Cultura | Interview

“Es tut einfach nur weh”

Klemens Riegler weiß, dass seine Branche ohne ernsthafte Hilfe nicht überlebt. “Wir stehen nicht im Regen, sondern auf der Titanic”, sagt der Veranstaltungstechniker.
Leere Bühne
Foto: William Krause on Unsplash

Die Veranstaltunswirtschaft sieht rot. Im wahrsten Sinne des Wortes. In der Nacht von Montag auf Dienstag findet in Deutschland eine Protestaktion statt, bei der in zahlreichen Städten Eventlocations, Spielstätten, Gebäude und Bauwerke mit rotem Licht beleuchtet werden. Damit will die Branche aufzeigen, dass sie vor dem Aus steht – wenn sich die Politik ihrer nicht ernsthaft annimmt. Auch in Südtirol beteiligen sich Unternehmen an der Aktion und werden  “wichtige Gebäude, Denkmäler, Veranstaltungsstätten oder eigene Firmensitze in rotes Licht hüllen”, verkündet Klemens Riegler in seinem Blog auf salto.bz. Riegler leitet ein Unternehmen für Veranstaltungstechnik, ist einer der Organisatoren und Köpfe des Steinegg Live Festivals – und kritisiert: “Bisher wurde viel versprochen, ein wenig geredet und nichts gesagt.”

salto.bz: Herr Riegler, was passiert in der Nacht vom 22. auf den 23. Juni?

Klemens Riegler: Kulturstätten, Monumente, Firmensitze, Fassaden, Kirchen oder was auch immer werden ab 22 Uhr in rotes Licht gehüllt. Es handelt sich um die in Deutschland initiierten Aktion “Night Of Light”, die schon jetzt alle Erwartungen übertroffen hat. Ausgehend von einigen wenigen Teilnehmern sind es inzwischen weit über 2.000 Betriebe.

Wer nimmt in Südtirol an der Initiative teil? Und mit welchem Ziel?

Mitmachen werden hier in Südtirol einige technische Eventdienstleister, die etwas Equipment haben. Wir wollen damit auf die prekäre Situation der gesamten Veranstaltungswirtschaft aufmerksam machen. Es betrifft neben uns selbst einen weitschichtigen und fast unüberschaubaren Wirtschaftssektor: den Messebauer ebenso wie die Eventagentur, den Cateringservice ebenso wie den Bühnenbauer. Dazu kommen Bereiche wie Messegesellschaften, Eventlocations, Kongresszentren, Tagungshotesl, Konzertveranstalter, Künstler, Musiker, Veranstaltungstechniker, Einzelunternehmer und Hundertschaften von sogenannten Free-Lancern aus den Bereichen Ton, Licht, Video – bis zu den Auf- und Abbau-Helfern.

Die meisten haben 2020 einfach ausradiert

Events und Veranstaltungen sind ja nicht generell verboten, sondern dürfen unter bestimmten Voraussetzungen stattfinden, z.B. Mindestabstand von zwei Metern zwischen den Besuchern bzw. einem Meter falls ein Mund-Nasen-Schutz getragen wird; keine Verabreichung von Speisen und Getränken; Zugangsbeschränkung (1/10-Regel) für Indoor-Events. Der hds meint dazu: “Mit diesen Regelungen wird es keine ökonomisch sinnvollen Events geben. Die Branche der Eventdienstleister hat unter diesen Voraussetzungen keine Perspektive und steht vor dem Aus.” Einverstanden?

Logisch einverstanden! Der hds geht mir sogar zu wenig weit. hds und Politik scheinen noch nicht kapiert zu haben, was da abgeht, was da alles zusammenhängt. Kein Antholz, kein Weltcup, kein Spatzenfest, kein Alpenflair, keine Bozner Messe, kein Fußballspiel, kein Pixner-Konzert, kein Speckfest, kein Musigfescht, kein Firmenjubiläum... Die viel gepriesene Wertschöpfung lässt erahnen, was das los ist. Ja gut, Gröden und Antholz hatten noch Glück, aber alles danach? Je nach Branche ist es natürlich unterschiedlich. Jene, die rein von den größeren Events und Messen leben, hatten in den vergangenen Monaten null Arbeit und werden auch in den nächsten Monaten kaum etwas erwirtschaften. 

Die derzeitigen “bestimmten Voraussetzungen” lassen ein kostendeckendes, geschweige denn gewinnbringendes Arbeiten nicht zu. Somit kann es sich der Veranstalter auch nicht leisten, marktgerechte technische Dienstleistungen einzukaufen. Es macht für niemanden Sinn. Es ist ein Dilemma und irgendwie sitzt der Veranstalter mit im selben Boot. Wenn er keine vernünftigen Einnahmen generieren kann, kann er auch die Dienstleistungen nicht bezahlen. Es können zwar kleinere Konzerte oder Theateraufführungen stattfinden, aber das sind verdampfende Tropfen auf einer überhitzten Herdplatte.

