Ambiente | Mobilität

„Sonst darf man sich nicht aufregen“

Drei Diskussionsabende mit einem Vorkämpfer einer sanften Mobilität: Hermann Knoflacher denkt diese Woche mit Markus Lobis quer*.
Hermann Knoflacher
Foto: UFO Bruneck

salto.bz: Herr Knoflacher, Mobilität ist von Mythen überfrachtet, sagen Sie. Was ist einer dieser großen Mythen?
Hermann Knoflacher: Dass die Mobilität wächst zum Beispiel. Das geheimnisvolle Wachstum der Mobilität ist ein typischer Mythos. Heute wissen wir, dass die Zahl der Wege gleich bleibt und nur die Anzahl der Autofahrten gestiegen ist. Diese machen gut drei Viertel unserer Mobilität aus. Der Mythos entsteht, weil wir nur das Auto betrachten – und übersehen, dass wir damit andere Mobilitätsformen vernichtet oder zurückgedrängt haben. Doch wenn Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und die Fußwege abnehmen, bleibt die Summe der getätigten Wege gleich.

Über den Stellenwert des Autos in unserer Gesellschaft haben Sie ein eigenes Buch mit dem Titel „Virus Auto“ geschrieben. Warum Virus?
Ein Virus verändert das Verhalten der Zellen. Und das Auto verändert das Verhalten der Menschen und der Gesellschaft. Wenn Sie individuell so viel Lärm machen würden, wie es das Auto tut, würden Sie laut Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch sofort bestraft werden. Mit dem Auto können Sie das dagegen machen. Wenn Sie Leute individuell derart mit Abgasen schädigen, also mit Giftgasen belasten würden, werden Sie sofort eingesperrt. Wenn die Giftgase in einer viel größeren Menge beim Auspuff rauskommen, heißt das Umweltverschmutzung.

Wie können wir von diesem Virus gesunden?
Die Menschen selbst können dem nur schwer entkommen, weil ihnen das Auto individuell extrem viele Vorteile bietet und sie blind für die Nachteile macht.

Deshalb müssen Verkehrsgefüge geschaffen, die sie vom Zwang zum Autofahren befreien, fordern Sie. Passiert das in Südtirol?
Es ist sicher einiges passiert diesbezüglich, auch in Bozen. Ich selber habe auch ein wenig gemacht, die Fußgängerzonen Schladners und Mals, die Vinschger Bahn damals ...

Bei der Vinschger Bahn waren Sie mitbeteiligt?
Der Vinschger Universitätsprofessor Florin Florineth hat mich seinerzeit eingeladen, dabei mitzuwirken, den Bau einer  Schnellstraße im Vinschgau zu verhindern. Im Jahr 1986 habe ich dann in Naturns bei einer Veranstaltung, auf der Planer, Projektanten und Politiker für diese Straße warben, die Folgewirkungen vorgestellt. Und ihnen gesagt, sie sollen die Schnellstraße so schnell wie möglich vergessen und die Vinschgerbahn wieder zum Leben erwecken. Neben anderen Verkehrskonzepten im Vinschgau haben ich dann Ende der Neunziger Jahre im Auftrag der SAD auch Untersuchungen für die Vinschgerbahn gemacht. Damals habe ich übrigens schon gesagt, sie müssen längere Bahnsteige machen. Aber es hat keiner auf mich gehört, weil niemand geglaubt hat, dass irgendwann so viele Leute mit dieser Bahn fahren werden.

Das scheint Ihnen ja öfters so gegangen zu sein, dass Ihnen nicht geglaubt wird, was später eintrifft.
Ja, die Wiener oder Innsbrucker haben mir in den Siebziger Jahren auch nicht geglaubt, dass die Innenstadt überleben wird, wenn man Fußgängerzonen macht. Oder dass in Wien der Radverkehr einmal so einen Stellenwert einnehmen wird oder der öffentliche Nahverkehr wichtiger wird als das Auto.

Wie sehen Sie diesbezüglich die Entwicklungen in Bozen?
Bozen hat einen relativ hohen Anteil an Radverkehr, auch recht viele Fußgänger und eine einigermaßen gute Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs.  

Dennoch gibt es immer noch viel Autoverkehr.
Ja, weil man nach wie vor große Fehler macht. Da werden in die Stadt hinein diese großen Parkgaragen gebaut, das ist ja ein Irrsinn.

Der österreichische Investor René Benko wird in Kürze eine weitere bauen...
Na klar. Da kommen die Konzerne, tragen das Geld weg und ruinieren die lokale Wirtschaft. Doch wem nicht zu raten ist, ist nicht zu helfen. Wir haben schon vor vielen Jahren vor der Wirkung solcher Einkaufszentren gewarnt. In ein paar Jahren werden Sie es merken, wenn immer mehr kleine Geschäfte für immer geschlossen haben werden. In Südtirol waren Sie ohnehin lange in einer glücklichen Situation, weil es hier aus der Ära Benedikter noch ein gutes Raumordnungsgesetz gab. Das wird jetzt allerdings aufgelöst.

Sprechen Sie dabei vom Handel oder auch vom Verkehr?
Das kann man nicht voneinander trennen, beides hängt voneinander ab. Einkaufszentren und Investoren reagieren auf das Verkehrssystem. Wenn die merken, dass sie an einem Platz viele Leute anlocken können, auf Kosten der Allgemeinheit, dann investieren sie dort. Die Leute haben sie mit dem Auto schließlich an der Angel. Und die Ursache für all das liegt in der Bauordnung.

Die ja in Südtirol gewissermaßen fortschrittlich war?
Fortschrittlich war sie auch nicht wirklich, denn auch hier sind für Baukubatur verpflichtend Abstellplätze vorgesehen. Doch ein Abstellplatz für ein Auto hat nichts in einer Ortschaft verloren, die sollte außerhalb unseres Lebensraumes geparkt werden.

Das heißt, die Zukunft der Mobilität liegt für Sie unter anderem darin, die Autos vor den Stadttoren und außerhalb der Dorfkerne oder Wohnsiedlungen zu parken?
Das predige ich seit 40 Jahren und mittlerweile haben wir immer mehr autofreie Siedlungen, ob in Freiburg, Zürich, Hamburg oder Wien, wo ein ganzes Viertel wie die neue Seestadt in Aspern so angelegt wurde, dass Autos in Sammelgaragen außerhalb geparkt werden. Zwar nicht so weit außerhalb wie wir es gerne gehabt hätten, aber zumindest einige hundert Meter vom Wohnraum entfernt.

In Städten Alternativen zum Auto zu finden scheint aber zumindest leichter als im ländlichen Raum.
Das scheint es heute. Vor ein paar Jahrzehnten es auch in Städten nicht üblich, auf das Auto zu verzichten. Es braucht einfach konsequente Maßnahmen, mit denen das Autofahren an individuellen Vorteilen verliert und andere Mobilitätsformen wieder attraktiver werden. Und sonst darf man sich nicht aufregen, dass die Leute sterben, die Luft schlechter wird, die Nahversorgung kaputtgeht und die sozialen Beziehungen immer mehr verarmen.