich Inputs geben. Das sieht man in Südtirol selten, hier findet man generell wenig familienexterne Mitglieder in den Verwaltungsraten und noch seltener andere Unternehmer oder Unternehmerinnen, was ich schade finde. 

Dieses undifferenzierte und weit verbreitete Bild, wonach Familienunternehmen per se super und besser sind, ist falsch. Das nervt mich sogar, denn es gibt mindestens gleich viel schlecht wie gut geführte Familienunternehmen.

Ein weiteres Bild von Familienunternehmen: dort stehen Werte, das Menschliche im Vordergrund, und das sei in vielen Fällen auch ein Wettbewerbsvorteil. Auch nur ein undifferenziertes Urteil?

Nein, ich glaube vor allem dieser Aspekt ist ein Riesenvorteil von Familienunternehmen. Das hat sich auch während der vergangenen großen Krisen deutlich gezeigt, von Lehman Brothers bis Corona. Dieses persönliche Verhältnis zu den eigenen Mitarbeiter:innen, das teilweise auch schon über Generationen andauert, die beiderseitige Loyalität, macht Unternehmen tatsächlich krisenfester. Hier sind Mitarbeiter keine Nummern, bevor jemand entlassen wird, muss viel passieren.

 

 

Wann kann Familie dagegen ein Wettbewerbsnachteil sein?

Zum Beispiel bei der Ausrichtung des Unternehmens, der Strategieentwicklung. Oft sollen mit Entscheidungen alle Familienmitglieder glücklich gemacht werden. Jeder möchte etwas anderes, und um niemanden vor den Kopf zu stoßen, wird dann alles gemacht. Die Aufgabe von Strategiearbeit ist es aber, zu konzentrieren, Unternehmenszweige und Produkte eher wegzulassen als immer neue dazu zu nehmen. Dazu neigen Familienunternehmen aber auch deshalb eher, weil sie meist weniger finanzielle Ressourcen als börsennotierte Unternehmen haben. Und – irrtümlicherweise – denken, sich durch viele Standbeine abzusichern. Man hat also vielleicht weniger Mut, sich für oder gegen etwas zu entscheiden.

Wegen solch familiärer Verstrickungen?

Gerade, wenn ein Unternehmen schon über Generationen besteht, wird es oft schwierig. Da hat man dann nicht selten zwei Dutzend Gesellschafter, die über die ganze Welt verstreut sind und ganz unterschiedliche Motivationen und Ziele haben. Dieses Managen der Familie und der Gesellschafter aus der Familie, das ist schon eine Herausforderung. Wenn die nicht gut gemeistert wird, habe ich ein wirkliches Problem, das andere nicht haben.

Welche Veränderungen nehmen Sie bei der Unternehmergeneration wahr, die nun von der Babyboomer-Generation übernommen hat. Stimmt es, dass die Bereitschaft, nur für das Unternehmen zu leben, zurückgeht, dass die Lebensqualität mehr Wert hat, wie manche Unternehmer selbst sagen?

Was vielleicht stimmt ist, dass die Nachfolgegeneration jetzt auch mal in Urlaub geht. Und nicht nur ich nehme wahr, dass wir uns zunehmend von einer Leistungsgesellschaft zu einer Herkunftsgesellschaft wandeln. Sprich: Menschen kommen durch Erbschaft und Vermögen weiter als durch Leistung. Wenn wir heute also teilweise weniger arbeiten, dann dank der Vorarbeit unserer Eltern und Vorfahren. Doch wenn ich nun speziell auf die Unternehmen schaue, mit denen ich arbeite, und das sind vor allem große Unternehmen, kann ich keine großen Unterschiede zwischen den Generationen erkennen. Wer die Führung eines Unternehmens übernimmt, ist 24/7 Unternehmer, ob Senior oder Junior. Das hat sicher auch mit Erziehung, mit Vorleben zu tun. Und ich glaube auch mit sinnhaftem Tun. Wenn jemand die Sinnhaftigkeit des Unternehmertums spürt, macht er es einfach gerne.

Dennoch schreiben Sie selbst: Nur ca. 30% der Familienunternehmen schaffen es in die dritte und ca. 15% in die vierte Generation.

Und diese Unternehmen haben dann wirklich gute Chancen zu überleben, denn je mehr Generationen es sind, desto mehr Erfahrung haben Familien mit der Unternehmensübergabe. Ich bin felsenfest überzeugt, dass viele Familienunternehmen von unseren aktuellen Krisen und jenen, die uns noch bevorstehen, sogar profitieren werden. Doch es ist auch in Ordnung, wenn es nicht jedes Familienunternehmen in die nächste Generation schafft. Das muss ja auch nicht heißen, dass es in Konkurs geht. Unternehmen können auch verkauft werden oder einfach schließen,  an dem ist nichts auszusetzen. Ich finde, nicht jedes Unternehmen muss 500 Jahre alt werden.

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Karl Trojer Mer, 12/21/2022 - 10:50

Solange Eintracht herrscht und die Zuständigkeiten und Entscheidungsverhältnisse klar sind, sind Familienunternehmen überdurchschnittlich leistungsfähig. Streit zerstört sie. Bei ihrer Nachfolge sollte auch die Möglichkeit in Erwägung gezogen werden, das Unternehmen in Form einer Genossenschaft an die Belegschaft abzutreten.

Mer, 12/21/2022 - 10:50 Collegamento permanente