Wettlesen in Laas
Toni Bernhart, heute werden die 5 Finalistinnen um den Franz-Tumler-Preis in Laas wettlesen – wer sind die diesjährigen Nominierten?
Es sind allesamt Frauen, unterschiedlich jung, die sehr heterogene Thematiken und Stilansätze vorlegen in ihren Werken. Da ist Kristine Bilkau mit ihrem Roman „Die Glücklichen“, den ich als Generationenroman des Prekariats sehen würde, aber viel mehr noch als einen Angstroman bezeichne; Sandra Gugic liest aus ihrem Werk „Die Astronauten“, ein feinstens ziselierter Roman, den ich sehr mutig finde, weil er viel über Stimmungen arbeitet und eine sehr ungewöhnliche Stilistik bis hinein in die Syntax aufweist; Petra Hofmann erzählt in ihrem Roman „Nie mehr Frühling“ von einer Frau, die auf den Mann wartet der einfach nicht aus dem Krieg heimkommt und „Die Sprachlosigkeit der Fische“ von Margit Mössmer ist ein wahrhafter Witzroman mit einer Aneinanderreihung von hochfantastischen Geschichten der Protagonistin Gerda, die als Bürgermeisterin von Catania eine Lavabrücke nach Afrika bauen will, indem sie den Ätna umlenkt, doch es kommt ihr ein anderer kleiner Vulkan dazwischen und so ruft sie ihren Referenten zu Hilfe mit den Worten „Fahren Sie den Fiat vor“. Zum Schluss liest heute Gesa Okusz aus ihren „Legenden“, einer Art Kriegsroman aus der Sicht der Urenkelin. In diesem Jahr haben wir eine wirklich sehr unterschiedliche Mischung aus Stilen, Formen und Inhalten und ich bin sehr gespannt.
Die 1974 in Hamburg geborene Schriftstellerin und Journalistin Kristine Bilkau ist die Preisträgerin des Franz-Tumler-Preises 2015. Petra Hofmann wurde mit dem Publikumspreis bedacht.
Der Franz-Tumler-Preis prämiert das Debüt, das Erstlingswerk in der Kategorie Roman – aus wievielen musste die Jury denn auswählen?
Es stimmt, die Jury hat bereits im Vorfeld 5 Autoren und Autorinnen ausgewählt - ähnlich wie beim Bachmann-Preis - die dann hierher nach Laas eingeladen werden; es sind im deutschsprachigen Raum vermutlich um die zwei- bis dreihundert Erstlingsromane, die pro Jahr erscheinen. Ein paar Dutzend davon hat vermutlich jeder Juror im Zuge der Auswahl in der Hand. Insofern können wir hier in Laas nun wirklich intensiv über fünf ausgewählte Romane debattieren, diskutieren, die Werke beurteilen und schließlich eines davon als besten Roman prämieren.
Wieviel Franz Tumler ist in diesem Literaturpreis enthalten?
Zum einen sicherlich das Genre, die epische Literatur, die Prosa, die auch Tumlers Genre war, und zum anderen vor allem der Austragungsort, Laas. Das war der Geburtsort des Vaters und somit ständiger Lebenskonfrontationsplatz für Franz Tumler. Er hat sich hier seit jungen Jahren bis zu seinem Tod immer wieder aufgehalten, er hat hier seine allerersten Texte verfasst, „Geschichte aus Südtirol“, das in den 1930er Jahren erschienen ist, ein psychologisch spannender Text im nationalistisch-faschistischen Kontext geschrieben, oder später, ganz wichtig, „Das Land Südtirol“.
Das Eigenartige ist, dass Tumlers Vatersuche in Laas wirklich bis zu seinem Tod angehalten hat, er war regelmäßig hier, ist mit den Verwandten auf den Berg und in den Marmorbruch gegangen, auch in den Stall und aufs Feld, die Laaser haben den Tumler gut gekannt.
