Auf den Barrikaden
Um 11:30 Uhr kommt der Verkehr im Pustertal zum Erliegen. Es ist Sonntag: Kolonnen an PKWs, Campern und Motorrädern stehen still. Eigentlich nichts Ungewöhnliches während der Hauptreisezeit im August. Doch an diesem Tag sollte für mehr als eine halbe Stunde nichts mehr weitergehen. Schuld war eine, bereits vor Wochen angekündigte Straßensperre mit Protestumzug in Percha; initiiert und organisiert von Gemeinderat und Vereinen. Längst fordert man hier den Bau einer Umfahrungsstraße, die den Dorfkern entlasten und für mehr Sicherheit sorgen soll.
Eine Horde von Menschen versammelt sich auf dem Kirchplatz zum demonstrativen Schaulauf. Als dieser in Fahrt kommt, steigen die ersten Menschen aus ihren Fahrzeugen. Motorradfahrer nehmen ungläubig ihre Helme ab und bestaunen das Treiben zwischen Kirche und Vereinshaus im Zentrum von Percha. Wohl die wenigsten wissen um die Anliegen der lokalen Bevölkerung, viele bekunden raunend ihren Unmut, zeigen sich aber geduldig. Es geht schließlich alles mit rechten Dingen zu. Die Sperre der Pustertaler Straße wird ordnungsgemäß von der Ortspolizei Bruneck durchgeführt.
An der Spitze des Protestmarsches schreitet Bürgermeister und „SVP-Deserteur“ Joachim Reinalter voran. Mit ihm, göttlicher Beistand in Form des Hochwürden Rüdiger Weinstrauch. Dahinter ein paar hundert Menschen. Laut Angaben Reinalters mindestens 600. Mehrere große Transparente sollen die Bedenken der Gemeindebevölkerung auf den Punkt bringen: „Für mehr Lebensqualität in Percha!!!" - „Hilfe, wir ersticken im Verkehr" - „Wir wollen sicher über die Straße kommen!!!"
20 Minuten darf die Unterbrechung laut Genehmigung eigentlich dauern. Am Ende dauert es doppelt so lange, bis sich die letzten Teilnehmer der Demonstration von der Straße entfernen und der Verkehr wieder rollt. Zumindest schrittweise. Kolonnen an Motorradfahrern machen den Anfang und lassen prompt aufhören, warum der tägliche Verkehr nicht nur ein Gesundheits- und Sicherheitsproblem, sondern auch eine penetrante Lärmbelastung für die Bevölkerung darstellt. Richtig auflösen sollte sich der Stau erst am Abend wieder.
„Wenn wir nichts unternehmen, dann passiert auch sicher nichts. Es ist wichtig zu zeigen, dass die Leute hier hinter dem Vorhaben stehen, dass andere die Notwenigkeit einer Umfahrungsstraße sehen“, vermeldet ein sichtlich erleichterter Bürgermeister. Mit so vielen Teilnehmern hatte man wohl nicht gerechnet. Auch nicht aus den Reihen der Opposition. Lukas Elzenbaumer, Gemeinderat der Freiheitlichen, spricht von einem „Paradebeispiel für Bürgerbeteiligung". Bereits vor Jahren habe er eine Protestaktion vorgeschlagen und sei dabei auf taube Ohren gestoßen. Nun werte er es als kleinen Erfolg.
Ein Fußgängerübergang zwischen Supermarktparkplatz und Vereinshaus wird den ganzen Nachmittag über genutzt. Ein Fest, mit Zelten und Ausschank auf beiden Straßenseiten, sollte möglichst viele dazu bewegen, ständig die Fahrbahn zu überqueren. Im Zehn-Sekunden-Takt sehen sich die herannahenden Fahrzeuge gezwungen, anzuhalten.
„Ich finde es schade, dass sie die Straße nicht länger haben sperren können. Beim Giro d’Italia wurde die Straße den ganzen Tag gesperrt, hier ist es ziemlich knapp“, meint Bernhard Zimmerhofer von der Südtiroler Freiheit. Er sei hier, um die Perchiner und Perchinerinnen zu unterstützen; es gehe schließlich um die Gesundheit der Bevölkerung. An eine Kehrtwende in der Finanzierungsfrage glaubt er aber kaum: „Man hat ja gesehen, dass Kompatscher schon einiges versprochen hat, was jetzt nach hinten verschoben wurde. Ich glaube da inzwischen nicht mehr viel, was vom Landeshauptmann kommt.“
Reinalter hingegen zeigt sich zuversichtlich: „Ich habe die nächste Woche einen Termin mit dem Landeshauptmann, um eine Bürgerversammlung im September zu organisieren. Landesrat Alfreider wird auch mal vorbeischauen und dann versuchen wir eine Lösung zu finden, welche die Umfahrung wieder ins Tiefbauprogramm der Landesregierung für diese Legislaturperiode aufnimmt.“ Er sei bereit, seinen Ende Juni getroffenen Entschluss des Parteiaustritts nochmals zu überdenken, wenn die Finanzierung am Ende doch gesichert würde. „Wenn wir wissen, wie es weitergeht, werden wir die Zusammenarbeit wieder suchen. Das Ziel ist ja nicht herauszufinden, wer Recht hat oder nicht, sondern dass die Umfahrungsstraße gebaut wird. Dafür arbeiten wir.“
Ebenfalls guter Dinge gibt sich Andreas Brunner, Chef des Hotels Sonnblick, welches direkt an der Verkehrsader liegt. „Der Landeshauptmann hat uns damals (im Zuge der Bürgerversammlung 2015 a.d.R.) das Versprechen gegeben und ich glaube daran, dass er uns nicht im Stich lässt. Es ist aber höchste Zeit, dass hier etwas geschieht, die Belastung ist gewaltig.“ Auch bei den Gästen sorge die Lage des Hotels für Unmut. Es sei mitunter schwierig, ein Haus direkt an der Straße zu vermieten. „Wir bemühen uns sehr und haben Glück, gut ausgelastet zu sein. Sollte jetzt aber nichts geschehen, dann bin ich schwer enttäuscht. Percha ist eine geduldige Gemeinde, aber - wie Ex-Bundeskanzler Kurz schon sagte – genug ist genug.“