Cultura | Auszeichnung

Spielfeld oder Schlachtfeld?

Die Autorin und Dramatikerin Miriam Unterthiner hat schon wieder einen wichtigen Preis gewonnen. Diesmal für "Mundtot". Es geht um Sport, Bälle und (keine) Einzelfälle.
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Foto: Schauspielhaus Wien
  • „Der Moment der Preisvergabe war für mich sehr, sehr schön“, gibt sich Miriam Unterthiner zufrieden. Am Wochenende wurde ihr der Hans-Gratzer-Preis 2025 für ihren Text Mundtot zugesprochen. Sie freue sich nun „den Text weiterschreiben zu können“ und dass er den Weg „tatsächlich auf die Bühne finden wird.“ 
    Mit dem Hans-Gratzer-Preis – benannt nach dem österreichischen Schauspieler, Hörspielsprecher, Regisseur und langjährigen künstlerischen Leiter des Schauspielhauses Wien – werden junge Dramatiker und Dramatikerinnen ausgezeichnet, die sich dem innovativen und zeitgenössischen Theaterstück verschrieben haben. 

     

    unser erstes Wort ist Ball
    wir saugen am Ball anstelle der Muttermilch
    wir spielen nicht, unser Spiel ist ernst
    wir haben keinen boyfriend, wir haben Perspektiven
    wir nehmen keine Drogen, wir schlucken Schmerztabletten
    wir gehen nicht feiern, wir lassen uns feiern
    wir sind das Spiel, dieser eine Moment
    für den wir brennen
    verbrennen

    [aus: Mundtot]

    „In den letzten vier Monaten habe ich mit Carlotta Huys, Màteja Kardelis, Arad Dabiri und Leo Skverer im Rahmen von Textbesprechungen gearbeitet. Das war eine intensive Zeit und ein wertvoller Austausch für mich“, erzählt Miriam Unterthiner. Erst vor rund einem Monat wurde bekannt, dass ihr der Kleist–Förderpreis 2025 für den Text Blutbrot zugesprochen wird. Das Stück dreht sich um die Fluchtwege der Nazis über den Brennerpass. Außerdem geht Unterthiner darin der Schuldfrage nach. 
    Und was behandelt nun Mundtot? „Mundtot beschäftigt sich mit weiblichem Leistungssport und die Blicke auf die Sportlerinnen: der sexualisierte Blick der Öffentlichkeit, der übergriffige TrainEr, die 'Wir sind das Team'-Fankörper sowie der vom gegenseitigen Konkurrenzdruck geleitete eigene Blick. Auf und neben dem Spielfeld diszipliniert, drängen ihre Körper darauf, aus der Uniformität auszubrechen.“

  • Miriam Unterthiner: Ihre Jugend verbrachte sie auf den Handballfeldern Italiens. Nun ist sie häufig bei Ehrungen für ihr Schreiben anzutreffen. Foto: Schauspielhaus Wien

    Gleichzeitig sei ihr Text auch Versuch, so Unterthiner, „eine Sprache wiederzugewinnen, die einem genommen wurde, ein Aufruf, Missstände nicht nur allein, sondern kollektiv zur Sprache zu bringen. Der Text möchte mundtot gemachte Sportlerinnen Raum geben und sie zur Sprache kommen lassen. Aktuell ist es ein Textentwurf, der Text kann sich daher noch deutlich verändern.“ 
    Mundtot wird in der nächsten Spielzeit (2025/2026) am Schauspielhaus Wien uraufgeführt werden. Mit dem Preis einher geht ein Stückauftrag in der Höhe von 8000 Euro. 
     

    Mein Hirn war nach der szenischen Lesung im Arbeitsmodus, ich habe mir auch währenddessen Notizen gemacht. 


    „Die Opfer der Gewalt, die in dem Text angesprochen wird, mögen "mundtot" sein: Die Autorin ist es nicht“, heißt es in der Jury-Entscheidung. Und weiter: „Miriam Unterthiners Sprache geht sofort in die Körper und macht die Bühne zu einem Spielfeld – oder Schlachtfeld. Der Drill, dem die jugendlichen Handballerinnen ausgesetzt sind, überträgt sich auch auf das Publikum. Es formiert sich ein kollektives Ich aus mehreren Stimmen, eine Frau-schaft, die sich solidarisch gegen den TrainER wendet. Hier ist eine Autorin am Werk, die auf die Bühne drängt, das Theater kennt und mit seinen Mitteln versiert spielen kann.“
     

    Das hier ist ein Spiel, im übertragenen Sinne
    ja, übertragen wird es auch, unser Spiel
    schaut nur, wie brav wir spielen
    so liebe, tüchtige Kinder
    wir spielen nur, es ist nichts Ernstes
    ernst ist das Gewinnen

    [aus: Mundtot]

    Als ihr Text am Samstag erstmal von Schauspielerinnen szenisch gelesen wurde, habe er sich „durch die Präsenz der Körper“, so die Preisträgerin, eine starke Veränderung erfahren. „Sprechen und Gesprochenes hören, durch die Ohren in den eigenen Körper eindringen lassen, ist ein zutiefst körperliches Erlebnis, das war für mich am Samstag als Erfahrung sehr präsent“, erinnert sie sich an den Festabend. 
    Miriam Unterthiner ist außerdem für den Retzhofer Dramapreis für junges Publikum nominiert. SALTO drückt schon jetzt die Daumen.
     

    Ich bin kein O
    kein
    Oh
    kein
    Oho
    kein
    Oooh
    kein
    Oje

    [aus: Mundtot]