Politica | Konflikt

Schlachtfeld Sanität

Nach dem Ausschluss von Thomas Müller folgt nicht nur ein Rechtsstreit. Die Ärztekammer geht zur Attacke über und wehrt sich gegen “unqualifizierte Anfeindungen”.
Medico
Foto: upi

Die Konflikte in der Südtiroler Sanität spitzen sich zu. Nach dem Rekurs der italienischen Ärztegewerkschaft ANAAO gegen die Anstellung zweier Jungärzte nach dem jüngst wieder aufgenommenen österreichischen Facharztausbildungsmodell – die Gewerkschaft zieht vor das Arbeitsgericht und stellt zugleich die Verfassungskonformität des entsprechenden Landesgesestzes infrage –, fährt jetzt auch die Ärztekammer einen offenen Konfrontationskurs.

 

Front gegen Ärztekammer

 

Anfang der Woche wurde bekannt, dass die Südtiroler Ärztekammer den österreichischen Primar am Bozner Krankenhaus, Thomas Müller, aus dem Berufsverzeichnis gestrichen hat. Wegen fehlender Italienschkenntnisse.
Für Landeshauptmann Arno Kompatscher ist klar: “In Südtirol ist die deutsche Sprache der italienischen Sprache per Verfassungsgesetz gleichgestellt, im Sinne aller Wirkungen.” Es genüge also, dass Ärzte, aber auch Krankenpfleger bei der Eintragung in das jeweilige Berufsverzeichnis eine der beiden Landessprachen beherrschten. In Südtirol “gelten die Regeln des Autonomiestatuts”, betont auch Gesundheitslandesrat Thomas Widmann. “Deutsch ist in Südtirol Amtssprache und dem Italienischen gleichgestellt. Das muss die Kammer endlich zur Kenntnis nehmen.”

Scharf schießt die Südtiroler Freiheit, spricht nach Müllers Ausschluss aus der Ärztekammer von einem “Angriff auf die Autonomie”. Eine “grobe Missachtung des Autonomiestatuts, die mit allen rechtlichen Mitteln bekämpft werden muss” ist das Vorgehen der Ärztekammer für den Freiheitlichen Parteiobmann Andreas Leiter Reber.

In der Tat wird Thomas Müller laut übereinstimmenden Medienberichten am Montag Rekurs gegen den Beschluss der Ärztekammer einreichen. Vertreten wird er von einem Parteikollegen Leiter Rebers, dem Bozner Rechtsanwalt Otto Mahlknecht. Auch Land und Sanitätsbetrieb wollen Müller unterstützen und können dabei auf den renommierten Verwaltungsrechtler aus Bologna, Giuseppe Caia, zählen.

Geht es nach den Freiheitlichen, soll auch der Landtag tätig werden. “Wir haben uns diesbezüglich bereits mit SVP-Obmann Achammer ausgetauscht, denn eine Anfechtung vor dem Verwaltungsgericht ist gemäß Art. 92 des Autonomiestatuts dann möglich, wenn mehr als die Hälfte der deutschen Landtagsabgeordneten dem zustimmen”, berichtet Leiter Reber.

 

“Halten uns an Staatsgesetze”

 

Die massive Kritik an ihrem Vorgehen lässt die Südtiroler Ärztekammer nicht auf sich sitzen. In einem einseitigen Schreiben verwehrt sich Präsidentin Monica Oberrauch im Namen des Vorstandes gegen “die unqualifizierten Anfeindungen, die völlig unverständlicherweise sogar von Seiten unserer Landesvertreter gegen die Ärztekammer vorgetragen wurden”.

Die Ärztekammer sei eine Körperschaft öffentlichen Rechts, die als subsidiäres Organ des Staates die Ausübung des Arztberufes regelt und sei als solche “verpflichtet, die geltenden Gesetze einzuhalten”, schreibt Oberrauch. Sie verweist auf die staatliche Gesetzgebung, die eine Erhebung der Kenntnis der italienischen Sprache als Voraussetzung zur Eintragung in die Ärztekammer vorsieht. “Dieser Umstand ist in den Bestimmungen der Südtiroler Autonomie bisher nicht beachtet bzw. geregelt worden”, zeigt Oberrauch auf. Und weil eine Anzeige vorlag, habe die Ärztekammer Thomas Müllers Sprachkenntnisse überprüfen “und folglich die mittlerweile hinlänglich bekannte Entscheidung treffen” müssen.