Franz Tumler hat stark die Nähe der Nationalsozialisten gesucht und sie auch gefunden, er war in der NSDAP und hat das nie geleugnet – wie ist der Blick auf einen solchen Schriftsteller, dem noch dazu ein Preis gewidmet ist?
Es gibt dazu zwei verschiedene Perspektiven, aus österreichisch-südtiroler Sicht wird Franz Tumler überbewertet und aus deutscher Perspektive hingegen ist eine Unterbewertung vorhanden; das hat sicherlich mit seiner Verstrickung in den Nationalsozialismus zu tun, mit der sich die Literaturwissenschaft seit etwa zwanzig Jahren auseinandersetzt; so gab es vor einem Jahr gerade zur Person und zum Werk ein Symposion mit Literaten, Historikern und Germanisten hier in Laas, aber auch viele weitere Forschungsarbeiten.
Man kann politisches Engagement und künstlerisches Werk wohl auseinanderdividieren, darf es aber gleichzeitig nicht, es ist eine seltsame Krux damit; Ernst Jünger war als Soldat die perfekte Tötungsmaschine und sein Werk zählt trotzdem zur Weltliteratur, ebenso war Richard Wagner trotz seiner antisemitischen Haltung vielleicht der erfolgreichste Komponist aller Zeiten. Tumler selbst hat sehr unter dem Ende des Nationalsozialismus gelitten, das wird sehr deutlich spürbar in seinen Texten bis etwa 1950. Danach hat er sich mit Neuem beschäftigt und sich und sein Schreiben quasi neu erfunden; über seine Vergangenheit sprach er äußerst selten, eigentlich nie.
Wie ist Franz Tumlers Schreiben heute einzuordnen?
Da gibt es den frühen spätromantischen Tumler und jenen der klassischen Moderne; der zweite ist obenauf auf der Welle der zeitgenössischen Literatur und damit anschlussfähig an die Literatur der 1950er und 1960er Jahre.
Der Roman ist die Köngisdisziplin der literarischen Gattungen, wer von den vergangenen Preisträgern ist damit erfolgreich geblieben?
Es stimmt, wenn man sich als Schriftsteller beweisen will, dann sollte man einen Roman geschrieben haben. Außerdem ist dies wohl jene literarische Gattung, mit der sich am ehesten Geld verdienen lässt. Insofern sind die Tumler-Preisträger der letzten Jahre durchaus gut dabei; sie alle sind relevant in der deutschen Gegenwartsliteratur; so ist Björn Bicker, der Preisträgervom letzten Jahr als Theaterautor längst etabliert, auch Astrid Rosenfeld hat ihren zweiten Roman vorgelegt, ebenso Joachim Meyerhoff, der Preisträger von 2011.
Worauf achten Sie bei Ihren Bewertungen, wie juriert der Juror?
Ich glaube, wesentlich ist die eigene Leseerfahrung und die kulturelle Sozialisation; daraus ergibt sich so etwas wie eine Relevanz, die für die Nominierungen ausschlaggebend ist. Maßgeblich ist auch der subjektive Geschmack, das geht gar nicht anders, aber wir sind ja zu fünft, und aus unseren verschiedenen Erfahrungshintergründen bewegen wir uns in Richtung gemeinsames Urteil.
Die 5 Finalistinnen lesen am 18. September von 9.30 bis 17 Uhr in Laas. Am Abend wird die Jury, Toni Bernhart (Berlin/Prad, Autor, Literaturwissenschaftler), Manfred Papst (Zürich, Programmleiter, Literaturkritiker), Gerhard Ruiss (Wien, Autor, Literaturvermittler), Daniela Strigl (Wien, Germanistin, Literaturkritikerin), Gregor Sander (Berlin, Autor) die Gewinnerin bekanntgeben. Der Franz-Tumler-Preis ist mit 8000 Euro ausgestattet sowie mit einem Schreibaufenthalt auf den Rimpfhöfen in Laas.