Politica | SVP und Referendum

Direkte Demokratie: Tauziehen ohne Ende

Der Umgang der SVP mit der direkten Demokratie ist seit 20 Jahren ein Trauerspiel. Ein Sieg des JA beim anstehenden Referendum wäre nichts als sein tragischer Abschluss.
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Referendum
Foto: Unsplash

Das gebrochene Verhältnis der SVP zur direkten Demokratie hat schon 1994 begonnen, als ein Regionalgesetz zu den Volksabstimmungen von Rom zu Fall gebracht wurde und dann von der Region nicht mehr aufgegriffen worden ist. Im Verfassungsgesetz zur Autonomie der Regionen mit Sonderstatut von 2001 hat es auch die SVP zu verantworten, dass das Recht zur Regelung der Bürgerbeteiligung in Südtirol dem Landtag vorbehalten bleibt und die Bürger selbst keine Volksinitiative zu diesen Themen einbringen können. Dann kam das lange Ringen um ein Landesgesetz und die geharnischte Opposition gegen eine wirksame Referendumsregelung, vor allem bei der Volksabstimmung 2009. Nach der vehementen Obstruktion der Mehrheitspartei wurde das Quorum 2009 nicht erreicht. 2013 ein neues, misslungenes Reformgesetz der SVP, das mit einem bestätigenden Referendum 2014 wieder gekippt wurde. Erst 2016 konnte die Südtiroler Wählerschaft das Recht auf Volksabstimmung auf Landesebene beim Flugplatzreferendum erfolgreich erfolgreich nutzen, auch wenn das konkret dann nicht viel gebracht hat. Dann das neue Gesetz Nr. 22-2018, das von SVP und Lega 2021 verschlimmbessert worden ist. In 20 Jahren ist das im Statut verankerte somit kaum produktiv genutzt worden. Die Verantwortung dafür trägt vor allem die SVP, die sich mit echter direkter Mitbestimmung der Bürger:innen nie anfreunden konnte.

Was die SVP am geltenden Landesgesetz zur direkten Demokratie vor allem stört, ist die „Blockade eines Gesetzes“ bei der Ergreifung des Referendums durch die Bürger, wie LH Kompatscher gegenüber der DOLOMITEN (11.5.22) ausführt. Daneben beklagt er, dass „nicht einmal in der Schweiz 300 Bürger ein Gesetz 6 Monate blockieren können“. Beides ist irreführend. Es geht nicht um eine Blockade, sondern darum, auf Verlangen der Bürger zu verhindern, dass ein umstrittenes und höchstwahrscheinlich von der Bevölkerung nicht mitgetragenes Gesetz in Kraft tritt. Das bestätigende Referendum ist ein Konsenstest und eine Notbremse in der Hand der Bürgerschaft. Es ist das älteste und meistgenutzte Instrument der direkten Mitbestimmung in der Schweiz (80% aller Abstimmungen) mit der höchsten Erfolgsquote. In der Schweiz tritt jedes Gesetz erst nach 3 Monaten ab Verabschiedung in Kraft, um den Bürgern die Chance der Ergreifung des Referendums zu geben, wie die Initiative für mehr Demokratie klärt.

Wenn die SVP dieses grundlegende Kontrollrecht als „Blockade“ bezeichnet, hat sie Sinn und Zweck der direkten Demokratie nicht begriffen oder will sie nicht begreifen. „Blockade“ ist auch deshalb ein seltsames Argument, weil die Landtagsmehrheit selbst oft jahrelang an Gesetzentwürfen herumbastelt, bis alle Lobbyisten zustimmen, der Landtag dann Gesetze verabschiedet, die dann noch mehrfach nachgebessert werden müssen wie z.B. beim Gesetz für Raum und Landschaft geschehen. Ein vorgeschobenes Argument, als ginge es bei Landesgesetzen um einige Monate auf oder ab.

Dass „nur“ 300 Bürger ermächtigt werden, das Referendum zu ergreifen, stößt der SVP ebenfalls auf, die dieses Gesetz selbst im Juli 2018 mitgetragen hat. In der Schweiz kann jeder stimmberechtigte Bürger das fakultative Referendum ergreifen und muss binnen 100 Tagen 50.000 Unterschriften sammeln. In Südtirol liegt die Hürde höher, weil dieser Antrag von 300 Bürgern ausgehen muss, die dann 6 Monate Zeit für die Sammlung von 13.000 Unterschriften haben. In der Südtiroler Realität ist das höchst schwierig, weil die Unterschriften amtlich beglaubigt werden und immer noch keine online-Unterschrift zugelassen wird. Dabei gibt es in Südtirol schon eine funktionierende Form des bestätigenden Referendums, nämlich jene des LG vom 17.7.2002, Nr.10, die am 29.5.22 zum zweiten Mal zum Einsatz kommt. Diese Form erschien der SVP 2018 wohl zu bürgerfreundlich.

Seit über 20 Jahren gibt es in Südtirol zur direkten Demokratie ein permanentes Tauziehen. Nachdem 2018 endlich ein halbwegs akzeptabler Kompromiss mit breiter Mehrheit den Landtag passierte, hat die heutige Mehrheit ohne Not – das Gesetz ist nie genutzt geschweige denn missbraucht worden – wesentliche Punkte des geltenden Gesetzes verschlimmbessert. Eines wäre es, die Anwendbarkeit des bestätigenden Referendums zu erleichtern, etwas anderes ist es, das zentrale Kontrollrecht der Bürger:innen einfach komplett zu streichen. Das Gegenteil wäre angesagt: weil diese Rechte nicht genutzt werden, müsste man die Anwendbarkeit der direkten Bürgermitbestimmung weiter erleichtern. Wenn am 29.5. das JA gewinnt und die Mehrheit der Südtiroler Wählerschaft JA zur Selbstentmachtung sagt, würde dieses lange Trauerspiel der direkten Demokratie in Südtirol zum tragischen Abschluss kommen.