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Freunde, die sich keiner wünscht

Christoph Franceschini und Artur Oberhofer haben mitten in die “Schlangengrube SVP” gestochen – mit einem Buch.
Freunde im Edelweiß
Foto: Othmar Seehauser

- “Dottore, am Ende unseres Lebens müssen wir ein Buch schreiben.”
- “Ein Buch, denn das ist eine Schwein… Ich schreibe ein Buch. Über meine Erfahrungen in der SAD. Cazzo, und wie ich es schreibe! Über Sie, über mich, über die Politik, über die Landesbeamten… Eine abscheuliche Geschichte.”
- “Das müssen wir tun. Denn das wäre die Krönung unseres Lebens.”
- “Meine Rache an den Scheiß-Politikern wird genau das sein.”

Ein Buch ist geschrieben worden. Doch nicht von Ingemar Gatterer und Mariano Vettori, die sich hier am 6. Oktober 2018 am Handy unterhalten. Sondern von Christoph Franceschini und Artur Oberhofer. Monatelang haben die zwei Journalisten und ehemaligen Arbeitskollegen 6.000 Seiten an Akten und über 500 Stunden Telefonmitschnitte gesichtet, ausgewertet – und rechtlich prüfen lassen. Denn die Brisanz des Materials, das sie vor einem knappen Jahr zugespielt bekommen haben, war beiden von Anfang an klar.

 

Ins Hinterzimmer hineingehört

 

Die Unterlagen stammen aus den Ermittlungen rund um die Neuvergabe der außerstädtischen Buslinien in der Höhe von einer knappen Milliarde Euro. Die Ausschreibung der Konzessionen wurde im Juli 2018 im letzten Moment gestoppt. Was sich danach abseits der Öffentlichkeit abgespielt hat, mag für die betroffenen Akteure nicht ungewöhnlich sein. Wer aber normalerweise keinen Zutritt zu den Hinterzimmern der Politik hat – die allermeisten Menschen im Land also –, den dürfte es grausen. Bei der Wortwahl, dem Tonfall, der Arroganz, der Unverfrorenheit, mit der versucht wird, eigene Interessen durchzusetzen und Gegner abzusägen. Gegner, die zumindest auf dem Papier Freunde sein müssten. “Freunde im Edelweiß” – so werden Parteimitglieder bei SVP-Großveranstaltungen gerne angesprochen – heißt das Buch, das Franceschini und Oberhofer am Freitag Vormittag vorgestellt haben. Im Untertitel: “Ein Sittenbild der Südtiroler Politik”.


“Der Alfreider ist ein richtig dummer Mensch.” Das sagt Christoph Perathoner über Daniel Alfreider.

“Ich kann es nicht glauben, dass dieser Trottel Landesrat wird.” Das sagt Ingemar Gatterer über Gert Lanz.

“Wir haben noch nie so einen schwachen Landeshauptmann gehabt, noch nie einen, der so viel Schaden für das Land gemacht hat.” Das sagt Thomas Widmann über Arno Kompatscher.

“Ich habe ihm (Massimo Bessone, Anm.d.Red.) dann folgendes gesagt: Die Lega muss aufpassen, dass sie nicht über den Tisch gezogen werden.” Das sagt Luis Durnwalder zu Gatterer.


Die Liste an Beleidigungen, Verhöhnungen und Schlägen unter die Gürtellinie, die es aus dem politischen und unternehmerischen Zirkel um Altlandeshauptmann Durnwalder, Landesrat Widmann und (inzwischen Ex-) SAD-Präsident und SVP-Bezirksobmann Perathoner gegen Leute aus eigenen und fremden Reihen hagelt, könnte hier lange fortgesetzt werden. Man kann sie sich aber auch selbst anhören – dank sechs QR-Codes im Buch, die zu Abhörungsaufzeichnungen führen: Da hört man einen Anruf von Ingemar Gatterer bei Luis Durnwalder am Tag nach den Landtagswahlen 2018. Oder Thomas Widmann, der von seinem Büro aus Ingemar Gatterer anrufen lässt. Oder Meinhard Durnwalder, der sich mit SAD-Generaldirektor Vettori unterhält. Oder Gatterer-Intimus (und heutiger Bürgermeister der Gemeinde Brenner) Martin Alber, der abschätzig über Philipp Achammer spricht.

 

15 Telefonanschlüsse von etwa einem Dutzend Personen wurden im Zuge der Ermittlungen rund um die Vorgänge der annullierten Bus-Ausschreibung zwischen September 2018 und April 2019 abgehört. Das Bild, das sich für Franceschini und Oberhofer am Ende ihrer Auswertungen ergeben hat, beschreibt Oberhofer so: “Wir können mit dem Buch belegen, dass eine mächtige Clique in der SVP und Unternehmer außerhalb der Partei alles versuchen, um den Landeshauptmann zu stürzen und die Politik im Land zu bestimmen. Wir können Erpressungs- und Bestechungsversuche belegen – und Machenschaften, die immer bestritten worden sind.”

Weitere Schauplätze sind neben der Bus-Ausschreibung die Besetzung der Landesregierung 2018, der “Hüttenzauber” und Fantasien um den Kauf von Medien und des Bozner Flughafens. Ein besonders widerwärtiger Wortwechsel findet am 30. Oktober 2018 statt:

Ingemar Gatterer: Wenn eine Rechtsregierung kommt, dann ist es noch besser (…). Ich sage immer: Marschieren, Heil dem Führer (lacht).
Rudolf Rimbl (Personalberater der SAD): Das geht mir gut. Allerdings wäre mir recht, wenn der Führer deutscher Muttersprache wäre (beide lachen).
Gatterer: Für mich wäre das alles kein Thema. Ich würde es sofort mit der Lega machen.
(…). Weißt Du, ich bin ein Rechter, für mich ist das…
Rimbl: Da sind wir schon zu zweit, Ingo. Rechts bin ich auch (…).
Gatterer: Die Lega nehmen. Die Neger raus. Und wir sind die Krönung.

