EU-Botschaften in der Türkei warnen vor Attentaten
Die italienische Botschaft in Ankara hat die in der Türkei lebenden Staatsbürger zu erhöhter Wachsamkeit aufgerufen. Eine entsprechende SMS Nachricht habe ich in der Nacht auf meinem türkischen Mobiltelefon erhalten. Konkret heisst das, grosse Menschenansammlungen zu meiden, vor allem grosse Einkaufszentren und Banken ,sowie Demonstrationen aus dem Weg zu gehen. Das ist in Istanbul leichter gesagt als getan.
In der 17 Millionen Stadt ist praktisch alles mit Menschen überfüllt. Mich hat ohnehin schon oft Platzangst überfallen, seitdem ich hier lebe. Am schlimmsten ist es in der zentralen Istiklal Caddesi, der Fussgängerzone, die den Taksim-Platz mit Galata verbindet. Am Taksim-Platz haben die vielen und international aufmerksam verfolgten Demonstrationen gegen Erdogan stattgefunden , der den Gezi-Park in ein weiteres Einkaufszentrum verwandeln wollte.
In der Mitte der Istiklal Caddesi , vor dem Rathaus von Beyoglu, finden täglich Demonstrationen aller Art statt. Ein beeindruckendes Polizeiaufgebot ist dort 24 Stunden vor Ort. Die jüngsten Proteste der Kurden gegen die ISIS-freundliche Politik der türkischen Regierung haben hier stattgefunden. Trotzdem strömen , ziemlich unbeeindruckt, täglich zehntausende Menschen durch diese Fussgängerzone, darunter viele Touristen.
Die Geschäfte und Cafes im Istiklal sind klassische Geldmühlen, denn jeder, der Istanbul besucht, macht dort Station. Umso erstaunter war ich gestern, als in einer renommierten Konditorei plötzlich niemand mehr mit mir englisch sprechen wollte. Entweder türkisch oder gar nichts. Ich verliess das Lokal, ohne die gewünschte Pralinenschachtel, die ich am Abend zu einer Einladung bei Freunden mitbringen wollte. Als ich anschliessend 100 Euro in türkische Lira umwechseln wollte, wandte sich der Geldwechsler, den ich auch sonst aufsuche, demonstrativ von mir ab und begann minutenlang , andere Geldscheine zu zählen. Ich suchte mir eine andere Wechselstube, wo ich weniger feindlich behandelt wurde. Vor einigen Tagen ärgerte ich mich über das Personal in einer nahegelgenen Filiale der türkischen Sok-Supermarktkette, als ich auf zwei Fragen, in englisch, nur wortloses Schulterzucken zur Antwort bekam. Und das in Cihangir, im europäischsten Viertel von Istanbul, das sich durch Weltoffenheit und die legendäre türkische Gastfreundlichkeit auszeichnet !
Ob ich mir dieses irgendwie fremdenfeindliche Verhalten nur einbilde, fragte ich am Abend meine türkisch-französische Bekannte Zahire. Sie erklärte mir, dass es tatsächlich einen Anstieg von "Ausländerfeindlichkeit" gebe, die sich gegen Bürger der EU und der NATO Staaten richte : erstens, weil die Türkei nicht in die EU aufgenommen wurde, zweitens, weil die Regierung in Ankara seit Ausbruch des Kriegs gegen die ISIS-Milizen im Zentrum der internationalen Kritik steht.
Staatspräsident Erdogan reagiert darauf, indem er den ohnehin sehr stark gepflegten türkischen Nationalismus weiter aufheizt. Nach dem Motto: schaut euch das Desaster in der EU an ! Die kommen nicht aus ihrer Wirtschaftskrise heraus , während wir Türken noch Zuwachsraten von bis zu fünf Prozent verzeichnen! Und erst die Bildung: in der Türkei , so die offizielle Sichtweise , hätten mittlerweile alle Zugang zur Universität, in der EU sei der gegenteilige Trend zu verzeichnen. Dass die ehemals streng laizistisch ausgerichteten Schulen und Universitäten immer islamischer werden und dass der kostenlose Zugang nur zu diesen staatlich geförderten Ausbildungsstätten erleichtert wird, steht auf einem anderen Blatt.
Jedenfalls greifen solche Argumente und sie vergiften das Klima in dieser wunderbaren, historischen Stadt, in der Kulturen, Sprachen und Religionen bisher friedlich zusammengelebt haben.