Cultura | Salto Afternoon

Bis zur Erschöpfung

Bei Tanz Bozen hat man auch Platz für Performances, die dem Begriff Tanz nicht zuzuordnen sind: Marco D’Agostins „First Love“ ist eine körperlich aufreibende Nachahmung.
First Love
Foto: Alice Brazzit
Ein Umschlag gefüllt mit Memorabilia, Erinnerungsstücken, die mit der titelgebenden ersten Liebe in Verbindung steht vor der Vorstellung (den Umschlag verschließt ein Herz-Sticker mit der Aufschrift „Apri prima che inizi - Open before it begins“), „First Love“ von Adele im stummen Nachsingen am Anfang der Performance. Wer hier mit Kitsch rechnet, der liest die Zeichen, die ihm anfangs gegeben werden und, sind wir mal ehrlich, wessen erste Liebe war rückblickend nicht kitschig?
„First Love“ interessiert sich dafür wenig, Marco D’Agostin ist im White Cube der Studiobühne auf sich selbst zurückgeworfen und auf die Bewegungsabläufe, welche ihn mit seiner ersten Liebe verbinden: Es geht um Stefania Belmondo, erfolgreiche Langläuferin (Jeweils 2 Olympische Gold - und Silbermedaillen, sowie 6 bronzene; 4 mal Gold, 7 mal Silber und 2 mal Bronze bei Weltmeisterschaften; Weitere Medaillen in Jugendbewerben), die bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City 2002 am Ende ihrer Kariere über 15 Kilometer noch einmal Gold holte. D'Agostin übte den Sport auch selbst aus.
 
 
Eben dieses Rennen erzählt Marco D’Agostin über 50 Minuten nach, die Bewegungen ohne Ski oder Stöcke mimend. Dabei ist seine Performance zum größeren Teil sprachlich, als sie es kinetisch ist. Den Duktus des italienischen Sportkommentars trifft er auf den Punkt genau, das pausenlose, zum Teil repetitive - wie die Feststellung oder bedeutungslose Geplapper, das darauf abzielt keine Stille zuzulassen, geht für sich schon an die Substanz. D’Agostini verbindet es mit wie gesagt mit Bewegungsabläufen, die für den Bühnenraum übersteigert werden, aber nicht den steigenden Wunsch eines Aufbruchs des Bewegungsvokabulars in eine freiere, tänzerische und weniger formulaische Ausdrucksform befriedigen.
Dabei zeigen sowohl er selbst, als Künstler, als auch der italienische Kommentator, den er mimt natürliche Befangenheit, die in die Obsession übergeht. Die Befangenheit ist nachvollziehbar beim  Menschen, gefärbt durch einen nostalgischen Blick auf die erste Liebe zurück, bei der Rolle des Sportkommentators, da die gefährlichste Verfolgerin eben nicht Italienerin, sondern Russin war.
Nur in einer kurzen „Live-Schaltung“ schafft sich D’Agostin Zeit zum Luftholen und um einen Schluck aus einer Flasche zu nehmen. Den zweiten Ausbruch aus dem Rennverlauf bietet der einzige Rollenwechsel des Stücks, Marco D’Agostini, Jahrgang '87 war zum Zeitpunkt des Rennens 14 oder 15 und muss sich im Schlusssprint von Belmondo den Kommandos seines Trainers stellen, er ist zurückgeworfen auf seine eigenen Erfahrungen, retraumatisiert macht er dennoch weiter, die Verfolger kennen keine Gnade.
Dem einen oder anderen erscheint diese übersteigerte, doch lebensechte Begeisterung lustig, Lacher sind zu hören, ich empfinde sie im Moment als emotionale Aushöhlung. Von der Liebe bleibt nicht viel auf der Bühne, das Gefühl der Besessenheit bis zur Selbstaufgabe. D’Agostin endet mit einem langsamen Rückwärtsgang und den Schlussworten des Monologs „Che bello“ in Wiederholung, bis er buchstäblich mit dem Rücken zur Wand steht. Es endet ein Stück, das auch für den Zuseher in gewisser Weise ermüdend ist. Es folgt nur eine Regieanweisung „Neve“. Schaum-Kanonen an, Licht dimmen, Erschöpfung und Finsternis machen sich breit. Der Rest ist Schweigen.