Wir brauchen keine Almosen und keinen Gewinn, aber das Nötigste zum Überleben

Wie ist die Stimmung unter den Südtiroler Veranstaltern?

Das kann ich persönlich nicht genau sagen, aber die meisten haben 2020 einfach ausradiert. Den Vereinen fehlen die zusätzlichen Einnahmen für ihre Tätigkeit. Aber den Betrieben und Dienstleistern fehlt die Arbeitsgrundlage. Kulturvereine dürften sich durch die öffentlichen Beiträge zumindest über Wasser halten können, aber beim Eventdienstleister oder beim Gigger-Griller wird nix ankommen.

Welche Abfederungsmaßnahmen gibt es für Ihre Branche?

Keine Ahnung! Bisher wurde viel versprochen, ein wenig geredet und nichts gesagt. Vom Staat gab es bisher zwei Mal 600 Euro und wer wenig Steuern gezahlt hat – Jahresverdienst unter 50.000 Euro brutto – gab es je 3.000 oder 5.000 Euro. Jetzt sollen staatliche Mietbeihilfen – verrechenbar mit Steuerschuld – von 60 Prozent oder kleinere Verlustbeiträge folgen, wenn die Umsätze im Vergleich zu 2019 stark eingebrochen sind. Im Prinzip keine Sonderbehandlung, sondern das ist das, was allen Betroffenen zusteht.

 

Fühlen Sie sich im Regen stehen gelassen, wie es die Opposition der Landesregierung vorwirft?

Ich weiß nicht im Detail, was die Opposition der Regierung vorwirft. Jedenfalls steht speziell unser Sektor nicht im Regen, sondern auf der Titanic.

Wird die volkswirtschaftliche Bedeutung der Veranstaltungsbranche unterschätzt?

Gute Frage! Anscheinend wird sie komplett unterschätzt und nicht gesehen. Es ist aber auch komplex. Man muss verstehen, was und wie das allen zusammenhängt. Die Initiatoren von “Night of Light” in Deutschland reden von 300.000 Unternehmen in über 150 Disziplinen und 3 Millionen Beschäftigten. Sie erwirtschaften einen Jahresumsatz von 200 Milliarden Euro. Mehr machen in Deutschland nur die Autohersteller aus. 

Sie appellieren an die Südtiroler Landesregierung, “hier endlich aktiv zu werden und der Event-Branche durch die für sie noch lange nicht beendete Krise zu helfen”. Welche konkreten Maßnahmen braucht es?

Ich versuche es stichwortartig: spesenbasierte Verlustbeiträge; Erlassung sämtlicher Gebühren – Strom, Müll, Wasser, IMU... –; ein Grundeinkommen für die Inhaber von 1.199,72 Euro, also gleich viel wie unsere Angestellten im Lohnausgleich – etwas zum persönlichen Überleben sozusagen; Einzahlung des INPS- und Rentenbeitrages für die Inhaber laut Ergebnis 2918/2019; Lohnausgleich für unsere Angestellten verlängern bis es Licht am Horizont gibt – aber das wurde eh schon versprochen. Ich glaube, ich spreche im Namen aller massiv Betroffenen. Wir brauchen keine Almosen und keinen Gewinn. Aber das Nötigste zum Überleben. Wenn wir nach der Krise – für uns wohl 2021 – noch da sein sollen, muss jetzt geliefert werden.

Die derzeitigen “bestimmten Voraussetzungen” lassen ein kostendeckendes, geschweige denn gewinnbringendes Arbeiten nicht zu

Es ist nicht nur finanzielle Aspekt, der zu kurz kommt, wenn Veranstaltungen nicht bzw. nicht wie gewohnt abgehalten werden können. Sondern auch der soziale und kulturelle.

Naja, damit bin ich nur ein bisschen einverstanden. Wenn ich nix mehr zu beißen habe, vergeht mir auch die Lust auf Kultur. Scherz beiseite. Was sind wir ohne Gesellschaft und Kultur? Wir sind hier in Europa, Kultur ist unsere Freiheit. Das Leben, so wie wir es hatten, ist “unser Leben”. Wir sind so unglaublich privilegiert, hier und im Jetzt leben zu dürfen. Wir sind verwöhnt, ja... Aber ich will das nicht missen. Ich will den Blues beim Konzert, den Gigger beim Schützenfest und die Finisher-Medaille beim Dolomiti Superbike.

Können Konzerte oder Festivals durch Live-Stream-Events wie es jenes von Steinegg Live Ende April war ersetzt werden?

Aus meiner Sicht unmöglich. Die unglaubliche Aktion meiner Freunde in Steinegg war einmalig und hat für Aufsehen gesorgt. Aber ein Konzert, ein Festival ist ein gesellschaftlich, kulturelles Ereignis. Dazu gehört auch die Umgebung, der echte Sound, die nach Schweiß riechenden Fans, das Bier oder beim Blueskonzert das Feeling. Die Details zeigt der Stream nicht.

