Politica | Interview

„In Südtirol wird viel vertuscht“

Markus ist mit Neonazis immer wieder in Schlägereien verwickelt. Nun spricht er über untätige Schulen und zu wenig Zivilcourage: „Da schauen alle weg.“

Du möchtest in diesem Interview unerkannt bleiben, wir verändern Deinen Namen. Warum?
Warum, das ist ganz einfach. Ich war erst kürzlich mit einem Kollegen auf einem Festival in Naturns. Zwei Nazis sind gleich zu uns gekommen. Haben uns angemacht, „da kommen die Zecken“, haben sie gesagt. Die wissen, dass wir eine Musik hören, die ihnen nicht gefällt, Hardrock zum Beispiel. Ich trage halt lockere Kleidung. Und das provoziert sie anscheinend. Sie wissen auch, dass ich nicht still bin. Und zurückgebe, wenn sie ihre Sprüche klopfen.

Wie alt bist du?
19 Jahre, ich arbeite. Wo möchte ich nicht sagen. Aber auch da werden ständig Ausländersprüche geklopft.

Welche zum Beispiel?
Gestern hat ein Mann mit dunkler Hautfarbe bei mir mit dem Bankomat gezahlt. Hinter ihm stand ein Bauer. Der sagt zu mir danach: „Ja, die werden es sich schon leisten können. Die kriegen ja alles hinten reingeschoben.“ Trägt jemand ein Kopftuch, kommen schon die blöden Sprüche. Von Integration keine Spur.

Auf der einen Seite die echten Neonazis, die sich oftmals optisch und mit Deutschland-Sprüchen hervortun, auf der anderen Seite die Patrioten, denen die Heimat über alles geht?
Bei uns im Überetsch ist es besonders schlimm. Im Pub One in Untermais und im Exclusiv in Lana gehen die Rechtsextremen Nazis ein und aus, wie es ihnen passt.

Im Pub One in Untermais und im Exclusiv in Lana gehen die Rechtsextremen Nazis ein und aus, wie es ihnen passt.

Wie groß ist die Gruppe von rechtsextremen Nazis, wie Du sie bezeichnest?
Das ist schwer zu sagen, sie sind ja nicht immer alle zusammen. Es sind teilweise 15-Jährige dabei. Und es werden wieder mehr. Sie grüßen sich mit dem Hitler-Gruß, haben auf ihren Bomberjacken den Reichsadler hinten oben, der eigentlich verboten ist. 'Sieg Heil' steht auch oben. Eindeutiger geht es wohl nicht. Eigentlich sind diese Aufdrucke, diese Kleidungsstücke verboten.

Sie grüßen sich mit dem Hitler Gruß, haben auf ihren Bomberjacken den Reichsadler hinten oben, der eingentlich verboten ist. 'Sieg Heil' steht auch oben.

Und die Lokalbesitzer?
In den Lokalen kommt es regelmäßig zu Ausschreitungen zwischen Menschen mit dunkler Hautfarbe und den rechtsextremen Nazis. Doch die Schuld bekommen immer die Ausländer. Die werden dann von den Türstehern nicht mehr rein gelassen. Und es heißt gleich: 'Wo die sind, gibt es immer Schlägereien.'“

Doch die Schuld bekommen immer die Ausländer. Die werden dann von den Türstehern nicht mehr rein gelassen. Und es heißt gleich, „wo die sind, gibt es immer Schlägereien.“

Die Kampagne der Dolomiten "Stoppt die Gewalt" hatte ja auch vor allem ausländische BürgerInnen im Visier.
Genau. Da wird medial in eine Richtung gehetzt. Und ausgeklammert was wirklich abgeht.

Was geht denn ab?
Es wird halt ständig gestänkert und provoziert. Zum Beispiel im Pub One. Wenn da von der Band frei.wild das Lied „Südtirol"  gespielt wird, dann geht es richtig zur Sache. Bei der Textpassage „Deine Feinde sollen in der Hölle schmoren“ grölen Nazis und Patrioten mit. Und zeigen mit den Fingern auf die Ausländer. Dass die sich angegriffen fühlen, wen wundert das?

Die aktuell sehr erfolgreiche Band „Frei.Wild“ gilt als Band in den Fußstapfen der „Böhsen Onkelz“ und bearbeitet das Feld der „patriotischen Popkultur“. „Frei.Wild“ behauptet, unpolitisch zu sein – bedient in den Texten aber nationalistisch-völkische Klischeebilder oder singt über islamfeindliche Abschottungsphantasien. Die Band gefällt sich im „Wir-gegen-Euch“-Gestus der „Unangepassten“ gegen das (politische) System. Um ihren kommerziellen Erfolg trotzdem nicht zu gefährden, greifen sie zur in der Szene nicht unüblichen Taktik, sich lautstark gegen „Nazi-Sein“ zu verwehren, um zugleich rechtsaffine Inhalte ungestört verbreiten zu können.  Mehr lesen Sie auf  netz-gegen-nazi.de

Vom Lokalbesitzer wird das geduldet?
Ja. Der Lokalbesitzer ist in einer schwierigen finanziellen Situation. Er weiß, wenn er die verliert, verliert er viele Kunden, die gut konsumieren. Aber das ist ja auch in anderen Lokalen so. Keiner versucht was gegen diese Gruppe zu unternehmen.

