Absturz des Marsmenschen
Roms schon lange umstrittener Bürgermeister Ignazio Marino (PD) ist vor Kurzem zurückgetreten. Das Heer seiner Feinde reichte von seiner eigenen Partei und der linken SEL bis zu Grillos 5-Sterne-Bewegung und dem rechten Lager um Berlusconis Forza Italia und der rechtsextremen Lega Nord. Erst recht war er denjenigen verhasst, welche die Hauptstadt schon lange im mafiösen Würgegriff halten: korrupte Politiker und Beamte (auch der PD) im Verbund mit organisierter Kriminalität und zwielichtigen „Geschäftsleuten“. Die Hauptakteure des Netzes sitzen inzwischen im Gefängnis. Auch Dank des von Marino gelieferten Beweismaterials, das den Handel mit lukrativen Aufträgen und die massenhafte Veruntreuung öffentlicher Gelder belegt, die eigentlich für soziale Zwecke (Flüchtlinge, Resozialisierung von Gefangenen) bestimmt waren.
Der etwas andere Bürgermeister.
Der Chirurg Marino war ein Quereinsteiger, ohne politische und administrative Erfahrung, aber mit einem Hang zu Alleingängen und einer guten Portion dickköpfiger Selbstüberschätzung. Er bewegte sich außerhalb der (teilweise kriminellen) PD-Seilschaften, gewann aber auch nicht das Vertrauen der Zivilgesellschaft und der Mehrheit der Bürger. Sein Spitzname „Marsmensch“ spielt ebenso auf seine mangelnde Kommunikationsfähigkeit wie auf seine fast naive Realitätsferne an. Schwächen, die für die Führung des römischen Molochs fatal sind.
Marinos dubiose „Arbeitsessen“
Jetzt ist er über eine erbärmliche Kleinkorruptionsaffäre gestolpert – ausgerechnet er, der aus Integrität und Legalität die Hauptmerkmale seiner Amtsführung machen wollte. Die Ermittlungen laufen zwar noch, aber der Verdacht ist da. Ein Verbleiben im Amt war unmöglich.
Die Fakten: Nachdem sich Marino gerühmt hatte, mit den Repräsentationskosten für das Amt des Bürgermeisters besonders sparsam umzugehen, verlangten die römischen „Grillini“ eine detaillierte Aufstellung für die vergangenen Jahre. Die Summe, die dabei herauskam, war nicht aufregend: bis zu 50.000 Euro im Jahr. Dumm nur, dass sich bei der Überprüfung mehrerer Restaurantrechnungen erhebliche Zweifeln ergaben, ob es sich dabei wirklich um repräsentative Anlässe handelte. Denn viele derjenigen, mit denen Marino angeblich gespeist haben wollte, negierten das entschieden. Ob es nun der vietnamesische Botschafter, Vertreter von Wohlfahrtsorganisationen und internationaler NGOs oder Journalisten waren: alle erklärten, nie in ihrem Leben mit dem römischen Bürgermeister gespeist zu haben. Stattdessen gaben Restaurantbesitzer an, Marino sei an den besagten Abenden nur mit seiner Gattin oder Familienangehörigen in ihrem Lokal gewesen.
Auf 20.000 Euro belaufen sich die zweifelhaften Ausgaben. Angesichts der Millionen, die allein im Zusammenhang mit „Mafia Capitale“ veruntreut wurden, ein lächerlicher Betrag, könnte man meinen. Doch die Höhe des Betrags spielt keine Rolle. Sollte der Bürgermeister öffentliche Gelder für seine Privatzwecke ausgegeben haben, hat er sein Amt verspielt. Punkt. Wenn er für ein Abendessen mit seiner Frau auf Staatskosten sein Amt riskiert, ist dies erbärmlich. Wenn er dann noch so dämlich ist, die Anwesenheit des vietnamesischen Botschafters oder irgendwelcher anderer Vertreter zu behaupten – um postwendend von diesen dementiert zu werden –, dann ist ihm nicht mehr zu helfen.
