Pflichtfach Schule
Gibt es die perfekte Schule? Gibt es perfekte Schülerinnen und Schüler, Lehrer und Lehrerinnen? Eltern? Nein! Und dennoch gelingt dem vor wenigen Tagen in Rom mit dem David di Donatello ausgezeichneten Film Il cerchio von Sophie Chiarello eine ehrliche filmische Beobachtung und Befragung, wo es gar nicht um Perfektion geht, sondern darum, gewichtige Kinderstimmen einzufangen, von Schülerinnen und Schülern, die – je nach Charakter und Laune – durchaus unterhaltsam Überlegungen und Gedanken streuen, meist direkt, gegenüber Mitschülerinnen und Mitschülern, sowie Richtung Kamera.
Die Praxis des Kreises sollte in allen Schulen Pflicht sein. So wird das kritische Denken geformt, so entsteht ein geschützter Raum...
Sophie Chiarellos Il cerchio spielt in der Schule Daniele Manin in Rom, im Stadtteil Esquilino. Die Dokumentation beginnt im Jahr 2015, Eltern begleiten ihre Kinder zum ersten Schultag in der Grundschule. Für die kleinen Erstklässler beginnt ein "neues Leben". Zusätzlich zu den am Lehrplan vorgesehenen klassischen Frontalunterricht, gibt es „Sitzungen“ am Boden, in Kreisform. Die Kinder lassen sich dabei von der Regisseurin filmen, während sie über unterschiedliche Themen nachdenken und sich Fragen stellen. Für ihren Film begleitete die Regisseurin 5 Jahre lang eine Grundschulklasse in Rom – von der ersten zur fünften Klasse. Jeden zweiten Freitag besucht Chiarello die Kinder eine Stunde lang und filmte sie. Dabei wurden auch Fragen gestellt, die Philosophinnen und Philosophen und normale Erwachsene gar nicht so einfach beantworten würden, etwa: „Bist du glücklich?“ oder „Was heißt für dich Glück, wo im Körper spürst du dieses Gefühl?“
Il cerchio wurde vor wenigen Wochen auch beim Bolzano Film Festival Bozen ausgezeichnet und von der jüngsten Jury mit dem Preis Euregio Young Jury 2023 bedacht. Die Jury meinte in ihrer Begründung: „Die Protagonistinnen und Protagonisten haben uns eine Offenheit in ihrem Alltag gezeigt, von der wir selbst lernen können. Vor allem haben wir die einfache und direkte Herangehensweise des Films geschätzt, sowie die Art in der uns die Ideen und Sichtweisen der Kinder vermittelt wurden.“ Chiarellos Filmdokument wurde in das lokale Schulprogramm von Kino & Schule aufgenommen und an verschiedenen Bildungsstätten in Bozen, Innsbruck und Trient (in Anwesenheit der Regisseurin) präsentiert, wobei Kinder selbst die Vorführung moderierten. „In Filmen über die Kindheit habe ich, abgesehen von einigen Ausnahmen, immer eine distanzierte Perspektive zwischen Erwachsenen und Kindern wahrgenommen“, so Chiarello, „es schien so, als ob Kinder wie Tiere im Zoo betrachtet wurden. Ich hingegen wollte versuchen, mit ihren Augen zu sehen, ihre Sprache zu sprechen und ihre Transformation zu beobachten, während sie erwachsen werden und sich ihr kritisches Denken entwickelt. Dabei merkte ich, dass ich mich selbst auch veränderte.“ Chiarello fordert: „Die Praxis des Kreises sollte in allen Schulen Pflicht sein. So wird das kritische Denken geformt, so entsteht ein geschützter Raum, in dem nicht nur die klassische Didaktik Platz findet, sondern in dem Kinder auch lernen, in der heutigen Gesellschaft, die komplexer ist, als früher, selbstbewusst aufzutreten.“
Divers, bunt und voller individueller Eigenheiten – die kleinen Protagonist*innen widerspiegeln die Gesellschaft einer modernen Großstadt. Täglich geht es um Emotionsarbeit, Achtsamkeit, Stressmanagement, Enttäuschung, Scham, Wut oder Angst. Zu sehen ist Il cerchio bis einschließlich 24 Mai im Filmclub in Bozen.
Mit dem Spielfilm Das Lehrerzimmer ist aktuell ein weiterer preisgekrönter Film zum Schwerpunkt Schule im Filmclub zu sehen, denn das von Regisseur İlker Çatak inszenierte Drama erhielt vor wenigen Tagen beim Deutschen Filmpreis fünf Lolas, bei sieben Nominierungen.
Während Il cerchio mit einer gewissen Leichtigkeit daherkommt, hat das Lehrerzimmer eine gewisse Schwere. Wer also in den kommenden Tagen im Kino die Schulbank drücken möchte, es gibt dazu zwei gute „Okkasionen“.