Patrioten und Neonazis. Wie unterscheidest du da?
Es ist oft schon schwer zu unterscheiden. Aber da gibt es einmal die, die mit den Leibilan herumlaufen wo drauf steht „Dem Land Tirol die Treue.“ Für uns sind das die Patrioten, ja, Teppen einfach.  Die sind mit diesem Heimatstolz aufgewachsen, der ist ihnen in die Wiege gelegt worden. Toleranz ist für sie ein Fremdwort.

  • netz-gegen-nazi.de schreibt:

Rechtsextreme bedienen sich heutzutage Symbolen und Codes. Versteckspiel ist angesagt. Begrifflichkeiten werden aufgeweicht.

"Die organisierte extreme Rechte besteht aus vielen verschiedenen Gruppen und Strömungen, die sich in der ideologischen Ausrichtung unterscheiden – die teils miteinander kooperieren, teils konkurrieren oder sich gar direkt bekämpfen. Zur Beschreibung ihres Charakters werden oft die noch unschärferen Begriffe "rechtsradikal" oder "rechtspopulistisch" verwendet –präziser wäre es, die jeweils vorhanden Elemente extrem rechten Denkens zu benennen, also von "rassistischen", "antisemitischen" oder "autoritären" Gruppen zu sprechen."

Markus, Du bist anders aufgewachsen?
Ich war schon mit 12 Jahren mit Ausländern befreundet. Auch mit Einheimischen. Einfach gemischt. Für mich ist es so: Mensch ist Mensch.

Für uns sind das die Patrioten, ja, Teppen einfach.  Die sind mit diesem Heimatstolz aufgewachsen, der ist ihnen in die Wiege gelegt worden. Toleranz ist für sie ein Fremdwort.

Du bist nicht still. Sagst was Du denkst. Wie oft bist Du in Schlägereien verwickelt?
Sehr oft. Immer wieder. Bei bestimmten Konzerten wissen wir schon: Jetzt könnte es wieder hart zugehen. Vor kurzem war ich bei einem Event und bin danach mit dem Nightliner zurückgefahren. Meine Kollegen waren ganz hinten im Bus. Ich war vorne. Dann sind zwei Typen, Rechtsextreme, gekommen und haben eine Minute lang auf mich eingeschlagen. Ein Schlag nach dem anderen. Ich konnte nichts mehr tun.

Und die Gäste im Bus? Der Fahrer?
Bei Schlägereien geht niemand dazwischen. Das ist schon fast Akzeptanz. Der Fahrer ist weitergefahren und hat ganz normal bei der nächsten Haltestelle angehalten. Ich war ziemlich fertig, hab gar nix mehr mitbekommen. Um Hilfe schreien, wär gar nicht mehr gegangen. Ich bin dann auch nicht ins Krankenhaus, ich war ziemlich alkoholisiert.

Bei Schlägereien geht niemand dazwischen. Das ist schon fast Akzeptanz.

Alkohol ist auch im Spiel?
Natürlich. Viel Alkohol. Und natürlich - es könnte schon schlimmer ausgehen. Bei solchen Schlägereien geht es schon zur Sache.

Und warum wurdest Du zusammengeschlagen?
Ich hatte keine Tiroler Lederhose an.

Du hast die Berufsschule besucht. Versäumen Schulen hier aufzuklären?
Auf jeden Fall. Da wird gar nichts gemacht. Die Lehrer ziehen ihren Stoff durch. Und fertig. Rasierte Köpfer und Bomberjacken, das gehört doch dazu, zu den Berufsschulen. Ist das normal?
Zur Zeit ist es in der Mittelschule Lana und der Berufsschule wieder sehr schlimm. Hackenkreuze werden aufgesprayt. Ich will einfach nicht mehr still sein. Wir unter uns, wir reden viel darüber. Aber das muss einfach mal an die Öffentlichkeit. Da muss was gemacht werden.

Zur Zeit ist es in der Mittelschule Lana und der Berufsschule wieder sehr schlimm. Hackenkreuze werden aufgesprayt. Ich will einfach nicht mehr still sein.

Und was?
Es braucht mehr Zivilcourage einmal. Und es braucht auch mehr Events, mehr Konzerte, wo solche extremen Gruppierungen einfach nicht mehr rein kommen. Wo klar wird: Wir wollen einfach gemeinsam feiern. Wir wollen keine Menschen ausschließen.

Mehr Polizeieinsätze - würde das helfen?
Ich weiß nicht ob die Polizei da was bewirken kann. Wenn es verboten ist, wird es noch interessanter. Auf jeden Fall müssten auch Lokalbesitzer und Verantstalter verantwortlicher sein. Wen sie reinlassen und wen nicht. Wenn nach einer Schlägerei jemand rausgeworfen wird, dann denkt sich der Clubbesitzer: „Die sind draußen und alles weitere interessiert mich nicht.“ Da wird nichts mehr gemacht.

Es wird zu wenig gesprochen? Über Rechtsextremismus?
Auf jeden Fall. Das kommt ja alles nicht an die Öffentlichkeit. Damit nicht die Ausgehszene in Südtirol in Verruf kommt. Südtirol ist ein feines Land, aber es wird viel vertuscht. Es läuft vieles falsch. Und was wirklich abgeht, das kommt überhaupt nicht zu tage.