“Die Ärztekammer ist nicht befähigt, Gesetze zu ändern oder auf Südtiroler Verhältnisse gemünzt auszulegen. Dies ist die Aufgabe der Südtiroler Landesregierung und darauf haben wir auch früh genug hingewiesen, allerdings ohne eine Antwort zu erhalten, schreibt Oberrauch weiter. Tatsächlich hat die Landesregierung erst vor einem Monat beschlossen, die Einsprachigkeit bei Eintragungen in die Berufskammern per Gesetz einzuführen – nach Bekanntwerden des Falls Thomas Müller.
Die Ärztekammer-Präsidentin geht zur Gegenattacke über: “Der Großteil der in den Medien verbreiteten Äußerungen wie ‘Angriff auf die Autonomie’ entbehrt jeder Grundlage und zeugt von mangelnder Kenntnis der Sachlage. Deshalb verurteilen wir entsprechende Statements aus den diversen politischen Lagern bzw. auch von Seiten von z.T. selbsternannten Europaexperten aufs Schärfste.”

 

Man könne die aktuellen Herausforderungen in der Südtiroler Sanität “entweder als große Chance” sehen “oder man kann das Ganze leicht in eine Konfrontation mit Rom umwandeln – dann aber landet man in einer Sackgasse”, meinte der Autonomie- und Verfassunsgsrechtler Francesco Palermo am Donnerstag im salto.bz-Interview. Südtirol scheint auf dem besten Weg dorthin zu sein. Denn laute Töne, Polemiken und vor allem Rechtsunsicherheit sind kein wirksames Rezept gegen den Ärztemangel.

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Salto User
Manfred Gasser Ven, 07/19/2019 - 10:51

Meiner Meinung nach sollte man hingeben total auf Konfrontations-Kurs gehen.
Denn was der Staat kann, kann das Land doch auch!
Alle Ärzte auf die deutsche Sprache testen, und bei ungenügender Kenntnis dieser "si torna a casa"!!
Und wenn dann die Wartezeiten noch länger werden, die Erste-Hílfe schliessen muss, die Operationen verschoben werden, dann, ja dann kann man ja noch ne Runde streiten.
Aber spätestens wenn die ersten Toten zu beklagen sind, wird man schon eine Lösung finden.

Ven, 07/19/2019 - 10:51 Collegamento permanente
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Karl Egger Ven, 07/19/2019 - 11:39

Machen wir uns nichts vor... Solange Südtirol Teil von Italien ist, solange wird seine Autonomie von Rom weiter beschnitten werden, egal wer gerade in Rom sitzt! Die Vergangenheit hat es bewiesen: Links wie Rechts stört man sich an Südtirols Sonderstatus! Dies wird solange weitergehen bis wir eine normale ITALIENISCHE Provinz sind, bzw. wir sind eh schon auf dem besten Weg dorthin... Es sei denn die Südtiroler wachen irgendwann auf, aber daran habe ich erhebliche Zweifel!

Ven, 07/19/2019 - 11:39 Collegamento permanente
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King Arthur Ven, 07/19/2019 - 22:26