“Im Gegensatz zum Ibiza-Skandal in Österreich, wo Politiker damit prahlen, was sie tun werden, es aber nicht tun, haben wir hier Akteure, die damit prahlen, was sie tun werden und es auch tun”, resümiert Franceschini. Um zu verhindern, dass Arno Kompatscher nach den Wahlen 2018 zentrale Ressorts, wie jenes für die Mobilität, mit ihm nahestehenden Leuten besetzt, schaltet sich kein geringerer als sein Vorgänger ein. “Es ist wohl einmalig, dass ein Alt-Landeshauptmann eine Partei – im Falle von Durnwalder die Lega – gegen seine eigene – die SVP – berät.”

 

Die Zensur-Versuche

 

Wie groß die Sprengkraft des Buches sein dürfte, zeigen die – Zitat Oberhofer – “massiven Versuche, es zu stoppen”. Bereits im Juni 2021 tritt SVP-Parteiobmann Philipp Achammer auf Franceschini und Oberhofer zu. Er hat davon erfahren, dass sie an etwas schreiben, das seine Partei in die Luft jagen könnte (woher, das bleibt offen). “Achammer hatte monatelang Zeit, in seiner Bude aufzuräumen, aber er hat nichts getan, außer gegen uns bzw. das Buch vorzugehen”, sagen die beiden Autoren. Sie bleiben bei ihrer Überzeugung: “Es ist wahnsinnig wichtig, dass die Menschen im Land von dem Sittenbild der Südtiroler Politik erfahren.” Deshalb sehen sie auch die Eingabe, die Luis Durnwalder vor einigen Wochen bei der Datenschutzbehörde eingereicht hat und mit der er die Veröffentlichung weiterer Auszüge aus den Ermittlungsakten unterbinden lassen will, gelassen. “Hier hat keine Verletzung der Privacy stattgefunden”, attestiert der renommierte Medienrechtler und Rechtsanwald Burkhard Zozin, der am Freitag ebenfalls bei der Buchpräsentation im Filmclub (“Ex Capitol”) Bozen anwesend ist. Denn das Buch enthalte Inhalte von öffentlichem Interesse (fatti di interesse pubblico). “Es wurden keine privaten Gespräche veröffentlicht – uns geht es nur um die Wahrheit”, sagt Oberhofer.

Zu der gehört auch, dass im Zuge des “SAD-Skandals” ebenso gegen Landeshauptmann Arno Kompatscher ermittelt wurde. Der Verdacht stand im Raum, dass mit der Annullierung der Ausschreibung 2018 LiBUS-Chef Markus Silbernagl in die Hände gespielt worden sei, zu dem Kompatscher ein Naheverhältnis hat. 

Telefongespräche mit Kompatscher kommen im Buch “Freunde im Edelweiß” keine vor. Das Verfahren gegen ihn wurde archiviert. Die Frage an die Buchautoren ist dennoch naheliegend: Welches Licht werfen die Abhörungen und Dokumente, die sie in der Hand halten, auf Kompatscher und sein Umfeld? Die Antwort fällt recht ausweichend aus: “Es ergibt sich vielmehr ein Gesamtbild und zwar jenes, dass die SVP zur Schlangengrube verkommen ist”, meint Oberhofer. Diese Feststellung gelte für die gesamte Volkspartei. “Es ist kein Buch für Kompatscher oder gegen Achammer.”

 

Südtiroler Watergate?

 

Was werden die bislang geheimen und nun erstmals veröffentlichten Audio-Dateien auslösen? “Hoffentlich eine Diskussion über die politische Kultur in Südtirol, einen Akt der politischen Hygiene”, sagt Oberhofer. Anwalt Zozin sieht Parallelen zur Watergate-Affäre, die 1974 zum Rücktritt von US-Präsident Richard Nixon geführt hat. Ob es nach der Veröffentlichung der “Freunde im Edelweiß” ein Köpferollen oder sonstige Konsequenzen in der SVP geben wird, wird sich zeigen. Die Autoren erwarten sich, dass Parteibasis und Bevölkerung “unangenehme Fragen” stellen und der Volkspartei “aussitzen als Strategie” nicht erlauben wird.

 

Arno Kompatscher hatte die parteiinterne Aufarbeitung der SAD-Geschichte zur Bedingung für eine dritte Kandidatur als Spitzenkandidat der SVP bei den Landtagswahlen 2023 zur Bedingung gemacht. Parteiobmann Achammer wollte die Sache so schnell wie möglich abschließen. Daraus dürfte nun nichts werden. Über 480 Buchseiten können nicht einfach vom Tisch gewischt werden. Daran ändern auch die Erklärungen und Entschuldigungen nichts, die Protagonisten des Buches – etwa Christoph Perathoner oder Philipp Achammer –, wissend um das nahende Veröffentlichungsdatum präventiv verschickt haben. “Diese Erklärungen besagen das Gegenteil von dem, was aus den Audio-Dateien hervorgeht”, sagt Franceschini.

Am 4. März 1992 explodierte im Bozner Kino “Capitol” eine Bombe. Zum Glück gab es nur Verletzte. Dreißig Jahre später haben zwei Journalisten im “Ex Capitol” erneut eine gezündet. Und die könnte eine ganze Partei hochgehen lassen.