Es können zwar kleinere Konzerte oder Theateraufführungen stattfinden, aber das sind verdampfende Tropfen auf einer überhitzten Herdplatte

Wie würde Ihr Alltag derzeit ohne Corona aussehen? Womit wären Sie beschäftigt?

Ich würde mit dem verdienten Geld einige Kreditraten bezahlen, hätte mir ein überteuertes Rennrad gekauft, für das ich keine Zeit mehr gehabt hätte, weil ich zumindest derzeit 12 bis 16 Stunden pro Tag buggeln würde. Ganz präzise gesagt würde ich wohl die Open-Air-Bühne für das LangisKlong Open-Air mit LaBrassbanda in Toblach abbauen und morgen das Material der Volxfesta in Bozen und eines Konzerts im Engadin im Lager einräumen. Wenn ich den Arbeitskalender – Stand Februar – anschaue, dann hätte ich an diesem Wochendende fast frei. Nur ein Verleih für ein Volksfest in Pfalzen stand im Kalender.

Wie sehen Sie als Inhaber eines Unternehmens für Veranstaltungstechnik Ihre persönliche Zukunft?

Ich weiß es echt nicht. Ich habe einen soliden Betrieb, im Prinzip schuldenfrei. Ich habe super Kunden, zum Teil sind es inzwischen langjährige Freunde oder Partner. Das Unternehmen ist ein Teil von mir. Da steckt mein gesamtes Erwachsenen-Leben drin. Fast 30 Jahre. Meine Töchter und meine Frau mussten viele Wochenenden auf mich verzichten. Aber mir ging es gut, es machte Spaß und Freude. Ich war privilegiert und habe gute Steuern bezahlt. Wenn ich einfach zusperren könnte, hätte ich es getan. Aber selbst das ist nicht möglich. Ich kann nicht 20 Tonnen Equipment – oder 500.000 Euro – zum Recyclinghof bringen, nur weil ich das Lager räumen müsste. Vorläufig heißt es also, hart verdientes und versteuertes Geld in die Hand zu nehmen, um die laufenden Kosten zu zahlen. Es tut einfach nur weh.

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Klemens Riegler Gio, 06/18/2020 - 23:29

Liebe/r Do Riada, danke für den "sympathischen Herrn"!
Natürlich sind die letzten Jahre ertragreich gewesen (so wie in allen Branchen), darum haben wir auch alle gute Steuern bezahlt (siehe letzte Antwort auf die Frage von Frau Gasser). Aber wenn ein Kleinunternehmer mit 30jähriger Betriebstätigkeit keine 500t. an Investitionen zusammen kriegt, ist er nicht einmal ein "Kleinunternehmer". Vielleicht haben Sie mich auch falsch verstanden? Jedenfalls sind darunter unsere technischen Geräte, Maschinen oder auch unser Fuhrpark zu verstehen. Sie wissen hoffentlich was ein LKW oder Lieferwagen kostet?, aber vielleicht wissen sie nicht, dass eine größere Beschallungsanlage auch 200.000€, ein Spezialscheinwerfer 5000€, gute Mikrofone pro Stück 1000€, ein großes Digitalmischpult 50.000€ oder eine Bühne mit zertifizierter Überdachung auch 150.000€ kosten kann. Das sind sozusagen unsere "Maschinen" mit denen wir Veranstaltungstechnik-Firmen unsere Dienstleistungen erbringen. Aber speziell diese großen und teueren "Maschinen" (zum Teil geleast) stehen bei uns allen seit Fasching still und "rosten" sozusagen vor sich hin. Die Entwertung ist gewaltig. Und all dieses teuere Equipment - so nennen wir das - ist derzeit zudem so gut wie unverkäuflich ... weltweit!
Wir gehen alles andere als "häufig" zu den Politikern ... wir haben nicht einmal eine sog. Lobby. Die Aktion "https://night-of-light.de" hat den Sinn überhaupt auf uns aufmerksam zu machen ... dass es uns gibt ... und dass es uns 2021 vielleicht eben nicht mehr gibt. Was das bewirkt und bedeutet hat die deutsche Veranstaltungswirtschaft in einer Studie erarbeiten lassen; https://eventelevator.de/wp-content/uploads/2020/06/Meta-Studie-gesamtw…
Und dann hätte ich noch eine banale Frage: Haben Sie eine Ahnung was selbst ein Kleinbetrieb mit einigen wenigen Angestellten an monatlichen Spesen + Kosten (je nach Betriebsgröße sind das bei uns Südtiroler Betrieben zwischen 6.000 und 20.000€) zu berappen hat? Ohne auf der anderen Seite irgendwelche Einnahmen zu haben? ... und das wohl noch über viele Monate.
Wir werden am Montag, 22.6. ab 22 Uhr auch nicht "kräftig lärmen" sondern nur in ROT auf die Situation hinweisen.

Gio, 06/18/2020 - 23:29 Collegamento permanente