Ohne hier Frau Dr. Oberrauch und der Ärztekammer vorwerfen zu wollen, rechtlich falsch gehandelt zu haben, kann ich mir zumindest ein paar Anmerkungen nicht verkneifen.
1. Anderen mangelnde Kenntnis der Sachlage vorzuwerfen, aber zugleich "Landesregierung, Landesrat [und] Landtag" als gesetzgebende Organe Südtirols zu bezeichnen und die Änderung von Gesetzen als Aufgabe der Südtiroler Landesregierung zu verorten, ist fast schon amüsant.
2. Ebenso amüsant ist es, Prof. Obwexer (auf den sich der betreffende Satzteil offensichtlich bezieht, nachdem dieser mehrmals in der Dolomiten über seine Sicht der Dinge befragt wurde) als "selbsternannten Europa[RECHTS]experten" zu betiteln. Das ist, als würde der Präsident der Anwaltskammer einen europaweit führenden Universitätsprofessor für Kardiologie als "selbsternannten Herzexperten" bezeichnen.
3. Sich dann ausgerechnet auf die Tatsache zu stützen, dass auch in anderen Staaten bzw. Ländern (übrigens: schon mal von Minderheitenschutz und dem Sonderstatus Südtirols gehört?) die Kenntnis einer AMTSSPRACHE verlangt wird, wo doch Deutsch in Südtirol ebenfalls eine AMTSSPRACHE ist (mir ist bewusst, dass das Staatsgesetz nur angemessene Italienisch-Kenntnisse verlangt, aber warum stützt man sich dann argumentativ ausgerechnet darauf, dass auch andere Staaten die Kenntnis einer Amtssprache verlangen?!), zeigt ebenfalls von mangelndem Rechtsverständnis (was Frau Dr. Oberrauch als Ärztin auch nicht zu verübeln ist - nur blöd, dass sie im vorliegenden Fall gezwungenermaßen im Rechtsbereich tätig werden muss).
4. Der Einwurf zur Geltung bzw. Nichtgeltung von "Europäischen 'Freiheiten'" in Bayern, Österreich und der Schweiz (übrigens gar kein EU-Mitgliedstaat - die Grundfreiheiten gelten aufgrund von bilateralen Verträgen mit der EU aber auch dort), der sich offenbar ebenfalls auf die Aussagen von Prof. Obwexer in den Dolomiten bezieht, zeigt schließlich, dass Frau Dr. Oberrauch das von Obwexer aufgeworfene Problem (sehr vereinfacht: wir haben ein Gebiet mit zwei Amtssprachen, A und B - Unionsbürger X spricht nur Amtssprache A und soll in diesem Gebiet arbeiten dürfen, Unionsbürger Y spricht dagegen nur Amtssprache B, soll aber in demselben Gebiet nicht arbeiten dürfen --> diskriminierende Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit bzw. der Niederlassungsfreiheit von Y = Grundfreiheiten des Binnenmarktes) gar nicht verstanden hat.
5. Unabhängig davon ist eine "Gesetzesänderung z.B. nach Schweizer Modell IM RAHMEN DER AUTONOMIE", also durch ein autonomes Landesgesetz, natürlich nicht - wie aber Frau Dr. Oberrauch meint - "denkbar" (Kompetenzproblem!), sondern wenn dann muss das betreffende STAATSgesetz ergänzt oder eben eine Durchführungsbestimmung zum Autonomiestatut (und nicht, wie fälschlicherweise von Herrn Franceschini im oben verlinkten Beitrag gemeint, eine Durchführungsverordnung des Landes, die dann "der Ministerrat [...] anfechten wird" - geplant ist vielmehr der Erlass einer Durchführungsbestimmung zum Statut, die der Ministerrat ja sogar genehmigen müsste) erlassen werden.

Ven, 07/19/2019 - 22:26 Collegamento permanente
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Manfred Klotz Sab, 07/20/2019 - 07:50

Die Aussage es genüge "dass Ärzte, aber auch Krankenpfleger bei der Eintragung in das jeweilige Berufsverzeichnis eine der beiden Landessprachen beherrschten", sollte sie der LH so getätigt haben, ist ein Schuss, der ordentlich nach hinten losgehen wird. Sie ist nämlich eng an die Frage der Zweisprachigkeitspflicht im öffentlichen Dienst gekoppelt.

Sab, 07/20/2019 - 07:50 Collegamento permanente
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King Arthur Sab, 07/20/2019 - 08:47

In risposta a di Manfred Klotz

Wieso? Das eine hat mit dem anderen ja nichts zu tun. Schon jetzt setzt die Eintragung in die Ärztekammer nur Italienischkenntnisse voraus, aber KEINE Deutschkenntnisse! Kompatscher will daraus - angesichts der Gleichstellung der deutschen Sprache in Südtirol - jetzt nur ein Entweder/Oder machen. Die Zweisprachigkeitspflicht kommt dagegen erst in einem späteren Moment ins Spiel - dann nämlich, wenn das Land für die Aufnahme in den öffentlichen Dienst - in der Regel (für Ärzte ja gerade nicht mehr) - angemessene Kenntnisse BEIDER Sprachen verlangt.

Sab, 07/20/2019 - 08:47 Collegamento permanente