Amtsführung mit Licht und (viel) Schatten
Die nachträglichen Erklärungs- und Rechtfertigungsversuche von Marino und seinem Stab sind alles andere als überzeugend. Angeblich hatten sich alte Rechnungen (die fraglichen Belege sind aus 2013) angesammelt, eine Zuordnung wurde „später“ (vielleicht erst nach den unbequemen grillinischen Anfragen?) so vorgenommen, dass man die Abendessen mit den institutionellen Terminen auf der Agenda des Bürgermeisters „zusammenbrachte“. Hatte also Marino z. B. den vietnamesischen Botschafter oder Leute von der Comunità Sant’ Egidio am Nachmittag getroffen, so wurden die abendlichen Restaurantrechnungen als „Arbeitsessen“ mit ihnen verbucht. Eine sehr kreative Art der Buchführung.
Ein Desaster, das den Rücktritt unvermeidlich machte. Dabei hatte Marino in der Hauptstadt durchaus einiges bewegt und positiv verändert. Zum Beispiel die Schließung der maroden Mülldeponie Malagrotta und die Ausweitung der Mülltrennung, die Säuberung des historischen Zentrums von illegalen Ramschbuden, einige Straßensanierungen, transparentere Verfahren bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, die Beseitigung von Privilegien mächtiger Berufslobbys, wie z. B. Taxifahrern und Verkehrspolizisten.
Schwach jedoch war Marino bei der Bekämpfung der Korruption – auch innerhalb der eigenen Verwaltung – und der Verbesserung der Lebensbedingungen in sozial benachteiligten Bezirken, wo sich Armut, Gewalt und Kleinkriminalität mit fehlenden bzw. völlig ineffizienten Infrastrukturen und Dienstleistungen verbinden. Dem „Marsmenschen“ waren Renommierprojekte wichtiger als die alltäglichen Nöte seiner Mitbürger.
Trübe Aussichten für Rom
Nun triumphieren vor allem seine Gegner im rechten Lager. Und damit diejenigen, die aus der Amtszeit des früheren Bürgermeisters Alemanno die Hauptverantwortung für die Korruption und die mafiösen Geschäfte in Rom tragen. Sie bringen bereits Kandidaten für die Neuwahl des Bürgermeisters in Stellung. Auch die PD ist froh, den unbequemen Außenseiter endlich los zu sein, hat aber ihre Schwierigkeiten mit der „Post-Marino-Ära“. Erst erklärte Renzi, für die Kür von Marinos Nachfolger solle es keine Vorwahlen geben, die hätten sich – wie im Fall Marino – nicht bewährt. Dann kündigte er doch „Primarie“ an. Überzeugende Kandidaten sind allerdings nicht in Sicht, was mit dem desolaten Zustand der PD (nicht nur in Rom) zu tun hat. Chancen rechnen sich hingegen die „Grillini“ als die einzige „saubere“ politische Kraft aus.
Bis zu Neuwahlen wird es noch dauern. Für die Interims-Phase, in der wichtige Ereignisse wie das von Papst Franziskus ausgerufenen Jubiläumsjahr fallen, das Anfang Dezember beginnt, muss Präfekt Gabrielli einen Kommissar ernennen. Eigentlich wäre er selbst dafür der Wunschkandidat der Regierung, zumal er bereits in ihrem Auftrag als Sonderbeauftragter für das Jubiläum fungiert. Da er sich aber schlecht selbst ernennen kann, läuft die Suche noch.
Unabhängig davon, wie man zu Marinos Amtsführung steht: Sein Absturz ist für Rom und Italien kein Grund zur Freude. Damit ist der Versuch gescheitert, mit einem von Parteiseilschaften unabhängigen Bürgermeister in der Hauptstadt einen Neuanfang zu machen. Die Verantwortung dafür trägt er auch selbst.